Landkreis Roth
Morddrohungen für den "Volker-Bauer-Knecht"

Hinter Kammersteins neuem Bürgermeister Wolfram Göll liegt ein Wahlkampf, der sogar die Polizei in Aufruhr versetzte

07.04.2020 | Stand 23.09.2023, 11:31 Uhr
Vom Ersatzmann zum Rathauschef: Wolfram Göll tritt in Kammerstein die Nachfolge von Bürgermeister Walter Schnell an. −Foto: Schmitt

Kammerstein - Der ehemalige Bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Franz-Josef Strauß ist sein großes Vorbild. Jetzt selbst politische Verantwortung zu tragen, das ist für ihn die Erfüllung eines Lebenstraums. "Ich wollte immer Politik machen", sagt Wolfram Göll (CSU). Das kann er nun. Der 49-jährige Journalist wird am 2. Mai das Amt des Bürgermeisters in der Gemeinde Kammerstein antreten. Er folgt auf Walter Schnell (Freie Wähler), der 24 Jahre die Geschicke der Gemeinde leitete und nicht mehr zur Wahl angetreten war.

 

Wolfram Göll setzte sich in der Stichwahl knapp gegen den ehemaligen stellvertretenden Bürgermeister Richard Götz durch. Ein Wahlergebnis, das viele überraschte. Denn Göll stammt nicht aus der Gemeinde Kammerstein, sondern aus aus Schwabach, war in der Region politisch ein unbeschriebenes Blatt und hatte durchaus ungünstige Startbedingungen. Der örtlichen CSU war nämlich die bereits nominierte Bürgermeisterkandidatin Stefanie Rother kurz nach dem Wahlkampfauftakt im Oktober abgesprungen. "Eigentlich der Super-Gau", hieß es in der CSU. Dennoch lag Wolfram Göll bereits nach dem ersten Wahlgang am 15. März mit 30 Prozent gut vier Prozentpunkte vor Götz. Er hatte die Kammersteiner offenbar überzeugt.

Im Wahlkampf setzte Göll vor allem darauf, möglichst viele persönlichen Kontakte zu knüpfen. So stand er an allen Haustüren der Gemeinde, um dort mit den Wählerinnen und Wählern persönlich ins Gespräch zu kommen. Für Unterstützung aus der Partei sorgte der Kammersteiner Landtagsabgeordnete und CSU-Kreisvorsitzende Volker Bauer gesorgt. Mit Wolfgang Bosbach, langjähriger stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, drei aktiven CSU-Landtagsabgeordneten sowie dem ehemaligen CSU-Generalsekretär Thomas Goppel kamen einige politische Schwergewichte zur Wahlkampfhilfe für Wolfram Göll in die kleinste Gemeinde des Landkreises Roth.

Speziell für die Christsozialen fand die Bürgermeisterwahl in Kammerstein unter zwei besonders kritischen Vorzeichen statt. Einerseits war die Gemeinde wegen der Entscheidung für einen neuen Standort der Grundschule regelrecht gespalten. Erst nach zwei Bürgerentscheiden mit erbitterten Meinungskämpfe stand der Hauptort Kammerstein als Standort für den Neubau fest. Diese Richtung hatten die CSU und Bürgermeister Walter Schnell (FW) gemeinsam vertreten. Im Streit darüber war Richard Götz, der die Schule in Barthelmesaurach halten wollte, als stellvertretender Bürgermeister zurückgetreten und aus der FW-Fraktion ausgetreten. "Der Schulstreit hat das gesamte Klima in der Gemeinde vergiftet", sagt Göll.

Sein Ziel im Wahlkampf war es deshalb, die Gräben nicht noch mehr zu vertiefen, sondern die Menschen der einzelnen Ortsteile wieder zusammenzuführen. Bei öffentlichen Auftritten betonte er immer wieder die Bedeutung von Versöhnung in der Gemeinde und versicherte den Bürgern sämtlicher Ortsteile, "ein Ansprechpartner mit ausgestreckter Hand für alle" zu sein.

Wichtig für die CSU war die Bürgermeisterwahl in Kammerstein andererseits aber auch, dass es der Heimatort des CSU-Kreisvorsitzenden Volker Bauer ist, der hier seit 24 Jahren im Gemeinderat sitzt. Der Landtagsabgeordnete wollte die Nachfolge des bislang unumstrittenen Bürgermeisters Walter Schnell unbedingt für seine Partei sichern. Ein Niederlage in der eigenen Gemeinde hätte seine Position innerhalb der CSU sowohl im Kreis als auch im Landtag sicher geschwächt.

