Laibstadt
Historische Spuren nach Oberammergau

Der langjährige Laibstädter Pfarrer Schöberl hat vor 150 Jahren eine Art Reiseführer über die berühmten Passionsspiele verfasst

15.05.2020 | Stand 23.09.2023, 12:02 Uhr
Der langjährige Laibstädter Pfarrer Franz Xaver Schöberl wurde in der Pfarrkirche, deren Fertigstellung er selbst mit 3000 Gulden mitfinanziert hatte, mit einem Glasfenster geehrt. Rechts das Titelblatt und die erste Seite des Büchleins "Das Oberammergauer Passions-Spiel", das Schöberl für den Eichstätter Krüll-Verlag verfasst hat. −Foto: Herler

Laibstadt - Mit besonderer Aufmerksamkeit hätten die Laibstädter an diesem Samstag nach Oberammergau geblickt, wo eigentlich die Premiere der Passionsspiele hätte über die Bühne gehen sollen, wenn nicht das Coronavirus eine Verschiebung um zwei Jahre notwendig gemacht hätte.

Trotz der ausgefallenen Premiere bleibt es jedoch bei der bestehenden Verbindung von Laibstadt nach Oberammergau. Darauf hat eine Anfrage des Musikhistorikers Helmut Brenner bei der Stadt Heideck aufmerksam gemacht. Brenner hatte im Zusammenhang mit einer wissenschaftlichen Publikation über prominente Besucher der Passionsspiele 1870 die Lebensdaten von Pfarrer Franz Xaver Schöberl erbeten. Denn der damalige Laibstädter Pfarrer habe damals die Broschüre "Das Oberammergauer Passions-Spiel" herausgegeben.

Damit war die Neugier geweckt. Wie kam der Dorfpfarrer des kleinen, mittelfränkischen Dorfes Laibstadt dazu, vor 150 Jahren für die Passionsspiele im oberbayerischen Holzschnitzerdorf Oberammergau zu schreiben? Franz Xaver Schöberl hatte zwar einige Lehrbücher veröffentlicht - aber eine Broschüre für das alle zehn Jahre aufgeführte Stück der Leiden Christi im rund 200 Kilometer entfernten Spielort? Oder gar der Text der berühmten Passionsspiele aus seiner Feder?

Nach der Priesterweihe im Jahr 1851 in Eichstätt war Laibstadt nach einigen Stellen als Cooperator und Kaplan die erste Pfarrstelle Schöberls. Sie sollte auch seine einzige bleiben. Denn er wirkte hier 35 Jahre lang als Seelsorger. Bleibendes schuf er in Laibstadt, als er 1868 energisch die Renovierung der Kirche in Angriff nahm. Leider war das gotische Kirchenschiff so marode, dass es komplett erneuert werden musste. Nur der Turm aus dem Jahr 1472 blieb stehen. Als am Ende das Geld für den neugotischen Anbau trotz großer Zuschüsse von Staat und Diözese nicht reichte, beglich Schöberl die fehlenden 3000 Gulden aus eigener Tasche. Im Juli 1870 konnte der Neubau vom Eichstätter Bischof feierlich eingeweiht werden - also genau in jenem Jahr, in dem auch die Passionsspiele aufgeführt werden sollten, für das Schöberl besagte Broschüre verfasst hatte.

Dass der Laibstädter Pfarrer gar den Text für die Passionsspiele 1870 haben könnte, das erschien Franz Kümmerle, dem Vorsitzenden des historischen Vereins von Oberammergau, als ausgeschlossen, wie er in einer E-Mail schrieb: "Der Pfarrer Schöberl hat sicher den Text der Passion von 1870 nicht geschrieben, denn der Text ist vom Oberammergauer Pfarrer Alois Daisenberger verfasst worden. Früher gab es keine Textveröffentlichungen, da die Gemeinde den Text schützen wollte. Es kam aber immer wieder vor, dass Zuschauer versucht haben, den Text mitzuschreiben. Ich vermute, Pfarrer Schöberl gehört in diese Kategorie von Zuschauern. Solange der Text nicht von der Gemeinde veröffentlicht wurde, war es natürlich interessant, diesen irgendwie zu erlangen. "

