Roth
Im "Zeitalter der Amateure"

Matthias Tretter ätzt in der Kulturfabrik gegen Populisten, Helikoptereltern und das Internet der Dinge

13.12.2019 | Stand 23.09.2023, 9:51 Uhr
Hat sich "Völkisch" bei- und roten Lippenstift aufgebracht: Matthias Tretter. −Foto: Tschapka

Roth - Schonungslose Gesellschaftskritik hat der Würzburger Kabarettist Mathias Tretter im Gepäck, als er in der Rother Kulturfabrik sein neues Programm "POP" präsentiert. Mit einem irritierenden Lippenstift geschminkt, klagt er, dass man heutzutage sein Wissen verstecke, und stattdessen schamlos sein Unwissen zur Schau stellt. Früher war das mal andersrum.

"Zeitalter der Amateure" nennt er das Phänomen, bei dem ein "trällernder Eintopf in Hotpants" (Helene Fischer) den Popstar mimt, genauso wie die heutigen Populisten so tun, als ob sie Politiker wären. Um diese zu entlarven, habe er sich selbst mittels Internetstudium "Völkisch" beigebracht - was nicht lange gedauert habe. "Dabei handelt es sich eher um ein Wortschätzchen", sagt Tretter, alles immer im Präsens und im Singular. "Der Banker, der Jude, der Ausländer" würde es da heißen, dabei würden die meisten Ostdeutschen keinen einzigen Ausländer kennen.

"Bei uns im Westen hieß es früher auch immer nur ?der Russe', der immer kommen sollte, aber nie ankam", erinnert er sich an die 80er, als es noch kein Internet gab. "Heute haut jeder seinen Hass in die Tastatur, aber klar, die Aggression muss raus, kann ja nicht jeder Fußballfan sein." Allerdings führe "rechtes Schreiben" im Internet leider nicht zwangsläufig zu Rechtschreibung.

Schlimm genug, dass 44 Prozent der Deutschen glauben, dass die Medien irgendwie von oben gesteuert würden. "Bei der 'TAZ' korrigiert eine Gruppe Veganer auf Holztastaturen die Artikel nach ihren Vorstellungen, bei der 'FAZ' erledigen das Verbindungsstudenten mit Schmiss, und bei der 'Zeit' ist dafür ein ganzes Lehrerzimmer zuständig", glauben laut Tretter die Leute.

Und er schlägt einen weiten Bogen von dem angeblichen Absturz eines Ufos in Roosevelt vor über 70 Jahren, der letztendlich zur gefakten Mondlandung, zum Tod von Lady Di, bis hin zum gescheiterten Putschversuch in der Türkei geführt habe. All diese Verschwörungsmythen erzählt ihm sein fiktiver Freund Ansgar, der das zwar auch alles nicht glaubt, aber gerne "mutig die Wahrheit rauslässt". Warum? Wie er eine Partei gründen will, die POP - "Partei ohne Politik", und Tretter möge doch bitte die Gründungszeremonie in der Paulskirche (wo sonst) moderieren. Tretter wehrt sich aber mit Händen und Füßen dagegen. Obwohl diese Paulskirche mitnichten in Frankfurt stehe, sondern in Laugenstadt an der Gollach. "Aber wenn bei Wikipedia als Gründungsort der POP Paulskirche steht, dann verfehlt das seinen Zweck sicher nicht", glaubt Ansgar.

Sicher, in der heutigen Zeit hätte eine weitere populistische Partei mit Sicherheit gute Chancen. Die Angst greift um sich, und Helikoptereltern achten beispielsweise darauf, dass ihr Nachwuchs Kinderbücher lesen, in denen das ursprüngliche "Schuhe wichsen" der Originalausgabe mit "Schuhe putzen" ersetzt wird, "damit die lieben Kleinen keinen Schaden nehmen". Als er ein Kind war, gab es nur die Schlümpfe und Donald Duck. "Die einen waren blau, der andere hatte keine Hose, was braucht man mehr, um auf das Leben vorbereitet zu werden", fragt Tretter, das war damals Montessori und Pestalozzi in einem. Und heute? Da gibt es für alles eine App, die Probleme lösen soll, die man vorher nicht hatte. Vom "Internet der Dinge" ganz zu schweigen, bei dem man sich fragt, wer denn für wen da ist. "Ich warte darauf, dass mich irgendwann mein Kartoffelschäler um Hilfe bittet, weil dessen Freundin Biggi, die Fritteuse, einen Neuen hat. "Den Wischmob - der schrubbt wie die Sau", jammert der Schäler.

Ist es also für eine neue Partei, die sich für 2020 Gelassenheit - kurz G20 - ins Programm geschrieben hat? Eine Partei ohne Religion, die für das Leben vor den Tod wirbt, für Transhumanismus, Unsterblichkeit, grenzenlosen Fortschritt? Am Schluss zitiert Tretter aus seinen Memoiren um das Jahr 2200 herum, als all das Wirklichkeit geworden ist. Wie heute sitzen die Mächtigen nicht in der Politik, sondern bei Google, Facebook oder Amazon, die alles andere als erfolglos an einem ganz neuen Menschenbild basteln. Niemand muss arbeiten, das erledigen Maschinen, die Menschen können sieben Tage die Woche Wochenende genießen. Was für eine Vorstellung. "Man braucht den Tod nicht, um in die Hölle zu kommen, denn letztlich ist der Tod der Sinn des Lebens, alles andere wäre langweilig", wagt Tretter einen kulturpessimistischen Rückblick und schließt sein Programm im Dunkeln zu den beeindruckenden Klängen eines russischen Choralstückes im tiefsten Moll was dann auch keine Zugabe erfordert, denn auf so ein Ende kann man nichts mehr draufsetzen.

HK

Tobias Tschapka