Hilpoltstein
"Fremdlinge und Bolschewisten"

Im damaligen Bezirk Hilpoltstein regte sich 1919 heftiger Widerstand gegen die Münchner Räterepublik - Laibstädter Bürgerwehr

21.02.2019 | Stand 23.09.2023, 6:01 Uhr
Norbert Herler
  −Foto: dpa, Herler (2)

Hilpoltstein (HK) Mit den tödlichen Schüssen endete ein Traum, die Utopie eines Mannes nach einem friedlichen Wandel eines Königreichs in eine basisdemokratische Republik. Die bis dahin unblutige Revolution in Bayern radikalisierte sich mit der Ermordung von Kurt Eisner vor 100 Jahren am 21. Februar 1919 schlagartig und endete schließlich mit einem kurzen aber heftigen Bürgerkrieg. Wenn auch das meiste in der Landeshauptstadt München über die Bühne ging, so blieb der damalige Bezirk Hilpoltstein nicht unberührt von den Ereignissen. Quasi mittendrin im Geschehen war der gebürtige Schlossberger Dr. Georg Wohlmuth, der seit 1912 für das bayerische Zentrum im Landtag saß.

Am 7. November 1918 war nach einer großen Kundgebung auf der Theresienwiese Kurt Eisner von der USPD, einer Abspaltung der SPD, durch München marschiert. Dem Zug schlossen sich viele kriegsmüde Soldaten an. Zusammen wurden der Landtag und mehrere öffentliche Gebäude besetzt und noch in derselben Nacht unter dem Vorsitz von Eisner ein Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrat gewählt. Eisner nutzte seine Chance und rief den Freistaat Bayern aus - Bayern sollte fortan frei sein von der Monarchie. Die verwischte Unterschrift des neuen Ministerpräsidenten auf dem am 8. November 1918 ausgestellten Passierschein für Wohlmuth zeigt, in welcher Eile dieser ausgestellt worden war, macht aber auch deutlich, dass die neue Regierung nicht daran interessiert war, Köpfe rollen zu lassen.

Erstaunlich, wie schnell sich dann die Nachricht von der Revolution in München im ganzen Lande verbreitete, denn nur einen Tag später, am 9. November, konnten die Leser des Hilpoltsteiner Wochenblatts auf der Titelseite von den Vorgängen in der Landeshauptstadt lesen: "Im Anschluss an die gestrige Massenversammlung kam es in München zu ernsten Unruhen, die zur Ausrufung der Republik Bayern führten. In der Nacht zum heutigen Tage bildeten sich ein Rat der Arbeiter, Soldaten und Bauern, zu dessen Vorsitzendem Kurt Eisner ernannt wurde. Der Rat wird die strengste Ordnung sichern. Aufreizung wird rücksichtslos unterdrückt. Alle Beamten bleiben in ihren Stellungen. Jedes Menschenleben soll heilig sein."

Franz Harrer aus Kippenwang, als Eichstätter Seminarist 1915 eingezogen, erholte sich in diesen Tagen im Lazarett Zell von einer Kriegsverletzung. Offensichtlich kein Anhänger der Revolution, schildert er in seinem Kriegstagebuch, wie er sich am 9. November 1918 wieder im Eichstätter Seminar zurückmeldete: "Auf dem Bahnhof Eysölden krähte mich ein Soldat an: ,Nimm deine Kokarde runter!' Ich ließ sie droben und gab dem Manne auch meine Meinung zu verstehen. Ich fuhr weiter. Überall ein sinnloses Gebrüll, gleich dem Brüllen einer ausgelassenen Menagerie. Die meisten unter diesen Schreiern hatten die Front und die Härte des Krieges niemals gespürt. Viele unter diesen Schreiern waren noch nicht einmal reif genug mitzureden, wo sonst nur Männer sprechen dürfen. Unter diesem Pöbel standen und johlten feile Dirnen, der Abschaum der Menschheit. In frechen Anzügen, das rote Band angeheftet, standen sie in den Wagen und auf den Bahnhöfen und halfen, das arme, arme deutsche Vaterland mit begraben. Die ernsten Leute standen scheu zusammengepresst in den kalten Personenwagen. Niemand getraute sich ein Wort zu sagen, so einschüchternd hatten diese letzten schrecklichen Ereignisse auf sonst besonnene Leute gewirkt. Als ich in Eichstätt ausstieg, musste ich durch eine lange Kette von roten Revolutionshelden und Revolutionsheldinnen schreiten. Ich musterte sie, die Hand an meiner Revolvertasche. Man schrie: ,Reißt ihm die Kokarde herunter!', aber keiner wagte es, sich mir zu nähern. Ich trug das eiserne Kreuz I. Klasse auf der Brust, das ich mir in Jahren schon erworben hatte, wo es noch einen hohen Wert hatte. Um dieser Auszeichnung willen hätte ich alles gewagt, gegenüber einem solch zuchtlosen Pöbel."

