Hilpoltstein
"Es wäre ein Armutszeugnis": Stadtrat zwingt Bürgermeister zu mehr Öffentlichkeit im Krisenmodus

15.01.2021 | Stand 23.09.2023, 16:26 Uhr
Zum vorerst letzten Mal hat der Hilpoltsteiner Stadtrat am Donnerstagabend in voller Stärke in der Stadthalle getagt. Künftig kommt der Krisenausschuss zusammen. −Foto: Münch

Hilpoltstein - Der aktuellen Lage zum Opfer gefallen ist in der Hilpoltsteiner Stadtratssitzung am Donnerstagabend die Debatte um den Standort einer neuen Sporthalle samt Lehrschwimmbecken auf dem Gelände der Hilpoltsteiner Grundschule. Gemäß der Vorgabe des Innenministeriums, sich auf "unverzichtbare, unaufschiebbare Entscheidungen" zu beschränken, um die Sitzungen wegen des hohen Infektionsgeschehens so kurz wie möglich zu halten, wurde das Schwimmbad-Thema kurzfristig von der Tagesordnung genommen, die noch vor der Verlängerung des Lockdowns ins Bayern zusammengestellt worden war.

 

Zum zentralen Punkt der Sitzung wurde deshalb die Entscheidung über die vorübergehende Einsetzung eines Krisenausschusses anstelle des Stadtrats. Paradoxerweise erstreckte sich diese Diskussion über satte eineinviertel Stunden und beanspruchte damit den Großteil der Sitzung für sich. Gegen vier Stimmen aus der CSU-Fraktion verständigten sich das 24-köpfige Gremium und Bürgermeister Markus Mahl (SPD) schließlich auf folgenden Weg der Entscheidungsfindung, bis der Krisenausschuss sich selbst wieder absetzt oder das Ende des Katastrophenfalls automatisch wieder die Rückkehr zur vollen Sitzungsstärke im Stadtrat bedeutet. Die Mitglieder des Krisenausschusses sind Ulla Dietzel, Moritz Krug, Edeltraud Stadler, Christoph Raithel (alle CSU), Christine Rodarius, Hedwig Waldmüller Benny Beringer (alle SPD), Markus Odorfer, Stefanie Schmauser-Nutz, Michael Greiner (alle FW), Dominik Gruber, Christoph Leikam (beide Grüne) sowie Bürgermeister Markus Mahl (SPD).

Jeweils zwei Tage vor den Sitzungen des Krisenausschusses, die wie gehabt an einem Donnerstagabend in der Stadthalle stattfinden sollen, werden die anstehenden Themen am Dienstagabend in einer Videokonferenz behandelt, zu der alle Ratsmitglieder eingeladen werden. Um die Öffentlichkeit ausreichend zu beteiligen, soll die Stadtverwaltung - entgegen der ursprünglichen Position des Bürgermeisters - die Möglichkeiten überprüfen, die Videokonferenz der Stadtratsmitglieder entweder als Livestream zu übertragen oder später als Aufzeichnung auf die Internetseite der Stadt zu stellen.

Dass die Aufgaben des Stadtrats wie schon im Frühjahr 2020, damals noch in der alten Besetzung des Gremiums, einem genau halb so großen Krisenausschuss übertragen werden soll - zumindest darüber herrschte im Stadtrat breite Einigkeit. "Wenn nicht jetzt, wann dann?", brachte es Bürgermeister Mahl auf den Punkt angesichts eines seit Dezember erneut ausgerufenen Katastrophenfalls in Bayern und einem Inzidenzwert im Landkreis Roth, der inzwischen zu den höchsten im ganzen Freistaat gehört. Dem Vorschlag Mahls, dass abgesehen von der Halbierung des Gremiums und einer Verkürzung der Sitzungen alles weitgehend so weiterläuft wie gehabt, wollten die Ratsmitglieder aber nicht folgen.

Für die besonders wichtigen Themen und größeren Projekte, die in diesem Jahr anstünden, brauche es nicht nur die Beteiligung der Hälfte, sondern das gesamten Gremiums, forderte etwa der CSU-Fraktionsvorsitzende Christoph Raithel. Man werde außerdem den Erwartungen der Wählerinnen und Wähler nicht gerecht, wenn künftig nicht auch die Vorbesprechungen öffentlich abgebildet werden. Die Einwände des Bürgermeisters, dass es vor einem Livestream der Vorbesprechungen noch die Problemfelder Technik und Datenschutz abzuklären gelte, wollte Raithel nicht gelten lassen. "Wenn wir solche Probleme nicht angehen und lösen könnten, wäre es ein Armutszeugnis."

