Allersberg
Bürgerentscheid unter "verschärften Realitäten"

16.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:32 Uhr
Diesen Stimmzettel bekommen bald alle wahlberechtigen Allersbergerinnen und Allersberger ins Haus. Gezählt werden alle Stimmen, die bis zum Sonntag, 17. Mai, um 18 Uhr im Allersberger Rathaus ankommen. −Foto: Marktgemeinde Allersberg

Das Coronavirus Sars-CoV-2 nimmt enormen Einfluss auf viele Bereiche unseres Lebens. Da macht der Allersberger Bürgerentscheid am 17. Mai keine Ausnahme. Galt vor der Pandemie noch der Klimaschutz als wichtigstes Thema unserer Zeit, beherrschen inzwischen die wirtschaftlichen Probleme das Bild - auch in unserer Region. Die in einem Monat stattfindende Abstimmung über die gewerbliche Entwicklung Allersbergs steht deshalb in einem ganz anderen Licht, findet der Bürgermeister ebenso wie die Vertreter der beiden Bürgerinitiativen. An den gegensätzlichen Standpunkten hat sich allerdings nichts geändert.

Allersberg - Der FPÖ-Skandal in Österreich, der Brexit-Streit in Großbritannien und die heftigen Proteste in Hongkong: Der Blick zurück auf die wichtigsten Nachrichten des Tages, als sich die Bürgerinitiative "Lebenswertes Allersberg" am 1. Oktober 2019 zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentierte, wirkt aus heutiger Sicht fast so, als wäre das alles schon Ewigkeiten her. Die Grünen lagen in damaligen Umfragen erstmals gleichauf mit der CDU und träumten von der Kanzlerschaft und fast 60 Prozent aller Befragten waren zu dieser Zeit der Meinung, dass der Klimawandel das wichtigste Problem in Deutschland ist. Gut ein halbes Jahr später kennen die Umfragen und die Welt nur noch ein anderes Thema: das Coronavirus und seine Folgen.

Angesichts von mehr als zwei Millionen befürchteten Kurzarbeitern allein in Deutschland und weiteren hunderttausenden Jobs, die wegen des drohenden Wirtschaftseinbruchs als gefährdet gelten, steht der Bürgerentscheid über die Gewerbeentwicklung der Marktgemeinde Allersberg unter völlig anderen Vorzeichen als zu der Zeit, als die von vielen Naturschützern getragene Initiative "Lebenswertes Allersberg" mit dem Sammeln von Unterschriften begann. "Mit dem Coronavirus ist es für uns bestimmt nicht leichter geworden", sagt der Vorsitzende der Initiative, Georg Decker. Doch die Pläne von Bürgermeister Daniel Horndasch für die rund 33 Hektar großen Flächen, die sich die Marktgemeinde bei Altenfelden gesichert hat, hält er nach wie vor für falsch.

Fest davon überzeugt, mit der geplanten Gewerbeentwicklung auf dem richtigen Weg zu sein, ist hingegen Allersbergs Bürgermeister. Schaut man auf die Finanzen der Marktgemeinde, kommt die Corona-Krise für Daniel Horndasch zur Unzeit - oder vielleicht auch gerade richtig. Für beide Sichtweisen gibt es gute Gründe. Angesichts klammer Klassen und teurer Baustellen wie das Freibad und das Gilardihaus sind sinkende Steuereinnahmen wegen einer taumelnden Wirtschaft gewiss das Letzte, was Allersberg gerade brauchen kann.

Doch Horndasch sieht lieber die Chance als die Krise. Die Gewerbesteuereinnahmen seiner Gemeinde erachtet er ohnehin als relativ niedrig im Vergleich zu anderen Gemeinden. "Da fällt man dann nicht so tief, wenn es schlechter läuft." Wesentlich wichtiger als die aktuellen Steuereinnahmen sind für den Bürgermeister die Erträge der Zukunft. Und da hofft er auf eine kräftige Wirkung der Corona-Krise auf den Entscheid. "Die jetzige Situation verschärft die wirtschaftlichen Realitäten", sagt Horndasch, "und vielleicht wachen jetzt einige auf." Was er damit meint, klärt sich schnell auf, wenn Allersbergs Bürgermeister auf den aktuellen Haushalt zu sprechen kommt, den der Marktrat schon im Januar beschlossen hat und der gerade bei der Rechtsaufsicht im Landratsamt liegt. Diese hat der Marktgemeinde schon im vergangenen Jahr einen "Haushaltsnotstand" angesichts einer aktuellen Verschuldung von elf Millionen Euro attestiert. Und da ist die Corona-Krise "noch nicht eingepreist", wie Horndasch sagt.

