Allersberg
"Dann kam die erste richtig große Welle in Italien"

Wie das Touristikunternehmen Leitner den "Bloody Monday" erlebte und nun wieder hoffnungsfroh nach vorne blickt

16.06.2020 | Stand 23.09.2023, 12:22 Uhr
  −Foto: Messingschlager

Allersberg - Wer kennt es nicht, das mindestens 100 Seiten starke Heft, das schöne Tage am Gardasee, im winterlichen Salzburg, die Blüte in Meran, Weitblick von der Zugspitze und vieles mehr verspricht?

 

Alles organisiert und betreut von der Allersberger Firma Leitner. Und fast jeder hat mindestens ein paar "Best Ager" in seinem persönlichen Umfeld oder in der Familie, die schon "mit'm Leitner" quer durch Europa kutschierten.

Seit 72 Jahren ist das Traditionsunternehmen am Markt. Einmal in den Urlaub fahren, ohne sich um die Organisation, die Routenplanung, die Hotelreservierungen und Ausflüge kümmern zu müssen - diesen Trend hat Josef Leitner erkannt und 1948 sein Reiseunternehmen gegründet. Als im Jahr 1956 der erste eigene Reisebus vor der Tür stand, ging es richtig los. Zuletzt beförderte das Unternehmen 130000 Gäste pro Jahr - rund zwei Millionen gefahrene Buskilometer, Flugreisen von den Azoren bis Zypern, von Namibia bis nach Indien, Schiffsreisen auf allen Weltmeeren, der Donau oder dem Rhein. Rund 60 Millionen Euro Umsatz macht der Mittelständler - normalerweise.

Dieses Jahr wohl eher nicht, merkt Christoph Führer an, der seit 2019 Geschäftsführer von Leitner Touristik ist. Denn wie bei allen in der Reisebranche Tätigen, hat die Corona-Pandemie auch bei Leitner alles erst einmal gestoppt. Laut dem Deutschen Reiseverband und seinem Präsidenten Norbert Fiebig wird die Reisewirtschaft Umsatzeinbußen in Höhe von mindestens 10,8 Milliarden Euro zu verkraften haben. So geht Führer davon aus, dass bei Leitner Touristik jetzt schon ein Drittel des Umsatzes in Folge von Stornierungen weggefallen sind und noch ein weiteres Drittel ausbleiben könnte.

Begonnen hatte es Ende Januar mit China, da sind die ersten Stornierungen gekommen, auch für Malaysia, Singapur, Vietnam und andere Fernreisen. "Dann kam die erste richtig große Welle in Italien", sagt Führer, "der 24. Februar, der ,Bloody Monday'. " Das Italiengeschäft mache rund 30 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Sechs Wochen seien es da gerade noch bis Ostern gewesen, alles geplant, gebucht und die Leistungen gebündelt - 150 Reisen allein nach Italien. In der Folge seien es über alle Destinationen insgesamt 500 Reisen bis Ostern gewesen, die sukzessive gecancelt wurden. Sukzessive deshalb, da "die Reisewarnungen erst Ende März kamen", so Führer. "Da haben wir von Reise zu Reise geschaut und geprüft ob die Sicherheit unserer Kunden gewährleistet ist. "

 

Im März und April standen die Telefone Am Spitalwald 2 nicht mehr still: Umbuchungen, Stornierungen, viele wollten einfach auch nur erst einmal wissen, was los ist. Drei- bis viermal so hoch wie normal sei das Aufkommen gewesen, das reifere Publikum rufe noch an, sagt der Geschäftsführer und verweist darauf, dass man dies alles vor Ort in Allersberg bewerkstellige - ohne externes Call Center und ohne abgestellte Telefone. "Wer bei uns anruft, der hat einen Mitarbeiter des Unternehmens am Apparat. Wir sprechen persönlich mit unseren Kunden. Auch das ist unser Mehrwert. "

75 Mitarbeiter beschäftigt Leitner Touristik in Allersberg, die alles rund um die Reise organisieren. "Wir haben den Leistungsprozess komplett in der Hand", sagt Führer. Deshalb können auch alle Kolleginnen und Kollegen Serviceaufgaben am Telefon übernehmen. Gefahren, geflogen oder geschippert wird dann mit langjährigen Partnern. Angefangen hat Leitner mit Busreisen und sich über die Jahre zum Vollreiseveranstalter mit Flugreisen und einem umfangreichen Kreuzfahrtprogramm entwickelt - mit Fokus auf Gruppenreisen, insbesondere für die Best Ager. Wahrgenommen wird Leitner in der Region aber immer noch als Busunternehmen. "Das macht nichts", sagt Führer. "Obwohl Busreisen nur noch etwa die Hälfte unseres Geschäfts ausmachen. "

