Hilpoltstein
"Symbol für den Bildungsaufbruch"

15.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:41 Uhr

Die Straßen sind 1968 noch Feldwege und in der landwirtschaftlichen Berufsschule am Föhrenweg (großes Gebäude) lernen Kinder des Hilpoltsteiner Gymnasiums. Sechs Klassen sind in fünf Unterrichtsräumen untergebracht, ins Lehrerzimmer muss man durch ein Fenster im Querbau einsteigen. - Foto: Tschöpe

Die Geschichte des ersten Gymnasiums in Hilpoltstein endet im November 1968. Und sie beginnt zur gleichen Zeit. Denn die Schule zieht aus ihrem überfüllten Provisorium am Föhrenweg an ihren heutigen Standort, der gerade wieder völlig umgebaut wird.

"Es war eng", erinnert sich Reiner Wagner, der 1967 als junger Lehrer an die Schule am Föhrenweg kam. Sechs Klassen waren in die ehemalige landwirtschaftliche Berufsschule gepfercht, dazu elf Lehrer. Zwei Klassen bekamen Asyl in der Realschule. "Das Lehrerzimmer lag hinter einem Klassenzimmer. Wenn man da während des Unterrichts reinwollte, musste man durch ein Fenster einsteigen", erinnert sich der heute 76-Jährige. Den meisten war das zu umständlich, deswegen saßen sie im Gang vor dem Sekretariat und arbeiteten dort. "Die Lehrer haben Arbeiten korrigiert und die Schüler haben ihnen über die Schulter geschaut. Es war recht kommunikativ", sagt Wagner.

Überhaupt war die Atmosphäre am Hilpoltsteiner Gymnasium recht locker. Als Referendar in Nürnberg ist Wagner von den Schülern noch ehrerbietig mit "Herr Professor" angesprochen worden. "Die Schüler wurden grundsätzlich mit Nachnahmen angeredet." In Hilpoltstein nannte man sie beim Vornamen, Wagner war einfach ein "Herr". Die Lehrer waren alle jung. "Es gab keine großen Hierarchien, wir haben selbst bestimmt, was wir machen", erzählt Wagner, der 1986 selbst Schulleiter wurde.

"Es herrschte Aufbruchstimmung", sagt Wagner. Hilpoltstein war damals "pädagogische Provinz", wie der erste Schulleiter Josef Krach in seinem ersten Jahresbericht von 1973 selbstironisch schreibt. Die Realschule gab es zwar seit 1950, aber im Bereich des "höheren Schulwesens", wie Krach schrieb, sei die Gegend zwischen Eichstätt, Weißenburg, Schwabach, Nürnberg und Neumarkt "ein riesiger weißer Fleck" gewesen. Das änderte sich erst mit dem bayerischen Schulentwicklungsplan, den der damalige Ministerpräsident Alfons Goppel am 19. Dezember 1962 verkündete. "Wir wollen so viele weiterbildende Schulen einrichten, dass möglichst alle Reserven an Begabungen in unserem Volk ausgeschöpft werden können. Kein Vater soll sein Kind von solchen Schulen zurückhalten müssen, weil der Weg zu weit und die Kosten zu hoch wären."

Hilpoltsteins Landrat Ignaz Greiner wusste wohl schon längst von den Plänen. Denn bereits am 1. Februar 1962 verkündete Greiner bei der CSU-Kreisversammlung eine "sensationelle Nachricht", wie der Hilpoltsteiner Kurier unter der Überschrift "Oberschule Hilpoltstein" vermeldet. Der Antrag sei gestellt, erklärte Greiner, der Landkreis stelle die Schulräume und sorge "notfalls für die Bereitstellung von Omnibussen", um alle Kinder nach Hilpoltstein zu bringen. Am 1. September 1962 könne es losgehen. "Als ich das gelesen habe, dachte ich, der Greiner spinnt", erinnert sich Reiner Wagner. Oberschule, das war damals nur für eine Elite gedacht. In Hilpoltstein wechselten nur vier Prozent jedes Jahrgangs an ein Gymnasium.

Doch Greiner war fest entschlossen, das zu ändern. Der Kreistag gab ihm grünes Licht. Am 22. Oktober 1963 beschloss er, beim Kultusministerium ein Realgymnasium, eine Art neusprachlicher Zweig, für Hilpoltstein zu beantragen. Am 9. September 1964 war es dann tatsächlich so weit: 74 Schülerinnen und Schüler hatten die Aufnahmeprüfung bestanden und zogen in den Neubau der landwirtschaftlichen Berufsschule ein. Einziger Lehrer für zwei Klassen war Josef Krach. Dozenten des Volksbildungswerks, der Grund- und Realschule halfen aus.