Das Bürgerbegehren am 17. Mai entscheidet deshalb aus der Sicht des Bürgermeisters über Wohl oder Wehe. Gibt es eine Zustimmung zu einem 33 Hektar großen Gewerbegebiet, dann sieht der Rathauschef wenig Sorgen für die Projekte der Zukunft. Wird das große Gewerbegebiet abgelehnt, "dann haben wir ein massives Problem". Dass es so kommen könnte, glaubt Horndasch aber nicht. "Ich gehe davon aus, dass die Allersberger eine vernünftige Entscheidung treffen. Und das Gute ist, dass wir unser Schicksal jetzt selbst in die Hand nehmen können", sagt der Bürgermeister und betont, dass der Bürgerentscheid lediglich eine Entscheidung über die Bauleitplanung sei und nicht über eine bestimmte Firma. "Nur über Amazon zu sprechen, wäre falsch", sagt Horndasch und beteuert, dass es weit mehr als eine Handvoll Unternehmen gebe, die das Allersberger Sondergebiet Logistik gerne für sich in Anspruch nehmen würden.

Für Georg Decker von der Bürgerinitiative "Lebenswertes Allersberg" ist der Bürgerentscheid trotzdem auch eine Entscheidung über Amazon. Schließlich tauchte der Name des Internetgiganten, der von der Marktgemeinde noch nie offiziell als Interessent bestätigt wurde, schon vor langem in einem Verkehrsgutachten auf, das auch auf der Homepage der Gemeinde veröffentlicht ist. Decker spürt jedoch, dass in Corona-Zeiten der Widerstand gegen den gerade rasant wachsenden US-Konzern schwindet. Erst vor zwei Wochen gab es in Pommersfelden im Landkreis Bamberg ebenfalls einen Bürgerentscheid über ein neues Verteilzentrum von Amazon. Knapp 60 Prozent der Wahlberechtigten stimmten hier für die Ansiedlung, die übrigens von dem auch an den Allersberger Flächen interessierten Immobilienentwickler P3 Logistic Parks vorangetrieben wird.

"Wir wollen bei uns aber weder P3 Logistic noch Amazon", sagt Decker und verweist auf den Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, der in der aktuellen Lage angeregt habe, sich nicht in die Abhängigkeit von ausländischen Investoren zu begeben. "Das ist ein guter Ansatz, finde ich", sagt Decker und betont, dass die Bürgerinitiative "Lebenswertes Allersberg" nicht gegen das Gewerbe an sich sei. "Wir wollen nichts verhindern, aber wir wollen eine langsame Entwicklung und keinen Verkauf auf einen Schlag. Und wir sagen nicht, dass wir maximal acht Hektar Gewerbefläche wollen, sondern zunächst einmal erst acht Hektar." Wo anschließend das konkrete Limit liegt, darauf will sich Decker aber nicht festlegen.

Auf solche Zahlenspiele will sich Norbert Rehm von der "Bürgerinitiative für Fortschritt und Entwicklung", die sich als Reaktion auf "Lebenswertes Allersberg" gründete, nicht einlassen. Schon gar nicht in Zeiten der Corona-Krise, die viele Kommunen vor finanzielle Unwägbarkeiten stelle. Deshalb plädiert Rehms Gruppierung wie Bürgermeister Horndasch dafür, die 33 Hektar bei Altenfelden voll für die Gewerbeentwicklung zu nutzen. "Wir müssen unser Schuldenproblem lösen", sagt Rehm, "weil wir ja auch viele Investitionen in der Marktgemeinde vor uns haben." Angesichts dieser Situation sei das Ansinnen der Initiative "Lebenswertes Allersberg" alles andere als gut für die Marktgemeinde, findet Rehm. Ob das die wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger auch so sehen, wird die Abstimmung in einem Monat zeigen.

HK