Trotz der hohen Telefonaktivitäten sind während der totalen Einstellung der Reiseaktivitäten natürlich weniger Mitarbeiter erforderlich. "Wir sind bisher gut durchgekommen, wir wollten und wollen wegen Corona niemanden freisetzen", so Führer. "Wir brauchen unsere qualifizierte und motivierte Belegschaft, um nach der Krise in gewohnter Weise für unsere Kunden da zu sein und die Voraussetzungen für unser weiteres Wachstum zu gewährleisten. Beim Leitner sind die Arbeitsplätze sicher", erklärt Führer.

Um das zu gewährleisten, ist die Organisation seit April in Kurzarbeit. Welche Abteilung und in welchem Umfang wird von Woche zu Woche je nach Arbeitsanfall festgelegt, man schaue, "wen brauchen wir wo". Er nennt das eine "atmende Organisation". Auch seien bereits 30 zusätzliche Laptops angeschafft und die Telefonanlage virtuell erweitert worden, um mehr Home Office zu ermöglichen, so dass derzeit nur ein Fünftel der Mitarbeiter vor in Ort in den Büros in Allersberg ist. Dies hilft wiederum bei der Prävention in Sachen Corona, "es ist ja ein Unterschied, ob Sie mit 75 oder mit 15 Kolleginnen und Kollegen in einem Bürogebäude arbeiten".

 

Aber das sind nicht die einzigen Vorkehrungen. So hat das Unternehmen auch einen KfW-Kredit beantragt, der auch bewilligt worden ist, schlicht auch um die Liquididät für alle Eventualitäten sicherzustellen. Auch wurde die Zeit genutzt, um im Verwaltungsgebäude einige bauliche Veränderungen vorzunehmen. Eine neue Corporate Identity soll kommen sowie ein digitales Produktionssystem für die Kataloge, von denen 150 im Jahr vor Ort gestaltet werden, sowie ein neues Aus- und Fortbildungssystem. Und schließlich wird den gedruckten Exemplaren des Leitner-Katalogs ein Relaunch verpasst. "Wir sind solide durchfinanziert und investieren gerade jetzt in der Krise in die Zukunft, die nächsten 72 Jahre von Leitner beginnen jetzt", erklärt Führer.

Mit den zum Montag aufgehobenen Reisewarnungen schaut der Blick nach vorne schon wieder etwas freundlicher aus. "Wir sind als Unternehmen zwar über den Berg, aber als Branche sind wir noch nicht durch", sagt Führer. Ad hoc wird es diese Woche allerdings nicht losgehen. Führer will nichts überstürzen, es geht um viele Auflagen, die zu beachten sind, und letztlich um die Leitner anvertrauten Menschen. "Wir werden alles tun, um die Gesundheit unserer Kunden zu schützen, die Auflagen des Gesetzgebers umzusetzen und Risiken zu vermeiden. " Deshalb wird auch der Restart Schritt für Schritt, Woche für Woche geplant. Man fokussiere sich auch auf das, was möglich ist. Was bedeutet: mehr Deutschland, Skandinavien, Polen oder Niederlande für September und Oktober. Auch Kreuzfahrten hält Christoph Führer eventuell wieder für möglich, vor allem Flusskreuzfahrten: "Die sind doch letztlich nichts anderes als gut gema-nagte Hotels. " Darüber hinaus verzeichnet der Reiseveranstalter aus Allersberg bereits jetzt eine erhöhte Nachfrage nach Reisen für 2021. Aber auch für dieses Jahr ziehen die Buchungen seit drei Wochen deutlich an: Aufgrund des speziellen Kundenstamms liegt das Spitzengeschäft von Leitner Touristik nicht in der Hauptsaison, sondern zwischen März und Mai sowie im September und Oktober. Was für die zweite Jahreshälfte nun sehr viel Raum für Hoffnung lässt.

HK

 

 

Rainer Messingschlager