Thalmässing
"Es geht um unser geistiges Erbe"

Lesung mit vier Autorinnen zur Bücherverbrennung im Jahr 1933 im Gemeindezentrum St. Marien in Thalmässing

11.05.2018 | Stand 23.09.2023, 3:11 Uhr
In Erinnerung an die Bücherverbrennung vor 85 Jahren lesen vier Autorinnen in St. Marien aus ihren Werken. −Foto: Foto: Unterburger

Thalmässing (HK) Es ist inzwischen schon Tradition, dass anlässlich der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 Lesungen im Gemeindezentrum St. Marien stattfinden.

Am Vorabend der Bücherverbrennung vor 85 Jahren lasen vier Autorinnen aus ihren Werken: Barbara Klingel aus Allersberg/Kronmühle, Hanne Mausfeld aus Remscheid, Sandra Eberwein aus Eckental und Ruth Lenz-Tichai aus Fürth. Alle vier Autorinnen gehören der Schreibgruppe Eckental an. Musikalisch umrahmten die beiden Gitarristen Elisabeth Beyer aus Liebenstadt und Roland Schrüfer aus Thalmässing, die sich "Rolis Gitarrenduo" nennen, die Lesungen mit Sinti-Jazz.

"Es geht um unser geistiges Erbe", sagte Ursula Klobe, die stellvertretende Bürgermeisterin, "es geht um die Tatsache, dass 1933 geistiges Eigentum absichtlich verbrannt worden ist. " So sei es wichtig, an diese Schande zu erinnern, um die Meinungsfreiheit zu schützen. Autokraten wie Erdogan, Putin oder Trump würden heute Grundrechte wie die Meinungsfreiheit immer mehr einschränken.

"Thalmässing unterstützt uns immer tatkräftig", lobte Cordula Doßler von der Volkshochschule im Landkreis Roth. "Es ist gesellschaftlich richtig, wenn wir uns an die Bücherverbrennungen im ,Dritten Reich' erinnern und diese nicht verdrängen. " Studenten und Professoren hätten damals im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie Bücher verbrannt. "Wir brauchen Aufklärung und ein kritisches Einbringen in die Gesellschaft", forderte Doßler, "Wörter sind gefährlich - immer noch. " Wir müssten sorgfältig mit Wörtern umgehen und Wörter sorgfältig wählen. Der Begriff "Heimat" sei im sogenannten Dritten Reich diskreditiert worden. Heute sei Heimat wieder stark gefragt. "Es ist ein Grundbedürfnis der Menschen, sich regional zu organisieren", schloss Cordula Doßler.

Die Lesungen der vier Autorinnen waren thematisch in drei Teile gegliedert: Zunächst trugen sie eigene Texte zum Thema Bücherverbrennung vor. Dann lasen sie Gedichte und Kurzprosa zum Thema "Worte und Schreiben". Abschließend beleuchteten sie das Thema "Heimat" aus ihrer Sicht.

Barbara Klingel berichtete, dass sie seit ihrer Studentenzeit schreibt. Sie hat Gedichte und Prosatexte in Anthologien und in der "Alters-Klasse" veröffentlicht und gab im Jahr 2016 das Buch "Tanze im Traum auf dem Schornstein der Erzählhut auf meinem Kopf" heraus. In einem ersten Text setzte sich Barbara Klingel mit Begriffen wie "Wider den undeutschen Geist", "brennende Scheiterhaufen", "Reichsverräter", "innere Emigration" und "Verfemte Dichter" auseinander.