Schon bei der Nominierung von Stefanie Rother hatte Bauer auf jemanden gesetzt, der sich unbelastet von den Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde präsentieren konnte. Die Vorstandsassistentin der Sparkasse Mittelfranken-Süd war Politneuling und kein CSU-Mitglied. Als Barthelmesauracherin schien die 48-Jährige geradezu prädestiniert für einen gemeinsamen Neuanfang. Doch bereits zu Beginn des Wahlkampfs war sie im eigenen Ortsteil derart heftig angefeindet worden, dass sie das Handtuch warf.

Aber auch für Wolfram Göll war die Kandidatur kein Vergnügen: Nicht nur, dass er als "Volker-Bauer-Knecht" beschimpft wurde, man hat auch versucht, ihn einzuschüchtern. Einem Drohanruf folgte ein Brief mit unmissverständlicher Mordandrohung. "Wenn Du Dich nochmal in Barthelmes-aurach blicken lässt, Du linkes Jornalisten-Schwein, dann geht es Dir wie Kennedi", ließ der anonyme Verfasser wissen.

Göll stellte Strafanzeige, kämpfte aber nach außen unbeeindruckt weiter. Belohnt wurde der äußerst aufwändigen Wahlkampf mit einem knappen Sieg. Bei der Stichwahl am 29. März lag Wolfram Göll genau 95 Stimmen vor Richard Götz, der infolge der Streitigkeiten um die Schule innerhalb der Freien Wähler zurückgetreten und dann als Spitzenkandidat einer eigenen unabhängigen Liste angetreten war. 998 zu 903 Stimmen entsprachen 52,5 zu 47,5 Prozent für Göll. Mit fünf Gemeinderatsmitgliedern und dem Bürgermeister als sechstem Mitglied der Fraktion hat die CSU im nun 17-köpfigen Gemeinderat außerdem die Freien Wähler als stärkste Gruppierung abgelöst.

Kammersteins neue Bürgermeister Wolfram Göll ist in Schwabach geboren und aufgewachsen. Nach dem Abitur in Nürnberg hat er Slawistik und Geschichte in Erlangen, Eichstätt und Prag studiert. Bereits zuvor hatte er ein Volontariat bei einem kirchlichen Verlag absolviert. 14 Jahre hat er beim Bayerischen Rundfunk gearbeitet, dann beim Bayernkurier, dem Presseorgan der CSU. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. 2008 hat er in Schwabach die Pressearbeit im erfolgreichen Wahlkampf von Matthias Thürauf geleitet.

In seinem eigenen Wahlkampf hat Göll neben dem Versöhnungsaspekt stark auf Inhalte wie etwa ein Gemeindeentwicklungskonzept für alle Ortsteile gesetzt. Darüber hinaus ist ihm die Anpassung der Infrastruktur an das Wachstum der vergangenen Jahre wichtig. "Wir müssen hier viel Geld in Dinge investieren, die man nicht sieht", sagt Göll zur Verbesserung der Straßen, Kanäle und der Einrichtungen für die Abwasserentsorgung.

Für Barthelmesaurach will er insbesondere die Dorferneuerung verfolgen und die Weiternutzung des dortigen Schulhauses sicherstellen. In den Ortsteilen soll es an Runden Tischen eine starke Bürgerbeteiligung für die Maßnahmen zur weiteren Entwicklung geben. Für die gesamte Gemeinde stehen ferner der Ausbau der regenerativen Energieerzeugung mit Bürgerbeteiligung und der Artenschutz auf Gölls Programm. Außerdem setzt er auch auf die Kooperation mit seiner Heimatstadt als großem Nachbarn Kammersteins. Dass dort nun ein SPD-Mann auf dem OB-Sessel Platz nehmen wird, stellt für ihn kein Problem dar. "Peter Reiß und ich sind Rotarier", sagt Wolfram Göll.

Dass die Stichwahl ihm ausgerechnet am 29. März den Sieg bescherte, ist für Wolfram Göll ein besonderes Zeichen. "Das ist der Geburtstag meines Vaters", erklärt er. Heinrich Göll wäre an diesem Tag 87 Jahre alt geworden. "Er ist verantwortlich für mein politisches Denken", sagt Wolfram Göll über seinen 1998 verstorbenen Vater. Als Theologe und stellvertretender Leiter eines Schwabacher Gymnasiums hat er dessen Richtung gewiss ähnlich stark beeinflusst wie Franz-Josef Strauß.

HK

 

 

Robert Schmitt