Hilpoltstein
Gejagt und vertrieben

In der Reichspogromnacht vor 80 Jahren wurden jüdische Mitbürger in der Region übel drangsaliert

09.11.2018 | Stand 23.09.2023, 4:55 Uhr

Hilpoltstein/Thalmässing/Georgensgmünd/Schwabach/Allersberg (HK) In Thalmässing, Georgensgmünd und Schwabach kam es in den Morgenstunden des 10. November 1938 zu von Nazis organisierten Demonstrationen. Jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden verwüstet und geplündert, jüdische Mitbürger verhaftet und später, wie in Allersberg die Familie Geiershoefer, enteignet. Genau 80 Jahre ist es jetzt her, dass es bei der Reichspogromnacht - auch fälschlicherweise "Reichskristallnacht" genannt - zu Übergriffen gegen jüdische Mitbürger gekommen ist. Auch der heutige Landkreis Roth und die Stadt Schwabach waren davon betroffen. Ein Rückblick.

Überall in Mittelfranken habe, wie in der Ausgabe der "Rother Volkszeitung" vom 11. November 1938 zu lesen ist, die "Bevölkerung ihrer Erregung endlich Luft gemacht, nachdem sie bis dahin geschwiegen und vorbildliche Disziplin gezeigt hatte". In diesem Zeitungsartikel schwelgt das NS-Blatt im damaligen Parteijargon förmlich von dem "hellhörig gewordenen Volk von Franken", das nun eine "handgreifliche Warnung an das Judentum" gegeben habe.

"Als bekannt wurde, dass der deutsche Gesandtschaftsrat Ernst vom Rath den Verletzungen erlegen ist, die ihm der jüdische Mörder Herschel Seibel Grünspan beibrachte, bemächtigte sich der Schwabacher Bevölkerung eine starke Erregung, die um so verständlicher ist, als der jüdische Hass gegen alles Nichtjüdische gerade am 9. November, dem Gedenktag der Blutopfer in München, ein weiteres Blutopfer gefordert hat." Damit spielt das Blatt auf den gescheiterten Hitler-Putsch am 9. November 1923 an.

Weiter heißt es in diesem perfiden Artikel: "Schon in den frühesten Morgenstunden des gestrigen Tages bildeten sich in den Straßen Schwabachs Demonstrationszüge, und die begreifliche Erregung der Bevölkerung machte sich in einer drohenden Haltung gegen die noch hiesigen Juden Luft. Aus diesem Grunde sah sich der Vorstand des Bezirksamtes in seiner Eigenschaft als Stadtkommissar veranlasst, die Juden durch die Polizei verhaften zu lassen und in das hiesige Amtsgerichtsgefängnis einzuliefern.

So wurden morgens um 6.30 Uhr die beiden Schwabacher Juden Levite und Graf in ihrer Wohnung verhaftet. Der Jude Krauß meldete sich in der ersten Morgenstunde bei der Polizei ab und reiste nach Ungarn, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Nicht nur in der Stadt Schwabach, sondern auch in Georgensgmünd und Röthenbach war die Bevölkerung über die Bluttat in Paris aufs äußerste aufgebracht, so dass der Vorstand des Bezirksamtes dort zu ähnlichen Maßnahmen greifen musste wie in Schwabach. In Georgensgmünd wurden zwei Juden und in Röthenbach ein Jude verhaftet. Einige Fensterscheiben in den von Juden bewohnten Häusern gingen in Trümmer. "Misshandlungen sind keine vorgekommen." Soweit die Nazi-Zeitung im O-Ton.

Zum Zeitpunkt des Novemberpogroms lebten noch 14 Juden in Schwabach. Sie wurden teilweise in das städtische Gefängnis gebracht. Alle wurden gezwungen, bald die Stadt zu verlassen und ihren Besitz mit großem Wertverlust zu verkaufen. Bereits am 8. Dezember 1938 ist Schwabach im Sprachgebrauch der Nazis "judenfrei".

In Thalmässing lebten 1933 noch 33 Menschen mosaischen Glaubens. Wirtschaftlich gesehen, spielten sie eine große Rolle, da viele Geschäfte hier von Juden betrieben wurden. Viele Bauern und Handwerker aus dem Raum Thalmässing kauften in deren Geschäften ein und waren abhängig von ihnen, da es viele Dinge nur dort zu kaufen gab.

Bereits fünf Jahre vor der von Propagandaminister Joseph Goebbels ausgerufenen und von NSDAP und SA organisierten Pogramnacht kam es in Thalmässing zu Übergriffen. Kurz nach der Machtübernahme der Nazis wurden schon im März 1933 in mehreren jüdischen Geschäften in Thalmässing die Fenster eingeschlagen. Damals machte man jedoch die Kommunisten dafür verantwortlich. Im Juni oder Juli 1933 drangen in Thalmässing Nazis in das israelitische Schulhaus ein, in dem die Familie Rachelsohn wohnte. Sie zerschlugen Fenster, Türen, Möbel und ein Klavier. Außerdem wurden sämtliche Schmucksachen und Bargeld gestohlen. Jüdische Firmen wurden boykottiert. Im Juli 1934 beschwerte sich Martin Rosenfeld, der (jüdische) Besitzer einer großen Lebensmittelfirma in Thalmässing beim bayerischen Wirtschaftsministerium darüber, dass ihn seine Kunden, vor allem Bauern aus der Umgebung, boykottierten, da am Ort die Devise ausgegeben worden sei: "Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter".

