Hilpoltstein
"Handwerk hat wieder goldenen Boden"

Freisprecherungsfeier im Zeichen scharfer Attacken gegen akademische Ausbildung

09.09.2018 | Stand 23.09.2023, 4:01 Uhr
Die besten Gesellen und eine Gesellin präsentieren sich mit Politikern und Vertretern der Handwerkschaft. −Foto: Schmitt

Schwabach (HK) 114 junge Frauen und Männer in der Region Roth-Schwabach sind am Freitag im Schwabacher Markgrafensaal freigesprochen und als Junggesellinnen und Junggesellen in die Zunft aufgenommen worden. "Es waren auch schon über 200", blickte Reinhard Siegert, Obermeister der Schreinerinnung Heideck, zurück.

Der Mangel an Fachpersonal ist groß im Land. Ernst zu nehmenden Schätzungen zufolge fehlen gegenwärtig 200000 Handwerker. Diese Lage wird sich nicht so bald bessern. Schließlich konnten zum neuen Ausbildungsjahr 30000 Lehrstellen nicht besetzt werden. Offensichtlich war die Situation aber bereits vor drei Jahren brenzlig. Als damals jene 114 junge Frauen und Männer eine Ausbildung im Handwerk begonnen hatten und eben nicht mehr als 200.

Die Freisprechungsfeier der Kreishandwerkerschaft Mittelfranken-Süd stand allerdings auch in anderer Hinsicht unter einem besonderen Stern. Erstmals seit 1996 hieß der Kreishandwerksmeister nicht Hanno Dietrich. Der im Juni gewählte Nachfolger Hermann Grillenberger, Metallbaumeister aus Weißenburg, eröffnete den Festabend. Dabei kritisierte er die Ausrichtung der beruflichen Bildung in Deutschland scharf. "Es sind riesige Summen in die akademische Ausbildung statt ins Handwerk investiert worden", resümierte Grillenberger. "Fast als Dekadenz" bezeichnete er einen Trend, der sich seiner Meinung nach in den jüngsten Jahren verstärkt hat: "Je weiter ein Beruf von der Wertschöpfungskette entfernt ist, desto interessanter scheint er zu sein." Er rief seinen neuen Kollegen zu, sich richtig entschieden zu haben. "Denn die Nachfrage nach Handwerksleistungen wird steigen und damit auch ihr Preis."Er könne aber nicht verstehen, warum die Gesellschaft die hohe Qualität des Handwerkssystems so wenig schätzt.

Zur Feier waren beide Vizepräsidenten der Handwerkskammer nach Schwabach gekommen. Andreas Hofmann aus Roth und Christian Sendelbeck aus Fürth erwiesen den den Junghandwerkern ihr Reverenz. Dabei schlug der Festredner in eine ähnlich Kerbe wie Grillenberger. "Trotz Akademisierungswahns haben Sie sich für eine Ausbildung entschieden und dabei viel gelernt", sagte Sendelbeck. Er sah darin ein gutes Rüstzeug für die Zukunft, "denn Handwerk hat wieder goldenen Boden." Sendelbeck sprach sich dafür aus, unbedingt am dualen System der Ausbildung festzuhalten und riet dem Nachwuchs, sich mit Fleiß fortzubilden. "Wir brauchen Fachkräfte, Jungmeister und neue Firmenchefs", zählte Sendelbeck die Zukunftschancen für junge Handwerker auf.

Bei den Metzgern und Fleischereifachverkäuferinnen scheinen diese Aussichten schon keine Rolle mehr gespielt zu haben. "Denn in beiden Berufen können wir heute keinen einzigen Gesellen freisprechen", sagte Sebastian Dörr, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft. 2006 seien es noch 30 Frauen und Männer gewesen.

Reinhard Siegert konnte sich hingegen zweifach freuen. Mit 21 Nachwuchsschreinern steht er der Innung mit den meisten Junggesellen vor. Darunter auch sein Sohn. Der 20-jährige Martin Siegert stellt als dritte Generation die Schreinertradition in der Familie sicher. Sein 85-jähriger Großvater hat den Betrieb 1962 gegründet. Vater Reinhard hat ihn ab 1994 weitergeführt. "Martin hat alle Fähigkeiten, mein Nachfolger zu werden", lobte Siegert seinen Sohn.

Herbert Eckstein (SPD) hatte sich ein wenig mit den Zahlen der Neugeborenen in den vergangenen Jahren im Landkreis Roth beschäftigt und führte dem regionalen Handwerk vor Augen, dass die Jahre 2008 und 2010 jene mit den niedrigsten Geburtenraten waren und damit der Fachkräfte- und Azubimangel künftig wohl noch drängender wird. Eckstein dankte den Betrieben im Landkreis für ihre Ausbildungsleistung und erklärte den Junggesellinnen und Junggesellen, sie könnten stolz sein auf diesen Zwischenschritt in ihrer beruflichen Karriere. "Dank Ihrer Qualität werden sie sich durchsetzen", so der SPD-Politiker.

Der Schwabacher Bürgermeister Roland Oeser (Grüne) betonte, dass Handwerker insbesondere in wirtschaftlich starken Zeiten immer mehr gesucht würden. "Sie können der Zukunft optimistisch entgegensehen, denn die Intelligenz und Kreativität des Handwerks werden immer gebraucht", sagte Oeser. Der Kammersteiner Landtagsabgeordnete Volker Bauer (CSU) war für die neuen Handwerker der lebendige Beweis dafür, dass ihnen alle Türen offen stehen. Bauer ist Elektromeister und hat zehn Jahre einen eigenen Betrieb geführt. "Ihr habt alles richtig gemacht", rief er den Freizusprechenden zu, "denn es gibt nichts sinngebenderes als im Handwerk zu arbeiten".

Robert Schmitt