Beim Thema "Schreiben und Worte" überraschte die Autorin mit einem Gedicht, bei dem jedes Wort mit dem gleichen Buchstaben beginnt ("Bücher bringen Belesenheit, bauen Bilder in meinem Kopf") und mit heiteren Betrachtungen über "Bedrohte Wörter". Barbara Klingel schloss mit ihrer Kurzgeschichte "Grenzüberschreitungen", in der sie von der Flucht einer Familie am Kriegsende vom Sudetenland nach Bayern erzählte, sowie mit dem humorvollen Mundart-Gedicht "Mir daugds" (Mir taugt es): "Wenn der Bauer odelt, derf i zwaa Dooch ka Fenster aufmachen. Des daugd mir, weil des is mei Heimat. "

"Ich wurde in Lauf geboren, meine Heimat ist Erlangen und heute lebe ich in Fürth. " Mit diesem Satz stellte sich die Autorin Ruth Lenz-Tichai vor. Sie schreibt seit 15 Jahren, ist Mitglied im Autorenverband Franken und betreibt einen Blog, den sie "Fregattensommer" nennt und in dem sie heitere Betrachtungen des Lebens veröffentlicht. Sie trug nachdenkliche Gedichte und Kurzprosa zum Thema "Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück" und "Poesie" vor: "Zwischen Gaskammern und Perfektionismus haben wir die Poesie verloren. " Anschließend gab sie Textkostproben zum Thema "Worte und Schreiben". "Lasst uns Worte retten, bevor sie aussterben. ", so die Autorin, "Worte sind wie Dinge aus feinstem Porzellan. Lasst sie nicht fallen. " Viel Beifall von den Zuhörern gab es für ihren heiteren Prosatext "Schreibdrang auf dem Kassenzettel", in dem sie auf witzige Weise über ihre Schreibsucht erzählte.

"Ich bin ein großes Schiff und habe alles abgeworfen, was ich nicht mehr brauche", so Lenz -Tichais Überlegungen zum Thema "Heimat": "Ich breite einen Teppich aus mit Walderdbeeren". Auch Worte könnten Heimat sein, schloss die Autorin.

Hanne Mausfeld kommt aus Remscheid. Sie schreibt seit 20 Jahren. "Früher habe ich leidenschaftlich gern getöpfert", erzählte sie, "vor 15 Jahren habe ich eine Schreibgruppe gegründet. " Ende dieses Jahres erscheint ihr Buch "Meine Heimat - deine Heimat - keine Heimat".

Mausfeld trug längere Passagen aus ihrem Roman vor, dessen Handlung im 16. Jahrhundert in Spanien spielt. Im Mittelpunkt steht ein Mädchen namens Mariam. Sie und ihre Schwester Ayse sind Kinder des muslimischen Buchhändlers in Grenada. Die Existenz des Buchhändlers wird zerstört, als er seine Bücher abgeben muss. "Im Jahre 1500 gab es eine große Bücherverbrennung in Grenada", berichtete die Autorin, "alle muslimischen Schriften wurden ins Feuer geworfen, man glaubte, damit diese Religion ausrotten zu können. " Einzig die medizinischen Schriften der Araber seien aufgehoben worden, weil die Araber damals schon eine sehr fortschrittliche Medizin gehabt hätten.

Sandra Eberwein lebt in Eckental. Sie las Kurzgedichte vor, in denen sie beispielsweise "eine kleine Reise durch meine Welt" unternahm, über "Küsse, die nach Kaffee schmecken" und über einen "gebetenen Gast" erzählte und auf surreale Weise Bilder von "Mondschwestern" und "küssenden Fröschen" vorstellte: "Heute trage ich den Mond in den Augen, unten stehen die Prinzen Schlange für einen Kuss. Kommt doch hervor, ihr Worte, mit Bedacht. ", lautete eine poetische Textzeile aus Eberweins Gedicht "Nacht-sonett". Aus der Sicht eines Kindes, das sich vor dem dunklen Keller fürchtet, war ihr Text "Kohlen holen" geschrieben.

"Es ist gut, dass heute viele Worte erlaubt sind", sagte Ursula Klobe in einem kurzen Resümee nach den interessanten Lesungen, "es gibt heute viele Menschen, die wegen ihrer Worte eingesperrt sind. " .

Robert Unterburger