Mit einer weiteren E-Mail kam auch der Hinweis auf die Internetseite der Bayerischen Staatsbibliothek. Dort könne man sich die Broschüre Schöberls komplett online ansehen. Hier zeigt sich, dass diese tatsächlich kein Textbuch im herkömmlichen Sinne ist, sondern vielmehr Schöberls Versuch, die Handlungen und Abläufe der Passionsspiele möglichst anschaulich zu beschreiben und zu interpretieren. Das liest sich dann folgendermaßen: "Früh um drei Uhr krachen die Böller. Dorf auf, Dorf ab lässt sich ein musikalischer Morgengruß hören zum Zeichen, dass ein Spieltag jedes Mal auch ein hoher Festtag für die ganze Gemeinde sei. " So beschrieb Schöberl beginnend vom Einzug in Jerusalem bis hin zur Auferstehen die komplette Vorstellung, die von 8 Uhr morgens bis nachmittags 17 Uhr - unterbrochen von einer zweistündigen Mittagspause - dauerte.

Im umfangreichen Gemeindearchiv von Oberammergau - die Gemeinde ist von Beginn der Passionsspiele im Jahr 1634 auch der Ausrichter - ließ sich trotz intensiver Suche keine Spur und kein Hinweis auf Pfarrer Schöberl finden. Vielleicht war er schon 1860 tatsächlich in Oberammergau oder er war vom Krüll-Verlag aus Eichstätt, der das Heftchen druckte und verbreitete, mit den entsprechenden Unterlagen und Informationen versorgt worden.

Angereichert wurde die Broschüre mit Abbildungen von Albrecht Dürer aus der Reihe der "kleinen Holzschnitt-Passion", ursprünglich 37 Blätter im Format 130 mal 100 Millimeter, die 1511 als Buch veröffentlicht worden waren. Sie sind passend zu den einzelnen beschriebenen Szenen zu finden. Ein rund 20-seitiger Anhang macht deutlich, dass das Büchlein von Anfang an auch als eine Art Reiseführer gedacht war. Denn es finden sich hier auch die Aufführungstermine, Routenvorschläge für die Anreise mit den entsprechenden Zugfahrplänen, Unterkunfts- und Einkehrmöglichkeiten in Oberammergau und Tipps für die Besichtigung weiterer Sehenswürdigkeiten in der Gegend. Sogar eine Bayernkarte (inklusive der damals noch zu Bayern gehörenden Rheinpfalz! ) ist dem Heft beigefügt.

So wurden die "Oberammergauer Passions-Spiele" zu Schöberls Bestseller mit über 20 Auflagen. Als Mischung aus Reisetagebuch und Kritik der Aufführung hat das Büchlein heute durchaus einen historischen Wert. Im Online-Antiquariat werden die wenigen Heftchen, die bis heute überlebt haben, je nach Zustand, für 50 bis 100 Euro angeboten. Die Neuauflage von 1880 kann bei der Bayerischen Staatsbibliothek als Nachdruck erworben werden.

Übrigens - eine Duplizität der Ereignisse: Wie auch die Passionsspiele heuer, so mussten auch die Aufführungen vor 150 Jahren verschoben werden. Damals war der Gegner - im Gegenzug zu heute - allerdings sehr wohl sichtbar. Am 19. Juli 1870 hatte der französische Kaiser Napoleon III. Preußen den Krieg erklärt und es kam zum Deutsch-Französischen Krieg. Die Passionsspiele mussten nach Bayerns Kriegseintritt unterbrochen werden und konnten erst 1871 wieder aufgenommen werden.

HK

Norbert Herler