Wenige Tage später ließ das Bezirksamt auf der Titelseite des Hilpoltsteiner Wochenblatts am 13. November 1918 in großen Lettern einen "Aufruf an die Gemeindebehörden und die Bevölkerung des Amtsbezirkes" veröffentlichen. Es war vor allem eine Mahnung, Ruhe zu bewahren, denn: "Sich den Tatsachen widersetzen zu wollen, hieße den Kampf aller gegen alle entfesseln und würde den Untergang des Vaterlandes und für uns alle Blut, Hunger und Elend bedeuten." So schien man sich schnell in die neuen Gegebenheiten eingefügt zu haben. Für den Sonntag, 24. November, nachmittags 2 Uhr wurde mit einer großen Anzeige im Wochenblatt ins Gasthaus zum Adler nach Thalmässing zur Wahl eines Bauernrates eingeladen, zu der alle Bauern, Handwerker, Beamte und Arbeiter des ganzen Bezirks Hilpoltstein ohne Unterschied der Religion "dringend" kommen sollten.

Doch die Order aus München, zuerst auf Gemeindeebene Räte zu bilden, kam dieser Veranstaltung zuvor, so dass im Wochenblatt in einer weiteren Anzeige eine Woche später für den 1. Dezember 1918 zur Gründung eines Arbeiter- und Bauernrates der Stadt Hilpoltstein eingeladen wurde, dieses Mal mit dem besonderen Hinweis "Damen haben Zutritt".

In der selben Ausgabe des Wochenblatts vom 29. November wurde auch erklärt, wozu eigentlich Arbeiter- und Bauernräte ins Leben gerufen werden sollten: "Zweck und Aufgabe der Bauernräte ist es, die ländliche Bevölkerung mehr als bisher unmittelbar zur politischen und wirtschaftlichen Mitarbeit heranzuziehen und dadurch das Interesse am Staate und allgemeinen Wohle zu fördern. Die Bauernräte sind die Stelle, wo alle Wünsche, Anregungen und Beschwerden der Bevölkerung ständig zum Ausdruck kommen sollen."

Zur Wahl hatten sich, wie einen Tag später berichtet wurde, eine "ungemein große Anzahl von Männern und Frauen eingefunden - nach flüchtiger Zählung über 400", so dass die Wahl mit dem großen Rückhalt aus der Bevölkerung ordnungsgemäß über die Bühne gehen konnte. In einer Resolution wurde begrüßt, dass "dem Volke bis in seine unteren Schichten nunmehr Gelegenheit gegeben wird, an der Bestimmung seines Geschickes mitzuarbeiten". Es sollten jedoch baldmöglichst Wahlen zur "bayerischen Nationalversammlung" stattfinden. Und: "Die Geheim- und Kabinettspolitik der alten Regierung hat uns den Ruin gebracht, das Volk will nicht, dass viele Methoden auch unter dem neuen Regime fortgesetzt werden, es verlangt volle Öffentlichkeit aller Besprechungen und Verhandlungen. Das bayerische Volk hat es satt, sich als Stimmvieh gebrauchen zu lassen. Es ist gegen den Bolschewismus, wie überhaupt gegen jeden Radikalismus, es will eine Ordnung der Dinge auf demokratischer und sozialistischer Grundlage."

