Neumarkt
Mahnmale gegen das Vergessen

In Neumarkt und Sulzbürg erinnern weitere Stolpersteine an die Opfer der NS-Zeit

22.07.2018 | Stand 02.12.2020, 16:01 Uhr
Vor dem Haus, wo die Ermordeten gelebt haben, legte Bürgermeisterin Gertrud Heßlinger eine Rose nieder. −Foto: Meyer

Neumarkt/Sulzbürg (HK) Zeitzeugen, die über den Holocaust berichten können, werden immer weniger. Umso wichtiger ist die Erinnerung an die Opfer. Stolpersteine in vielen Städten sollen dazu beitragen. Auch in Neumarkt gibt es sie seit rund zwei Jahren. Weitere sind in dieser Woche verlegt worden.

Stolpersteine sind Betonsteine, jeweils zehn mal zehn Zentimeter groß und mit   einer Messingplatte versehen. Auf dieser ist   Name,  Sterbeort und  Sterbedatum  eingraviert. Der Künstler Gunter Demnig   hat sie vor den Häusern der  NS-Opfer verlegt in der  Bahnhofstraße 14 und 20  in Neumarkt und am Vorderen Berg 18 in Sulzbürg. 
 
An beiden Orten fanden parallel dazu  Gedenkfeiern statt. Das P-Seminar des Neumarkter Ostendorfer-Gymnasiums  hatte unter der  Leitung von Studienrat Matthias Meyer die Lebensgeschichte der ermordeten Juden erforscht.  Stadtarchivar  Frank Präger und Stadtmuseumsleiterin Petra Henseler halfen  den Schülerinnen  dabei. Hannes Mühlenbruch und Helmut Enzenberger gestalteten die Feier mit Klezmer-Musik.
 
In der Bahnhofstraße ließen sich im 19. Jahrhundert zahlreiche aus Sulzbürg zugewanderte Juden nieder. Deshalb wurde die Straße im Volksmund auch als Judenstraße bezeichnet.  Hier wohnte auch die Familien Landecker.  Vater Ludwig war als Viehhändler tätig. Er unterstützte viele  Neumarkter, als sie im Ersten Weltkrieg Not litten, mit Nahrungsmitteln.  Mit seiner Frau Karolina hatte er drei Kinder, Berthold,  Selma und Justin. Ludwig Landecker und seine Frau wurde  in  der Reichspogromnacht am 10. November 1938 ins Neumarkter Gefängnis geworfen. Dort starb der 64-Jährige an den Misshandlungen. Seine Frau wurde 1942 ins KZ Auschwitz deportiert, wo sie am 12. Oktober 1943 ermordet wurde. Die  Kinder Berthold und Selma wurden ebenfalls festgenommen und am Karfreitag des Jahres 1942 ins ostpolnische Piaski verfrachtet und danach umgebracht. Dem jüngeren Bruder Justin gelang die Flucht.   
 
Ein besonderer Gast war bei der Verlegung der Stolpersteine dabei: Fena MacDonald kam aus Washington D.C. nach Neumarkt.  Sie ist über mehrere Ecken mit den Landeckers verwandt. Über  die in Sulzbürg wohnende Professorin  Heide Inhetveen, die die Aktion „Stolpersteine“ vor Ort mit ins Leben rief, kam sie nach Neumarkt auf die Spuren ihrer Vorfahren. „Es berührt mich sehr und ich freue mich, dass die Opfer nicht vergessen sind“, sagte die 46-Jährige, als sie eine Rose an den Messingplatten  in der Bahnhofstraße 20 niederlegte. 
 
Dort wohnte Sophie Landecker mit ihren Söhnen Leonhard und Martin. Mutter und Sohn Leonhard wurden am Karfreitag des Jahres 1942 nach Piaski deportiert. Wo sie genau ermordet wurden, weiß man nicht. Bei Sohn Martin, der 1903 geboren wurde, stellte man eine Behinderung fest. Er wurde ab 1936 in mehrere Heilanstalten eingewiesen. Am 20. September 1940 brachte man ihn in die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz ,  wo er noch am selben Tag  starb.  Die Nazis bezeichneten behinderte Menschen als lebensunwertes Leben und Martin Landecker wurde im Rahmen des sogenannten Euthanasieprogramms umgebracht, über das Heinz Rösch von der Aktion Stolpersteine genauer berichtete. In Sulzbürg wird mit den Gedenksteinen an Simon und Thekla Freising erinnert. 
  
Neumarkts Bürgermeisterin Gertrud Heßlinger (SPD) zeigte sich erschüttert, dass heute wieder rechte  Parolen sogar  im Bundestag salonfähig seien und Nazi-Vokabular verwendet werde.   „Steht auf, widersprecht und ergreift Partei für die Menschenwürde“, appellierte sie an die Schüler und weiteren Umstehenden. Stellvertretender Landrat Helmut Himmler (SPD) dankte den Schülerinnen des Ostendorfer-Gymnasiums, dass sie sich im Unterricht ausführlich mit der NS-Zeit beschäftigt haben. 
Die evangelische Dekanin Christiane Murner und der katholische Geistliche Martin Fuchs betonten die Wichtigkeit des Erinnerns, damit sich Unrecht, wie es in der NS-Zeit geschah,  nie mehr wiederhole.   Der aufkeimende Antisemitismus, so Heide Inhetveen in Sulzbürg, mache die Verlegung solcher Erinnerungssteine umso notwendiger.