Hilpoltstein
"Fahrrad ist das neue Klopapier"

Händler erleben enormen Ansturm der Käufer - Corona beflügelt Nachfrage

07.06.2020 | Stand 02.12.2020, 11:13 Uhr
  −Foto: Bleisteiner

Hilpoltstein - Während in Corona-Zeiten viele Firmen Kurzarbeit anmelden, Arbeitnehmer Angst um ihren Job haben und viele Geschäfte um ihre Existenz bangen, sieht es bei den Fahrradhändlern ganz anders aus.

 

Sie gehören zu den wenigen Gewinnern in Zeiten der Corona-Krise. Weil Flugreisen in der aktuellen Zeit nur eingeschränkt möglich sind und viele Menschen auch gar keine Lust haben, unter den vielen Auflagen und Einschränkungen in die Ferne zu reisen, haben sie sich anscheinend dazu entschlossen, die Region mit dem Rad zu erkunden und den Urlaub getreu dem Motto "Das Gute liegt so nah" weitgehend in heimischen Gefilden zu verbringen.

Die Hilpoltsteiner Fahrradhändler wissen deshalb nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht. Ständig kommen Kunden und sehen sich neue Räder an, wollen ihr altes Fahrrad zur Reparatur bringen oder durchchecken lassen und holen sich für die Eigenreparatur Fahrradschläuche und Reifen. "Ich habe im Moment gar keine Zeit", sagt Edgar Häckl vom gleichnamigen Fahrradgeschäft in der Marktstraße am Mittwochvormittag. Während ein Kunde mit einem E-Bike gerade eine Probefahrt dreht, berät Häckl schon eine Familie, die für ihre Tochter ein neues Rad kaufen möchte. Und auch Häckls Sohn Yannik ist bereits in ein Beratungsgespräch vertieft. Zwischendrin holt ein Junge zwei Reifen ab, wobei er sich einen über die Schulter wirft und den anderen um den Lenker wickelt.

Über mangelnde Aufträge kann sich Zweirad Häckl also wahrlich nicht beklagen. Zwischen 50 und 100 Prozent mehr als zum gleichen Zeitpunkt des vergangenen Jahres schätzt Yannick Häckl das Umsatzplus. "Die Nachfrage nach E-Bikes ist in den vergangenen Jahren sowieso größer geworden", sagt Yannick Häckl und begründet dies mit dem steigenden Umweltbewusstsein der Menschen und dem Dienstfahrrad-Leasing von Firmen für ihre Angestellten. "Corona hat das Ganze natürlich noch mehr beflügelt", betont er. Viele Räder seien aber aktuell ausverkauft, die Lieferzeiten für manche Räder zögen sich bis in den Herbst hinein. "Das liegt vor allem an den Lieferengpässen auf dem asiatischen Markt mit Motoren, Akkus, Steckern oder Schaltungen", mutmaßt Yannick Häckl.

"Wir haben aber alles im Griff", sagt sein Vater Edgar, während er einen Fahrradreifen aufpumpt. "Die Reparaturen kriegen wir noch ohne große Wartezeiten hin. Und außerdem sind wir gut bevorratet", sagt er. Als hätte es der Hilpoltsteiner Fahrradhändler geahnt, hatte er im Spätsommer des vergangenen Jahres rund 200 E-Bikes vorbestellt. "Normalerweise bestellen wir etwa 140.". Doch der allgemein steigende Trend zum Rad hat ihn dazu verleitet, etwas risikoreich zu ordern - und das hat sich bezahlt gemacht. Zwischen 100 und 120 E-Bikes hat Häckl in seinem Laden für seine Kunden aktuell zur Auswahl. Als Anfang März die ersten Anzeichen der Corona-Pandemie abzusehen waren, hat er frühzeitig nachbestellt. "Aber jetzt muss man nehmen, was die Hersteller kurzfristig liefern können", sagt er.