Am folgenden Sonntag konnte auch in Heideck im "Saale des Herrn Mändl die Wahl eines Arbeiter- und Bauernrates vorgenommen werden. In etwas schüchterner Form zeigte sich der erste Anlauf der Weiblichkeit. Es fand die Wahl von sieben Räten statt, die eine gemeinsame Vertretung der sämtlichen Berufsklassen insbesondere der Arbeiter und Bauern gewährleisten sollen." Laut Wochenblatt wurden auch in Thalmässing und Eysölden in diesen Tagen Arbeiter- und Bauernräte gewählt. In Thalmässing wurde die Hilpoltsteiner Resolution übernommen. So sparte man sich etwas Arbeit.

Kurt Eisner schwebte ein humaner Sozialismus vor. Als Anhänger der direkten Demokratie schätzte er das Rätewesen, hatte aber auch etwas für den Parlamentarismus übrig. So stimmte er der Forderung nach Wahl eines bayerischen Landtages zu, obwohl er sich eigentlich auf die bayerischen Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte hätte stützen können. Als Wahltermin einigte man sich auf den 12. Januar 1919. Bereits am 1. Januar 1919 warb die Bayerische Volkspartei, eine erst wenige Wochen zuvor gegründete Partei - und in gewisser Weise Vorläufer der CSU - auf der Titelseite des Hilpoltsteiner Wochenblatts für sich. Die Deutsche Volkspartei folgte in der Folgeausgabe am 4. Dezember mit einer gleich großen Anzeige auf der ersten Seite. So verwunderte es nicht, dass im Bezirk Hilpoltstein bei der Wahl schließlich die meisten Stimmen die Bayerische Volkspartei und die Deutsche Volkspartei erhielten, gefolgt von Sozialdemokraten, Bauernbund und Nationalliberalen sowie der Mittelstandspartei. Die USPD Eisners bekam keine Stimme.

Zwar hatten nun die SPD und bürgerliche Parteien die Landtagswahlen gewonnen, doch die Räte wollten sich so schnell nicht ins Abseits drängen lassen. Nach der Ermordung Eisners am 21. Februar 1919, also am Tag der konstituierenden Sitzung des bayerischen Landtags, durch einen rechtsradikalen Attentäter, trat der Landtag erst wieder am 17. März zusammen. Ein Aktionsrat mit SPD, USPD, KPD und Bauernräten wählte an diesem Tag Johannes Hoffmann von der MSPD zum neuen Ministerpräsidenten. Doch schon vom 6. auf den 7. April übernahmen Anarchisten und Pazifisten wie Gustav Landauer, Ernst Toller und Erich Mühsam die Regierung, beschlossen die Auflösung des Landtages und proklamierten eine Räterepublik. Hoffmann, seine Minister und die gemäßigten Landtagsabgeordneten flohen nach Bamberg. Um das Chaos in München perfekt zu machen, drängten nur wenige Tage später die Kommunisten an die Macht. Sie handelten nach Lenins Vorgaben. Eine Versammlung der Betriebs- und Soldatenräte erklärte den Zentralrat für aufgelöst. Ein kommunistischer Aktionsausschuss bildete nun die neue Regierung, der KPD-Funktionär Eugen Leviné vorstand.

Die Reaktion im nördlichen Bayern ließ nicht lange auf sich warten - man rüstete zum Gegenschlag. Im Hilpoltsteiner Wochenblatt vom 12. April 1919 wurde deshalb auf der Titelseite zur großen Massenversammlung am Sonntag, 13. April, gegen die Räterepublik aufgerufen. "Der einmütige Wille des Volkes muss den Fremdlingen in München zeigen, dass wir vom Bolschewismus nichts wissen wollen!", heißt es dort. Am 14. April stand über die Versammlungen im Wochenblatt: "In Allersberg, Heideck, Hilpoltstein und Thalmässing fanden gestern am Sonntag Massenversammlungen statt, um zur Räterepublik Stellung zu nehmen. In Scharen war die Bevölkerung überall herbeigeströmt, alle Stände waren vertreten. Einmütig wurde in sämtlichen Versammlungen energisch gegen die Räterepublik Stellung genommen."

