Thalmässing
Diesmal sitzt jeder Cineast in der ersten Reihe

Wegen der Corona-Pandemie gehen die Kurzfilmtage Thalmässing erstmals online - Abstimmung per Überweisung

17.05.2020 | Stand 23.09.2023, 12:03 Uhr
  −Foto: Kurzfilmtage-Team (2), Meis, Backhaus, Benkelmann, Trouillet

Thalmässing - Keine große Leinwand, kein kurzes Gespräch mit alten Bekannten und keine klirrenden Flaschen bei der Vorführung: Die Thalmässinger Kurzfilmtage können in diesem Jahr nicht im Bunker stattfinden.

 

Stattdessen bietet das Kurzfilm-Team am 22. und 23. Mai einen kostenlosen Online-Stream im Internet an. Jeweils ab 20 Uhr kann jeder mit stabiler Internetverbindung zuschauen. Außerdem wird das Programm im kommenden Jahr an zwei zusätzlichen Tagen nachgeholt.

Das Programm ändert sich nur wenig: Am Freitag laufen 16 Filme im Wettbewerb, am Samstag konkurrieren 10 Filme um die Sonderpreise. Die Preisverleihung zum Schluss wird ausfallen, stattdessen werden die Sieger eine Woche später bekanntgegeben. Und auch die Wahl der Lieblingsfilme läuft etwas anders ab: Statt der üblichen drei Kreuze auf dem Stimmzettel kann jeder mit einer Überweisung von drei Euro für seine Favoriten abstimmen.

 

"In diesem Jahr ist einfach alles anders. Es ist wirklich schade, dass wir nicht im Bunker sein können. Aber wir versuchen, das Beste draus zu machen - denn ausfallen lassen war für uns keine Option", sagt Hans Seidl, einer der vier Leiter des Festivals. Umso schöner sei es, dass alle Filmemacher einverstanden sind, die Filme online zu zeigen. "Wir hätten auch verstehen können, wenn der eine oder die andere Bedenken hätte. Dann hätten wir unser Programm umgestellt. Aber es machen wirklich alle mit", erklärt Seidl weiter.

Und was die Filmschaffenden am meisten gefreut habe: dass das komplette Programm bei den nächsten Kurzfilmtagen 2021 noch einmal auf großer Leinwand gezeigt wird. "Das scheint auch den Filmemachern am Herzen zu liegen. Es ist ja auch für uns etwas anderes, wenn die Filme im richtigen Kino-Flair gezeigt werden", findet Stefanie Singer, ebenfalls Festivalleiterin. "Erst jetzt wird einem richtig bewusst, was die Kurzfilmtage besonders macht. Beim Sichten der Filme überlegen wir ständig, wie das Publikum wohl reagiert. Es sind die ganzen Emotionen, die man alleine nicht so sehr wahrnimmt: Wenn jeder mit dem Lachen des anderen angesteckt wird oder wenn kein Laut mehr zu hören ist, weil der Film einfach so tragisch ist. Und das fällt jetzt leider alles weg. "

 

Was auch wegfällt, ist der Aufbau in der Woche vor den Kurzfilmtagen. Keine 200 Stühle schleppen, keine sechs Meter breite Leinwand aufbauen, keine schwarzen Vorhänge aufhängen. Aber der technische Aufwand bleibe ungefähr gleich: "Statt körperlicher Arbeit steht dieses Jahr noch etwas mehr Zeit vor den Rechnern auf dem Programm. Uns fehlen noch drei Filme, aber die Kurzfilme füllen schon gut 500 Gigabyte auf der Festplatte", erklärt Benedikt Seidl, Technikchef und Teil des Leitungsteams der Kurzfilmtage. "Inzwischen bekommen wir auch einige Filme in 4k-Auflösung. Da kann ein 15-minütiger Film auch 100 Gigabyte groß sein. "

Für den Stream muss Seidl alle Filme auf die gleiche Bildrate umrechnen, damit alles ohne Ruckeln durchläuft. Immerhin falle das Testen der Filme auf der großen Leinwand weg, aber auch für den Stream muss alles noch einmal kontrolliert werden. "Wir sind alle sehr gespannt, wie der Stream von den Leuten angenommen wird. Andere Festivals gehen den Weg, die Filme als Video-On-Demand anzubieten, aber wir wollten zumindest den Charakter der Abendveranstaltung beibehalten - nur eben im Internet", erklärt Benedikt Seidl.

 

Das Online-Sichten ist das Team der Thalmässinger Kurzfilmtage schon seit fünf Jahren gewöhnt. Seit Dezember haben die Kurzfilmbegeisterten etwa 180 Stunden Filmmaterial im Internet gesichtet. Über ein selbst eingerichtetes Portal schaut das Team, das mittlerweile in ganz Süddeutschland verstreut ist, die Kurzfilme und bewertet jeden Film in einer Skala von minus 4 bis plus 4. Knapp 500 Kurzfilme sind heuer eingereicht worden, daraus ein Programm mit 26 Filmen zusammenzustellen falle nicht leicht. "Bei der Endauswahl gab es schon auch einige Diskussionen, weil wir uns auch von guten Filmen trennen müssen, etwa weil sie viel zu lang sind," sagt Peter Hauke, der Vierte im Leitungsteam.

