Nürnberg
Kreativbranche in großen Nöten

Grüne sorgen sich um Bars, Clubs und Veranstalter und laden an den Runden Tisch im Rathaus

07.09.2020 | Stand 23.09.2023, 13:58 Uhr
Matthias Hertlein
Um die Club- und Konzertszene sorgt sich die Grünenpolitikerin Verena Osgyan. Zum Runden Tisch im Rathaus sind Peter Harasim vom Concertbüro Franken (rechts) und David Lohdi vom Club Stereo gekommen. −Foto: Hertlein

Nürnberg - Runder Tisch zur Rettung der Kultur. Zum Thema "Perspektiven für Nürnberger Bars, Clubs und Veranstalter/innen", haben Bündnis 90/Die Grünen ins Nürnberger Rathaus geladen.

 

Vor der Sommerpause hatten die Grünen in einem Dringlichkeitsantrag die Bayerische Staatsregierung aufgefordert, endlich Großveranstaltungen zu definieren, damit die betroffenen Veranstalter "wenigstens in dieser Hinsicht rechtsverbindliche Leitplanken haben", sagte Verena Osgyan, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag. Als wichtige Kulturplayer waren Peter Harasim (einer von drei Geschäftsführern vom Concertbüro Franken) und David Lohdi (Club Stereo, Nürnberg Pop) eingeladen.

Dabei bemängelte Osgyan, gleichzeitig Sprecherin für Wissenschaft und Hochschulpolitik ihrer Partei, "dass die Aussagen von Ministerpräsident Söder und den zuständigen Staatsministern Sibler und Aiwanger zu den Perspektiven, wie es für Clubbetreiber und Veranstalter im Herbst weitergehen kann, immer noch völlig im vage bleiben". Hier brauche es einen Fahrplan mit Alternativszenarien im Falle einer zweiten Welle.

In der Kulturwirtschaft in Bayern sind laut Osgyan über 400000 Menschen beschäftigt. "Mehr als in der Autoindustrie und da sei Unterstützung vonnöten." Wenn demnächst die Freiluftsaison endet, die für viele eine Ausweichmöglichkeit war, sei eine prekäre Situation zu befürchten. "Wir fordern, dass die lebendige freie Szene in Bayern, in der Metropolregion in Nürnberg als zweitgrößte Stadt in Bayern erhalten bleibt, dass wir hier weiterhin ein reichhaltiges, buntes Kulturleben haben und da gehören natürlich Bars und Clubs dazu." Nachtkultur mache eine Großstadt aus, deshalb solle der Freistaat die Kreativbranche unter die Rettungsschirme nehmen. "Wir haben hier im Großraum eine sehr vitale Clubszene - die Situation ist dringender geworden, jetzt muss gehandelt werden, sonst werden sehr viele Player den Bach runter gehen."

Natalie Keller, kulturpolitische Sprecherin im Stadtrat, gab auch zu bedenken, "dass in Nürnberg demnächst viele Kulturorte unter den gegeben Umständen nicht mehr existieren können". Im Hinblick auf die Bewerbung Nürnbergs zur Europäischen Kulturhauptstadt 2025 müsse für die regionale Clubkultur schnellstmöglich Klarheit geschaffen werden. Um die Problematik der deutschen Bar- und Clubszene bundesweit ins Blickfeld zu rücken, ist für den 9. September in Berlin eine Großdemonstration der Branche unter dem Motto "Alarmstufe Rot" geplant.

"Die Absage von 'Lieder am See' mit Deep Purple hat uns sehr weh getan, da wären 10000 Leute gekommen. Die Band ist nicht mehr so ganz blutjung, irgendwann muss man sie noch einmal auf die Bühne stellen, sonst könnte es zu spät sein", sagte Peter Harasim und plauderte aus dem Nähkästchen: "Wir reden von 500 Einzelveranstaltungen, die wir auf 2021 verlegen müssen. Sisters of Mercy, ausverkauft, mussten bereits viermal, Selig dreimal verlegen. Das ist eine Katastrophe." Er habe habe keine Ahnung, wann es wieder zum normalen Konzertleben kommen werde, so Harasim. "Aber ich habe noch immer die Hoffnung, dass wir 2021 Deep Purple veranstalten können."

Ebenfalls unbefriedigend ist die Situation für Clubbetreiber Lodhi: "Es wird ein riskantes Spiel mit uns getrieben. Von uns wird verlangt, private Ressourcen in den Topf zu schmeißen." Das alles koste den Menschen nicht nur ein Stück Kultur, sondern auch Hoffnung. "Wie lange wir die Hände heben und sagen, wir Kulturschaffende sind da, das kann ich nicht sagen." Die Frage stelle sich doch, "was passiert, wenn die Kultur wieder darf, aber keiner mehr da ist. Wir müssen zusammenhalten und weiterhin Stärke zeigen."

"Wir müssen lernen, mit Corona zu leben, das heißt, dass wir unsere Kultur, unsere Kreativwirtschaft so lange intakt halten, bis ein Impfstoff gefunden und in der Breite verfügbar ist", orakelte Osgyan. Für Grünen-Landtagsmitglied Sanne Kurz stellt sich eine entscheidende Frage: "Was für ein Kulturverständnis die Gesellschaft hat, wir finanzieren Hochkultur aus der öffentlichen Hand." Es gebe aber auch junge Menschen, die Bedürfnisse haben und die sollte man ernst nehmen. "Die Politik in Bayern hat da nicht sehr weise reagiert, eher hilflos, das Schlimmste ist, dass die Reaktionen nicht mit den Betroffenen abgesprochen sind, dass man aber Pandemie-gerechte Lösungen finden sollte." Die CSU/Freie-Wähler-Regierung weigere sich, auf die Szene zuzugehen und Lösungen gemeinsam zu finden.

Laut Kurz gebe es Konzepte, die aus der Szene kommen und auf dem Tisch liegen. Diese seien regional kontrollierbar und gut nachvollziehbar, um zu verhindern, dass clevere 17-Jährige illegal auf der grünen Wiese Partys veranstalten und das Hotspots entstünden. Diese Partys wird es nämlich im Winter geben.

"Wir haben uns in den letzten Monaten dafür eingesetzt, dass es alternative Orte für die freie Kulturszene gibt, der Marienzwinger Kulturgarten ist ein positives Signal", sagte Natalie Keller. Gleichzeitig mahnte sie eine größere Kooperation zwischen der Stadt und Spielstätten an. Wichtig sei es, Strategien zu entwickeln, die sich länger tragen. "Wir müssen Sichtbarkeit zeigen." Und sich am 23. September im Maximilianeum in München Gehör verschaffen, da steigt im Landtag die erste Plenarsitzung nach der Sommerpause.

HK

 

Matthias Hertlein