Auch Benny Beringer sprach sich dafür aus, die bestehenden technischen Möglichkeiten zu nutzen, um das "Rad der Stadtratsarbeit" in vollem Umfang am Laufen zu halten. Damit war der SPD-Fraktionsvorsitzende auf einer Linie mit Markus Odorfer von den Freien Wählern. "Viele von uns sind im heutigen Arbeitsleben fast täglich in Videokonferenzen, da sollten auch Online-Sitzungen für Stadtratsmitglieder eine Selbstverständlichkeit sein", sagte der Meckenhausener, der sich ebenso wie Benny Beringer noch besonders für einen freien Zugang der Öffentlichkeit und der Presse zu den Online-Vorbesprechungen aussprach. "Ich habe noch keinen Stadtrat gehört, der wegen Bedenken zum Datenschutz bei solchen Videokonferenzen unkenntlich gemacht werden möchte."

Auch für den 21-jährigen Moritz Krug (CSU), dem mit Abstand jüngsten Stadtratsmitglied, blieb die Haltung des fast dreimal so alten Bürgermeisters zu diesem Thema fremd. "Was bringt denn ein Krisenausschuss, wenn die ausführlichen Debatten nicht ins Internet verlagert werden?", kritisierte Krug. Es führe kein Weg daran vorbei, dass die Meinungsbildung im Stadtrat künftig online passieren müssen, um das Ziel von möglichst kurzen Präsenzsitzungen im Krisenausschuss auch erreichen zu können. Das nun folgende kräftige Tischklopfen von Krugs Stadtratskollegen zeigte, dass der Jüngste im Gremium mit seiner Wortmeldung den zentralen Nerv zum Thema getroffen hatte. 

KOMMENTAR

Es steht bestimmt nicht zu befürchten, dass sich der überzeugte Sozialdemokrat Markus Mahl urplötzlich in einen demokratiefeindlichen Bürgermeister verwandeln könnte. Doch mit seinem Plan, wie sich der Hilpoltsteiner Rathauschef die Zusammenarbeit mit den Stadtratsmitgliedern im Krisenmodus der nächsten Zeit vorstellt, hat sich Mahl gründlich vergaloppiert. 

Es mag schon sein, dass auch eine knapp gehaltene Sitzung des Krisenausschusses noch einigen Raum zum Austausch der verschiedenen Argumente bietet, wie Mahl findet. Doch er liegt falsch, wenn er glaubt, dass auf diese Art schon ausreichend Öffentlichkeit hergestellt wäre.  Die Stellungnahmen der Fraktionsvorsitzenden und die folgende Abstimmung sind nämlich nur der eine Teil des demokratischen Entscheidungsprozesses. Doch es ist auf der anderen Seite mindestens genauso wichtig, die vorausgehenden Vorträge der Planer und die offene Debatte im Stadtrat mitverfolgen zu können. 

Diese Elemente der politischen Willensbildung wollte Mahl jedoch aus der Öffentlichkeit nehmen, indem er sich für eine vorab laufende Videokonferenz nur für Eingeweihte ausgesprochen hat. Damit hat sich Hilpoltsteins Bürgermeister – ob bewusst oder nicht – für eine zumindest teilweise Hinterzimmerpolitik eingesetzt, die niemand gut finden kann. 

Der Haltung des Stadtrats gebührt daher  ein Lob. Denn über alle Fraktionen hinweg haben sich die Gewählten  dagegen gestemmt, dass der Öffentlichkeit auch nur ein Teil des Entscheidungsprozesses vorenthalten bleibt. Zumal es tatsächlich einige heiße Themen in nächster Zeit zu besprechen  gibt. Sei es die Umgehungsstraße um Meckenhausen und Sindersdorf oder die Frage, ob sich die Stadt anstelle des Lehrschwimmbeckens künftig ein echtes Hallenbad leisten will. Es wäre ein Desaster, bei diesen Debatten die Bevölkerung außen vor zu halten. 

Einigermaßen verstörend wirkte   da auch der Einwand Mahls, man müsse bei einer öffentlichen Videokonferenz des Stadtrats erst einmal technische Probleme klären. In einer Zeit, in der ein virtueller Unterricht für alle Schülerinnen und Schüler längst ein fester Teil des Alltags geworden ist, sollte sich kein Bürgermeister die Blöße geben, digitale Alternativen mit turmhohen Herausforderungen zu verknüpfen. Denn auch hier gilt: Seit dem Ausbruch der Pandemie im Frühjahr 2020 ist genug Zeit vergangen, um sich auf die heutigen Umstände einzurichten. 

Jochen Münch