Thalmässing
Stolperfallen bei der Meinungsbildung

Wahl-O-Mat hilft auch Schülern bei politischer Orientierung, ist aber eher auf die Erwachsenenwelt ausgerichtet

19.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:28 Uhr
Nur schnell zu klicken, das funktioniert nicht: Daniel Setzke erklärt seinen Schülern in Thalmässing bei fast jeder These, die im Wahl-O-Mat zu finden ist, was deren tieferer Sinn ist. −Foto: Luff

Thalmässing (HK) CDU und CSU gelten als klarer Favorit für die Bundestagswahl am Sonntag. Nimmt man die Schüler der Klasse 9 b in Thalmässing zum Maßstab, ist die Union das tatsächlich. Das zumindest ergibt ein Testlauf am Wahl-O-Mat.

Tatsächlich wählen dürfen sie noch nicht, die Siebt-, Acht- und Neuntklässer, schließlich sind sie noch keine 18 Jahre alt. Doch auch Jugendliche sollen an den demokratischen Prozess herangeführt werden, findet man an der Thalmässinger Mittelschule. Sie ist im weiten Umkreis die einzige Mittelschule, die an der sogenannten Juniorwahl teilnimmt, einem deutschlandweiten Projekt zur politischen Bildung: Derzeit versucht der Lehrer Daniel Setzke, sie politisch so firm zu machen, dass sie zur Bundestagswahl ihre Stimme auf qualifizierter Basis abgeben können. Ja, die Schüler wählen tatsächlich, ihre Stimmen werden gezählt und nach Berlin weitergeleitet. Am Wahlsonntag werden die Ergebnisse der vorgezogenen Juniorwahl online veröffentlicht.

Welche Aufgaben der Bundestag hat, was oder wen genau man mit der Erst- und der Zweitstimme wählt: All dies haben die Schüler Ende des vergangenen Schuljahrs und in den vergangenen Tagen schon erfahren. Allmählich geht es an die Stimmenabgabe. Doch welcher Partei sollen sie ihre Stimme geben? Jedenfalls sollen sie „nicht nur nach den Farben wählen“, scherzt Lehrer Setzke im Unterricht. Sich durch die Parteiprogramme zu wühlen, wäre aber auch ein wenig viel verlangt. Zum Glück gibt es den Wahl-O-Mat. Dieses Onlineangebot ist eine praktikable Informationsmöglichkeit: 38 Thesen können die Nutzer entweder zustimmen, ablehnen oder anklicken, dass sie keine Meinung dazu haben. So lässt sich schnell feststellen, wie stark sie inhaltliche Übereinstimmung der eigenen Meinung mit dem Parteiprogramm ausgeprägt ist.

„Ihr sollt nicht nur nach Farben wählen.“

Daniel Setzke

 

Klingt leicht. Ist es aber beim Realitätscheck der Neuntklässer nicht unbedingt, denn die Thesen sind sind ab und an so formuliert, dass die Jugendlichen sie nicht verstehen. Andere gehen weit über ihren Erfahrungshorizont hinaus, die Antwort ist also eher ein Stochern im Nebel. Bei dem Setzke unterhaltsam hilft. Soll der Diesel höher besteuert werden? Das kann jemandem, der weitab von der nächsten Großstadt mit eventuellen Problemen mit CO2-Grenzwerten wohnt und selbst noch lange kein Auto fahren darf, herzlich egal sein. Der Gottesbezug im Grundgesetz? Eine ziemlich abstrakte Sache.

Deutlich handfester wird es bei der Frage, ob Kindergeld ausschließlich an deutsche Familien bezahlt werden soll. Einer hat eine klare Meinung: „Nein, dann kriege ich ja auch kein Geld“, tönt es aus der hintersten Reihe, wo Samir sitzt. Mir der Stimme pro ökologische Landwirtschaft „unterstützt ihr den Michi mit seinem Vorzeigeschweinestall“, erklärt Setzke. Weshalb der Angesprochene auch gegen eine Zahlenbeschränkung in der Nutztierhaltung ist: Die 350 Schweine auf dem elterlichen Hof lebten schließlich auf Stroh, verkündet er.

Mitunter plaudert der Lehrer aus dem Nähkästchen, um seinen Schülern zu einer Einschätzung zu verhelfen. Zum Beispiel bei der Frage, ob BAföG generell unabhängig vom Einkommen der Eltern gezahlt werden soll. Er habe seinerzeit mehr als 500 Euro BAföG pro Monat bekommen, verrät Setzke. Die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern – der Lehrer hat eine Schwester – hätte sich ohne die Förderung das Studium des Sohnes nicht leisten können.

Auch die „sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen“ will erst einmal erklärt werden. Der Experte steht der Klasse vor: Setzke ist eigentlich Realschullehrer; er unterrichtete in Bamberg wie in Hilpoltstein – immer mit befristeten Verträgen. Lediglich diese habe er bekommen, „ohne dass mir jemand gesagt hat, warum“. Etwa ein Haus zu bauen, sei mit dieser Perspektive in Ding der Unmöglichkeit. Weshalb sich Setzke für die Umqualifizierung für die Mittelschule und den damit verbundenen Beamtenstatus entschieden hat.

Schwierigkeiten bereitet auch der Bezug auf die Vergangenheit, etwa bei der Frage, ob Deutschland zu einer nationalen Währung zurückkehren solle. Ob sie diese überhaupt noch kennen, fragt Setzke. Klar, vom Hörensagen: „Die D-Mark“, schallt es aus den Reihen der Schüler. Die mit dem Solidaritätszuschlag und der Frage, ob er abgeschafft werden soll, allerdings wenig anfangen können. Dieser sei nach der Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland eingeführt worden, erklärt Setzke, um die ehemalige DDR aufzupäppeln. Mehr als 25 Jahre später stehe man nun vor der Frage, ob diese Sonderzahlung noch zeitgemäß sei. Offenbar hängt die Antwort auch von einem Schuss Egoismus ab. Vor dem entscheidenden Klick fragt ein Schüler: „Welche Seite sind wir?“ Es gibt noch viel zu tun.