Nürnberg
Der Superstar als Sängerkumpel von nebenan

Kiefer Sutherland zeigt im Nürnberger Hirsch, dass ein Schauspieler auch ein guter Entertainer sein kann

15.06.2018 | Stand 23.09.2023, 3:47 Uhr
Matthias Hertlein
Der einsame Cowboy in der Südstadt: Kiefer Sutherland. −Foto: Hertlein

Nürnberg (HK) Es ist ein besonderer Abend, ein musikalisches Genuss-Vergnügen am Mittwochabend im fast ausverkauften Musikclub Hirsch in Nürnberg: die letzte umjubelte Station der Deutschland-Tour des Schauspielers und Weltstars Kiefer Sutherland - als Country-Sänger mit seiner vorzüglichen Band.

Dreckiger, kantiger, aber auch einfühlsamer Country Rock, mit reichlich Rhythm & Blues getränkt.

Als Leinwandheld Jack Bauer tötete der 51-Jährige in acht Staffeln 270 Menschen in acht Staffeln, im Hirsch killt er gekonnt und souverän das Vorurteil, dass ein erfolgreicher Schauspieler nicht zwingend auch ein guter Sänger, Entertainer sein muss.

Warum geht man in ein Sutherland-Konzert? Die Kernfrage vor dem außergewöhnlichen Gastspiel des gebürtigen Briten mit Wahlheimat Kanada. "Ich bin ein großer Verehrer von Vater Donald und Sohn Kiefer, so nah kommt man normalerweise nicht an den Star heran", erzählt Eva, eigens aus dem Landkreis Erlangen angereist. Und: "Ich wusste gar nicht, dass Kiefer Musik macht, hab mich auf YouTube informiert und war sofort angetan. "

Aktuell spielte Kiefer bis Mai 2018 in der Netflix-Serie "Designatetd Survivor", einen US-Präsidenten. Als Jack Bauer in der TV-Serie "24" erlangt er einst Kultstatus und wurde zu einem der bestbezahltenTV-Darsteller.

Seine Feierabendkarriere als Countrysänger mit Rocker-Attitüden macht ihm offensichtlich viel Spaß. Das spürt man bei jeder Bewegung, jedem Gitarren-Riff. Die Fans flippen aus, Kiefer ist gerührt. "Amazing" kommt es am Abend oft aus seinem Mund. Mittags bei der Ankunft vom Gig in Berlin und vor dem Auftritt in der der Nürnberger Südstadt gibt er reichlich Autogramme, er lächelt viel, begrüßt höflich die Mitarbeiter der Musikneipe, die Techniker und das restliche Personal.

Um 21 Uhr steht Sutherland auf der Bühne, steht sofort unter Strom. Kein Abtasten, rein ins etwa 70-minütige (Sauna)-Vergnügen. Es ist heiß im Saal. Eine Stehlampe auf einem Beistelltischchen beleuchtet eine Whiskeyflasche. Ein halbes Glas, so sein Ritual, schüttet der 51-Jährige vor jedem Auftrtitt in einem Zug runter, danach gibt es nur noch Wasser.

Cowboystiefel, weißes Hemd, Schlangenmuster-Halbjacke, lässig ein Schal um den Hals gewickelt, ein Stetson als Kopfschmuck und mit einer Gibson-Gitarre bewaffnet: 19 Stücke serviert Kiefer, erweist sich als cooler Poser, als einfühlsamer und einsamer Held und Verlierer, als Rocker, der stimmlich ein wenig an Bryan Adams erinnert.

Er erzählt Geschichten über das Leben. Über Pleiten, Alkohol-Eskapaden, gebrochene Herzen, Schicksale. Mit rauer, kratzender Stimme gibt er Einblicke in sein Seelenleben. Das weibliche Publikum verfolgt jauchzend und staunend mit den Augen - fast wie Verfolgungsstrahler - beinahe jede Bewegung des singenden Schauspielers. Seine Combo lässt ihn gewähren, Michael Gurley, Austin Valleijo (beide Gitarren), Joseph DeLeo (Bass) oder auch Schlagzeugerin Jess Calcaterra geben ihm das Gefühl von Geborgenheit, sie sind gut aufeinander eingespielt.

Und Kiefer Sutherland schwärmt von seinen Idolen wie Johnny Cash, Merle Haggard, Kris Kristofferson, Tom Petty. Von Letzerem übernimmt Kiefer "Honey Bee", von Haggard "Bottle Let Me Down". Zum Ende des normalen Programms kommt Kiefer mit "Down In A Hole", gleichzeitig der Titel seiner bisher einzigen CD, fetzig daher. Längst hat er sich Jacke und Hut entledigt. Tattoos sind an beiden Armen erkennbar.

Die Krönung des Abends: Götterverehrung oder unglaubliche Wertschätzung für einender größten Songwriter dieses Planeten. Als zweite von drei Zugaben zelebriert Sutherland wahrlich gekonnt und nicht kitschig den ausgenudelten Dylan-Klassiker "Knockin' On Heaven's Door" und für His Bobness fällt der Schauspielerstar sogar auf die Knie. Ehrfurcht und Würdigung gleichermaßen.

Und dann kommt natürlich die Geschichte von seinen Eltern, die sich in den 70ern haben scheiden lassen. Kiefer und seine Zwillingsschwester Rachel wohnten zeitweise bei Papa Donald, der damals gerade "M. A. S. H. " abgedreht hatte. Vater Donald hatte einen roten 66er-Ferrari und nur eine Kassette mit acht Dylan-Liedern im Auto. Und er fuhr die Kids mit dem Schlitten zur Schule. Eines der Stücke war eben "Knockin' On. . . " Das prägte den Sohnemann. "Das war schon cool", erinnert sich Sutherland auch in Nürnberg. Der Höhepunkt eines "amazing" Abends, eines tollen, speziellen Auftritts eines Sängerkumpels von nebenan und ohne Allüren.
 

Matthias Hertlein