 

Alle Hände voll zu tun hat auch Tobias Ullmann in seiner Fahrradwerkstatt in der Siegertstraße. "Ich hatte zu Beginn der Krise befürchtet, dass es uns Fahrradhändler ganz hart treffen würde", sagt er. Aber genau das Gegenteil sei eingetreten. "Es hat sich schnell herausgestellt, dass wir zu den Gewinnern gehören", freut sich Ullmann und begründet das zunächst damit, dass die Werkstätten wegen Corona nicht geschlossen wurden. "Ich hätte aber nicht gedacht, dass sich die Leute in dieser Zeit auch neue Fahrräder kaufen wollen", führt er seinen Gedanken weiter aus. Aber auch da wurde er eines Besseren belehrt, denn der Handel mit neuen Fahrrädern hat extrem zugenommen. "Seit vier Wochen geht es bei mir so zu, wie normalerweise am Vortag des Challenge Triathlons", sagt Ullmann und fügt hinzu "die Leute haben jetzt unheimlichen Nachholbedarf an Bewegung".

Ullmann bezieht seine Räder von einer Traditionsfirma aus Italien. "Die haben mich kurz vor dem dortigen Lockdown über ihre nahende Schließung informiert, so dass ich vorher meine Bestellungen von Rennrädern und Mountainbikes noch rechtzeitig tätigen konnte", sagt Ullmann und zeigt sich erleichtert, dass er von den Lieferengpässen auf dem asiatischen Markt kaum betroffen ist. Neue Räder in kleinen Stückzahlen sind im Geschäft von Tobias Ullmann noch vorhanden, und er kann auch wieder welche bestellen, denn "die Zusammenarbeit mit meinen Lieferanten läuft problemlos", sagt er.

Oft arbeitet Ullmann bis in die Nacht hinein in seiner Werkstatt. "Es ist jetzt eben eine besondere Situation, auf die muss man sich einfach einstellen", sagt er und zitiert schmunzelnd die Aussage eines Kunden "Fahrrad ist das neue Klopapier". Wegen der starken Nachfrage kann Ullmann Termine deshalb auch nur nach vorheriger Vereinbarung wahrnehmen und bittet seine Kunden deshalb um Geduld, wenn sie ein bisschen warten müssen.

Geduldig müssen auch jene Kunden sein, die über Radsport Buchstaller in der Allersberger Straße ein Sportrad beziehen wollen. Auch hier ist die Nachfrage groß und das Telefon steht nicht mehr still. Spezielle Wettkampfmaschinen für Triathleten können dort noch leichter bestellt werden als Standardräder für Otto-Normalverbraucher. "Ich kann viele Stammkunden nicht mehr bedienen, weil ich die Räder nicht mehr her kriege", klagt Karl-Heinz Leidel, der in seinem Laden ausschließlich Sporträder anbietet - aber keine E-Bikes. "Wenn ich heute alle meine Lieferanten kontaktiere, bekomme ich stets die Nachricht, dass die Räder ausverkauft sind. " Die Lieferketten waren unterbrochen, es gibt nichts mehr, das er nachbestellen kann.

 

Dennoch ist Leidel mit einem Blick auf die Geschäftsbücher halbwegs zufrieden. "Aktuell sind unsere Zahlen ungefähr so gut wie im letzten Jahr", sagt er und holt weiter aus. "In den vergangenen Wochen haben wir mit enormen Stress alles aufgeholt, was durch die vorübergehende Corona bedingte Schließung des Geschäfts gefehlt hat. Aber mir fehlt das komplette Triathlongeschäft. " Aktuell beleben Rennradeinsteiger das Geschäft. Viele lassen jetzt ihre alten Rennräder aufrüsten, die vorher zehn Jahre lang im Keller oder auf dem Dachboden verstaubt sind. Auch das Lager von Radsport Buchstaller ist gut sortiert und kann aktuell noch 200 bis 250 Sporträder aufweisen. Dennoch ist Leidel nicht glücklich mit der aktuellen Situation. "Für mich ist es enorm unbefriedigend, dass ich meine Stammkunden nicht wie gewohnt bedienen kann. Nur das was ich habe, kann ich verkaufen. "

HK