Am 16. April 1919 veröffentlichte die (Nord-)Bayerische Regierung auf der Titelseite des Wochenblatts: "Bayern! Volksgenossen! Unser Land ist in schwerer Gefahr. Eine kleine Schar, nur auf Zerstörung bedachter, landfremder Phantasten, will unser hartgeprüftes Volk in den gewaltigsten Bürgerkrieg stürzen. Gewissenlos nützt sie die durch Lebensmittelnot und Arbeitslosigkeit verursachte Erregung der Bevölkerung für ihre verbrecherischen Zwecke aus. Arbeiter! Bauern! Bürger! Erhebt euch wie ein Mann. Eilet alle herbei zum Schutze des Landes und der Freiheit. Sichert die Früchte der Revolution, rettet Sozialismus und Demokratie! Keine ,Weiße Garde' - eine wahre Volkswehr soll gebildet werden. Freiwillige vor! Eilet zu den Waffen!"

Wie dem Laibstädter Kriegstagebuch 1914 bis 1918 zu entnehmen ist, wurde diesem Aufruf auch auf dem flachen Land gefolgt: "Nach dem verlorenen Krieg stand in den Städten eine rote Armee auf, zusammengesetzt aus Revolutionisten, Gesindel und fahnenflüchtigen Gesellen von den Gefängnissen und Zuchthäusler, die sie herausgelassen hatten. Man war seines Lebens und Eigentums nicht mehr sicher. Man wusste nicht, ob die Bande nicht jeden Augenblick in die Bauerndörfer kommen würde zum Schrecken, plündern und rauben [sic!]. Um dagegen sich ein wenig zu schützen, haben sich in den Gemeinden die Gemeindewehren gebildet. Auch in Laibstadt wurde eine solche gebildet. Alle mündigen Einwohner waren gerufen. An der Spitze Vizefeldwebel Tempelmeier Max, Zimmermann von Laibstadt. Alle Bewohner wurden mit Waffen und Munition versehen, auch leichte Maschinengewehre standen zur Verfügung. Versammlungen und Aufklärungen wurden gegeben. Auch Schießübungen wurden in der benachbarten Ortschaft Bergen gehalten. Alles wurde gerüstet, doch das Gesindel kam nicht. Nach einiger Zeit flaute die ganze Aufregung wieder ab. Es wurde immer ruhiger und friedlicher. Eines Tages kam die Polizei und sammelte die Waffen und Gewehre wieder ein. Die Ordnung war wieder hergestellt und alles ging wieder seinen alten Gang, wenn auch schwer und hart. Doch Überfälle, Raub und Mord waren nicht mehr zu befürchten. Auch die Räterepublik mit Bauern, Arbeitern und Rätegesellschaften hörte wieder auf. Es galt wieder der alte Bürgermeister als Oberhaupt. Und so leben die Bürger und Gemeinden bis zum heutigen Tag."

Nachdem Ministerpräsident Hoffmann am 16. April Berlin um Hilfe gebeten hatte, lief, verbunden mit einer massiven Propaganda, die Reichsexekution gegen die Räterepublik an. Ordentliche Truppen und Freikorps (Freiwilligenverbände) wurden mit Eisenbahnzügen herangefahren. Ende April war München eingeschlossen und am 3. Mai erobert. Die rechtsradikalen Freikorps, denen eine Woche lang "Schießfreiheit" zugestanden wurde, "machten Ordnung" auf ihre Weise. Unzählige Tote, darunter auch viele unbeteiligte Zivilisten, waren die Folge. Dies mitzuerleben blieb dem friedliebenden Kurt Eisner erspart.

Norbert Herler