Nürnberg
Frauen sind im "Herrengedeck" willkommen

Eine neue Bar in Nürnberg pfeift auf den Zeitgeist - Hochprozentige Traditionen werden groß geschrieben

16.07.2019 | Stand 02.12.2020, 13:30 Uhr
Ein weißes Hemd und ein paar Hosenträger - mehr braucht Enchev für die Rolle des stilvollen Barmixers nicht. −Foto: Pelke

Nürnberg (npe) Immer mit der Zeit zu gehen, kann furchtbar anstrengend sein.

Mit gängigen Moden hat Yordan Enchev zum Glück nichts am Hut. Der 35-jährige Barkeeper setzt auf klassische Zutaten wie zeitlose Eleganz und kompromisslose Qualität.

Ein weißes Hemd und ein paar Hosenträger - mehr braucht Enchev für die Rolle des stilvollen Barmixers nicht. Diese wohltuende Abkehr vom marktschreierischen Alltag spiegelt sich in der harmonischen Einrichtung wider. Aus einer alten Fachwerkstube in der Schlotfegergasse beim Weißen Turm hat Enchev einen urgemütlichen Genießer-Club gemacht. Kleine Nischen verströmen den maritimen Charme einer Offizierskajüte. In einem eingelassenen Wandregal steht eine veritable Bar-Bibliothek für Cocktail-Nerds bereit. An den Wänden stört keine nervige Neon-Reklame mit den sonst so unvermeidlichen "Happy Hour"-Angeboten das Auge des Trinkers. Stattdessen leuchtet die wunderschöne Skyline der Nürnberger Altstadt kupferfarben von der Wand.

"Warum soll ich eine amerikanische Bar machen? Nürnberg ist doch schön genug", ist sich Enchev sicher. Diese selbstbewusste Philosophie zeigt sich besonders in der ausgezeichneten Getränkekarte. 16 eigene Kreationen und 216 Klassiker hat Enchev im Angebot. Nicht alle Drinks stehen dankenswerterweise auf der Karte. Yordan Enchev schwört auf alte Tugenden. "Ich empfehle meinen Gästen gerne im persönlichen Gespräch den passenden Cocktail", sagt der 35-jährige Barkeeper aus Bulgarien, den es 2002 von der Schwarzmeerküste nach Franken verschlagen hat.

Vielversprechend hören sich viele Kreationen an. Der "Chicago Typewriter" lockt zum Beispiel mit Bourbon und hausgemachtem Honigsirup. Als i-Tüpfelchen gibt Enchev geräucherten Rhabarber in den Shaker. Den "Veneziano" serviert Enchev mit Aperol, Wermut, Tonic und Orangenscheibe. Safttüten kommen dem traditionsbewussten Barkeeper übrigens überhaupt nicht hinter den Tresen. "Ich verwende für meine Cocktails nur frische Früchte. " Und noch eine Bar-Maxime macht den Bar-Freund glücklich. Die schlimmsten Mix-Missgriffe haben bei Enchev sogar Hausverbot. "Manche Drinks mixe ich nicht. Zum Beispiel einen Long Island Ice Tea. Der geht überhaupt nicht. " Das sei nur Alkohol mit Cola. So etwas mutet Enchev seinen Gästen nicht zu.

Stattdessen brilliert die neue "Herrengedeck"-Bar in Nürnberg mit den namensgebenden Gedecken. Die schon bei unseren Vorvätern beliebte Kurz-Lang-Kombination gibt es bei Enchev in der Gourmetversion. Statt Pils und Korn kann der geschmacksbewusste Gast im "Herrengedeck" zum Beispiel ein Brooklyn Lagerbier aus New York mit einem Eagle Rare Bourbon kombinieren. Der traditionsbewusste Barkeeper hat seinem "Bar-Baby" nicht umsonst den Namen "Herrengedeck" gegeben.

"Ich habe schon immer von einer eigenen Bar geträumt. " Nach vielen Jahren hinter dem Nürnberger Tresen der "Bar Europa" und einer langen Immobiliensuche ist der Traum in der Schlotfegergasse zwischen Plärrer und Weißem Turm nun Wirklichkeit geworden. Ein "Damengedeck" (Sekt und Softdrink) steht übrigens nicht auf der schönen, weil schlichten Karte. Frauen sind im "Herrengedeck" dagegen trotzdem ausdrücklich willkommen.

Für das Foto-Shooting mixt Enchev einen perfekten "Gimlet": schön erfrischend mit einer leichten Säurenote. Die Vorliebe für diesen trockenen Klassiker hat sich der Selfmade-Barmaestro bei dem legendären Privatdetektiv Philip Marlowe aus der Edel-Krimifeder von Raymond Chandler abgeschaut. "Den Gimlet haben die britischen Navy-Offiziere früher zur besseren Vitaminversorgung getrunken", erklärt der Barkeeper von Welt. Enchev ist eben nicht nur ein klassisch guter, sondern auch ein gut belesener Barkeeper.