Das Auswahltreffen wurde in diesem Jahr ebenfalls online durchgeführt - per Videokonferenz. "Das ist schon anstrengend, einen ganzen Tag am Rechner zu sitzen und über Filme zu sprechen", findet Hauke. Das sonstige Treffen im Bunker mit Pizza, Keksen und Kaffee habe mehr Gemeinschaftsgefühl aufkommen lassen. Ein gutes Programm sei es trotzdem geworden. Mit Filmen aus Deutschland, Österreich, Schweiz, Ungarn, Frankreich, Japan, Südkorea, Südafrika, Griechenland, Argentinien und dem Iran. Auch die Themen seien komplett unterschiedlich. So führt die französische Animation "Gunpowder" einen Teeliebhaber nach China. Für seinen speziellen Teegeschmack braucht er die Blätter einer bestimmten Pflanze, die er nur dort finden kann. Er begibt sich auf eine bunte und wild animierte Reise durch Raum und Zeit. Die Dokumentation "Herzblut" verbindet drei Männer aus drei Ländern durch ihr traditionelles Handwerk: ein Fischer aus Deutschland, ein Schmied aus Österreich und ein Schäfer aus der Schweiz. Sie alle arbeiten mit Herzblut und dem Wissen, das sie wohl die letzten in ihrem Beruf sind.

 

Und der Film "Das beste Orchester der Welt" geht auf humorvolle Art in die Tiefe: Bei einem blinden Vorspiel werden die besten Musiker für ein renommiertes Orchester gesucht. Der Versuch, Diskriminierung zu vermeiden, gelingt nur teilweise. "Ein wirklich sehr lustiger, gut gemachter aber auch nachdenklich machender Film", findet Hans Seidl. Und auch ein paar bekannte Schauspieler sind in den Filmen zu sehen. In "Herbst" beispielsweise spielt der ehemalige Tatort-Kommissar Jörg Schüttauf einen Mann, der trotz der Diagnose Demenz viele Gründe findet weiterzuleben.

Im Programm sei für jeden etwas dabei - egal ob man lustige Komödien, aufwendige Animationen oder klassische Kurzspielfilme sehen möchte.

 

Was beim Streaming "klassisch" bleibt, ist das Moderationsteam. Peter Hauke und Hans Seidl werden wie gewohnt durch die beiden Abende führen. Die beiden werden im Bunker moderieren, damit etwas vom typischen Thalmässinger Kurzfilmtage-Flair erhalten bleibt. Da sie die Filmemacher heuer nicht im Bunker begrüßen können, haben einige Regisseure eine Videobotschaft zu ihren Filmen vorbereitet.

Alle Sponsoren unterstützen die Kurzfilmtage wie gewohnt. So können auch in diesem Jahr Preise verliehen werden: Am Freitag wählt das Publikum die ersten beiden Preise, die mit 1000 und 750 Euro dotiert sind. Der dritte Preis wird vom Team der Kurzfilmtage Thalmässing vergeben und ist mit 500 Euro dotiert. Am Samstag konkurrieren die Filme um die Horizonte-Preise (1000 und 500 Euro), die von einer Jury, bestehend aus Vertretern der bayerischen katholischen und evangelischen Medienstellen, vergeben werden.

"Jetzt hoffen wir einfach, dass beim Streaming auch wirklich alles gut klappt. Das ist ja schließlich auch für uns eine Premiere", sagt Hans Seidl. Diese ganz neue Art der Präsentation vorzubereiten, sei ein Abenteuer gewesen. Und jetzt sind die Verantwortlichen gespannt, wie viele Leute sich die Kurzfilme online ansehen. "Das können wir überhaupt nicht abschätzen", so Seidl.

Der Stream kann am Freitag und Samstag jeweils ab 20 Uhr bis etwa 23 Uhr unter www. kurzfilm-thalmaessing. de kostenlos abgerufen werden. Das Publikum kann sich auch später noch dazuschalten, nach der regulären Veranstaltungsdauer kann der Stream jedoch nicht mehr abgerufen werden. Im Wettbewerb am Freitag können die Zuschauer per Überweisung für drei Kurzfilme abstimmen. Dafür sollen drei Euro auf das dafür eingerichtete Konto eingezahlt werden, der Verwendungszweck ist der Kurztitel des oder der favorisierten Filme. Auch eine Abstimmung per Postkarte ist möglich. Da durch dieses Verfahren die Auszählung etwas länger dauert, werden die Preisträger nicht am Kurzfilmtags-Samstag sondern eine Woche später online und in unserer Zeitung verkündet. Nähere Informationen zum Verfahren sind in den nächsten Tagen auf der Homepage der Kurzfilmtage zu finden.

"Das klingt alles etwas kompliziert, aber wir wollten auf keinen Fall auf die Abstimmung verzichten. Denn wir sind nach wie vor ein Festival für das Publikum", findet Hans Seidl. "Ich finde es trotzdem schade, dass wir nicht jeden Einzelnen persönlich begrüßen können und auch die Gespräche bei einem Getränk oder Schnittlauchbrot werden fehlen", sagt er.

"Aber etwas Gutes hat das Ganze schon: Die stickige Luft im vollbesetzten Thalmässinger Bunker bleibt dieses Jahr allen erspart. " Sitzen könne auch jeder, wo er will, es gibt keine harten Stühle und man muss niemandem auf den Hinterkopf starren. Jeder sitzt in der ersten Reihe", ergänzt Stefanie Singer. "Und im nächsten Jahr holen wir hoffentlich alles nach. "

HK

 

Volker Luff