In der Reichspogromnacht wurden in Thalmässing bei jüdischen Geschäften alle Fenster eingeschlagen. Die jüdischen Mitbürger selbst wurden verhaftet und ins Gefängnis nach Hilpoltstein gebracht. Die jüdischen Kaufleute aus Thalmässing wurden gezwungen, ihre Geschäfte zu verkaufen.

1938 lebten nur noch ein paar Thalmässinger Familien jüdischen Glaubens in der Marktgemeinde. Laut Alemannia Judaica, einer Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum, lebten noch 33 Menschen jüdischen Glaubens in Thalmässing. Viele von ihnen starben später in den Vernichtungslagern der Nazis. Ein Gedankstein neben der ehemaligen Synagoge in Georgensgmünd erinnert an die ermordeten Thalmässinger. Im September dieses Jahres wurde auch in Thalmässing ein Gedenkstein mit den Namen der Opfer neben dem jüdischen Friedhof eingeweiht.

Das Pogrom vom 9. /10. November, in dem auch der Friedhof geschändet wurde, ist nicht grausiger als in Hunderten anderen Gemeinden verlaufen. In der Nazi-Zeit tat sich in Thalmässing einer der beiden Pfarrer als antisemitischer Hassredner hervor. Der andere Pfarrer verweigerte sich dem.

Zwei Tage nach der "Reichskristallnacht" brachte ein Oberlehrer aus Landersdorf, der gleichzeitig NS-Ortsgruppenleiter war, in die Schule Rechnungen des jüdischen Eisenwarenhändlers Schülein und des Kolonialwarenhändlers Rosenfeld mit, die die Kinder durcharbeiten mussten. Sie mussten heraussuchen, mit welchen christlichen Geschäftsleuten die beiden Geschäfte gemacht hätten.

Auch in Allersberg wurden jüdische Geschäftsleute Opfer des Nazi-Terrors. Else Geiershoefer, die Witwe von Otto Geiershoefer, und ihr Sohn Erik, die den Betrieb der leonischen Drahtzugsindustrie im Gilardihaus gemeinsam führten, wurden am 10. November 1938 frühmorgens von der Gestapo festgenommen, SA-Leute verwüsteten das Gilardihaus. Nur drei Wochen später, mit Vertrag vom 28. November 1938, wurde die Allersberger Firma Jacob Gilardi "arisiert" und ging an die Weißenburger Firma "Leichtmetall-Drahtwerke Hermann Gutmann" über. Else Geiershoefer starb im Ghetto Lodz.

Die Jahrhunderte alte eigenständige Geschichte des Georgensgmünder Judentums fand mit den Pogromen ihr Ende. 1933 lebten nur noch 35 jüdische Einwohner in der Gemeinde. Bis Mitte 1938 verließen laut Alemannia Judaica aufgrund des wirtschaftlichen Boykotts, der zunehmenden Entrechtung und der ständigen Repressalien etwa zwei Drittel der ortsansässigen Juden Georgensgmünd. Die meisten wanderten nach Palästina und in die USA aus oder verzogen innerhalb Deutschlands. 1935 wurde am Ortseingang eine Tafel angebracht mit dem Text: "Unser Bedarf an Juden ist hinreichend gedeckt". Beim Novemberpogrom 1938 wurden die Fenster der jüdischen Wohnungen zerschlagen; einige der jüdischen Einwohner vorübergehend inhaftiert. Obwohl das Synagogengebäude bereits zuvor - im August 1938 - an einen benachbarten Bäcker verkauft. Dennoch wurde beim Novemberpogrom 1938 die Inneneinrichtung der ehemaligen Synagoge teilweise zerstört.

Zwei Tage später wurden im Rahmen einer örtlich begrenzten "Einzelaktion" die letzten zwölf jüdischen Einwohner, fast nur alte Menschen aus dem Ort vertrieben, vier von ihnen konnten noch in die USA emigrieren.

Am 21. Januar 1939 schrieb die Fränkische Tageszeitung: "Die einstige Juden-Hochburg Georgensgmünd ist nunmehr ein Hort deutscher Art, seit der Wende des Jahres 1936 ist Georgensgmünd judenfrei ? Sie waren Güterzertrümmerer und Hopfengartenversteigerer. Die letzten noch in Georgensgmünd lebenden Juden - es sind 13 an der Zahl - wurden Ende 1938 kurzfristig ausgewiesen."

Robert Unterburger