Die ersten Jahre waren kritisch für die junge Schule. Nur 50 bis 60 Anmeldungen gab es pro Schuljahr. Zu wenig. "Das war die Mentalität der 60er-Jahre", sagt Reiner Wagner. "Dass es für Abiturienten ein breites Berufsfeld gibt, war den Leuten nicht klar." Wer sein Kind aufs Gymnasium schickte, wollte, dass es Arzt, Pfarrer oder Richter wird. Für alle anderen Berufe reichte die Mittlere Reife. Tatsächlich ist die Mehrzahl des ersten Abiturjahrgangs - nur 31 blieben bis zum Abschluss - später Lehrer geworden.

Trotz des Schülermangels wurde die landwirtschaftliche Berufsschule bald zu klein. Der Kreistag beschloss bereits im Februar 1966 einen Neubau. Mit 6,5 Millionen Mark der größte Bauauftrag, den der Landkreis Hilpoltstein jemals vergeben hatte. Der Plan war weitsichtig. Zwei Häuser, Mendel und Pestalozzi, für 450 Mädchen und Jungen in 15 Klassen, dazu eine Küche und ein Speisesaal für das "Tagesheim", eine Art Hort mit warmem Mittagessen für die auswärtigen Kinder, die auf den Schulbus warten mussten. Das waren in Hilpoltstein 80 Prozent der Kinder. Die Schulbuslinien wurden damals übrigens aus den Überschüssen der Kreissparkasse Hilpoltstein finanziert, Schulwegkostenfreiheit war noch ein Fremdwort.

Im November 1968 wurde der Neubau bezogen. Er machte die Schule wieder attraktiver. 94 Anmeldungen gab es 1968, 1971 waren es sogar 144. Schnell herrscht wieder Raumnot. Zum Tag der offenen Tür im Mai 1971 kamen 2000 Besucher, wie Josef Krach stolz berichtete. Die Veranstaltung gab es eigentlich nur, weil die Schüler über Landrat Ignaz Greiner verärgert waren, der die Einweihung mit nur acht Tagen Vorlauf und ohne Beteiligung der Schüler angesetzt hatte.

Greiners Verhältnis zu seinem ehemaligen Vorzeigeprojekt war da bereits angespannt. Sein CSU-Parteifreund Josef Krach ließ den Schülern aus seiner Sicht zu lange Leine. Schulsprecher Alfred Schmidt aus Kraftsbuch hatte sich in der Schülerzeitung kritisch geäußert. Auch zur offiziellen Einweihung des Neubaus im November 1970 verhehlte Schmidt, ein Anhänger des SPD-Bundeskanzlers Willy Brandt, seinen Unmut nicht. Bei seiner Rede zum ersten Abiturjahrgang 1973 verließ der Schulrat aus Protest demonstrativ die Feier. "Viele unserer Oberstufenschüler haben sich im Kreuzwirtskeller engagiert", erinnert sich Reiner Wagner. Dort veranstalteten die Jusos Konzerte und Lesungen. "Für die Urbevölkerung war das schon ein Kulturschock", sagt Wagner lächelnd. Mancher Pfarrer auf dem Land geißelte von der Kanzel herab die Verderbtheit am Gymnasium.

Dem Zustrom tat das keinen Abbruch. 1980 war mit 721 Schülern in 20 Klassen der Höchststand erreicht. Und wieder gab es Streit mit Greiner, nach der Gebietsreform Landrat des Kreises Roth. Der wollte in die leerstehende landwirtschaftliche Berufsschule ausweichen und war gegen einen Erweiterungsbau. Erst 1978 genehmigte der Kreistag einen Anbau, der 1983 eingeweiht wurde und Haus Dürer hieß.

Wieder stiegen die Anmeldezahlen rapide. 1989 wurde die nächste Erweiterung beschlossen. Ein ehemaliger Schüler plante Haus Einstein: Elmar Greiner, Sohn des früheren Landrats. Er wechselte 1969 aus dem Internat in Scheyern an die neue Schule. "Ein Befreiungsschlag", erinnert er sich. In der Klosterschule gab es noch Schlafsäle für 60 Kinder und eine "strenge Benekdiktiner-Erziehung, die auch spürbar war". Mit dem Haus Einstein war das Gymnasium noch immer nicht fertig. Es folgten zwei weitere Anbauten. 2016 wurden die Bauten Mendel, Pestalozzi und Dürer wieder abgerissen und durch Neubauten ersetzt.

Ob Haus Einstein der Sanierung zum Opfer fällt, steht noch nicht fest. "Das abzubrechen halte ich eine Todsünde", sagt Elmar Greiner. "Es tut schon weh, wenn das Ganze abgerissen wird", sagt Reiner Wagner, "aber es ist eine tolle Geschichte, wie es jetzt wird."

Auch die ehemalige landwirtschaftliche Berufsschule am Föhrenweg wurde übrigens später umgebaut. Regens-Wagner-Zell sanierte das Gebäude und unterrichtet dort hörgeschädigte Berufsschüler.