Hilpoltstein
"Es dauert Jahre, bis sich die Wirtschaft erholt"

Phil Young aus Mühlstetten blickt mit Sorge auf sein Heimatland Großbritannien - Neues Referendum keine Lösung

13.02.2019 | Stand 23.09.2023, 5:57 Uhr
Der Brite Phil Young macht sich Sorgen um sein Heimatland. Ein ungeregelter Austritt würde Großbritannien immens schaden. −Foto: Bader

Hilpoltstein/Mühlstetten (HK) Die freie Arbeitsplatzwahl, das starke Arbeitsrecht, die Reisefreiheit, eine prosperierende Wirtschaft und nicht zuletzt ein in vielen Jahren gewachsener und stabiler Frieden: Das ist es, was der gebürtige Brite Phil Young an Europa schätzt. Und das alles sieht er bei dem bevorstehenden Brexit in Gefahr. Für den 64-Jährigen, der seit vielen Jahren in Mühlstetten wohnt, ist klar: "Ich hätte für den Verbleib von Großbritannien in der EU gestimmt."

Doch Phil Young wurde gar nicht erst gefragt: "Noch unter Maggie Thatcher entstand das Gesetz, dass alle Briten, die länger als 15 Jahren außerhalb des Landes leben, nicht mehr wählen dürfen", sagt er. Und es sind bei Young nicht nur 15, es sind sogar 37 Jahre, seit er in Deutschland, genauer gesagt im Landkreis Roth , wohnt. "Ich war eigentlich nur zur Durchreise in Deutschland", erinnert sich der Bootsbauer. "Doch dann habe ich mich hier als Zimmermann anheuern lassen." Und Young hatte hier zudem eine Frau kennengelernt. Gute Gründe also, Wurzeln zu schlagen.

Ob er nie daran gedacht hat, eines Tages zurückzukehren? "Doch, in den 80er-Jahren bin ich mit meiner damaligen Frau nach England", erzählt er. Es blieb aber bei einem halben Jahr. "Ich habe dort keine Arbeit bekommen und bin deshalb nach Deutschland zurück." Hier im Landkreis hatte er in Rothaurach und später in Mühlstetten eine neue Heimat gefunden.

Doch Young hat das Vereinigte Königreich nie aus den Augen verloren. Und er macht sich seit der Entscheidung der Briten, aus der EU auszutreten, mehr und mehr Sorgen um sein Heimatland. "Ich verfolge die Entwicklung jeden Tag, informiere mich im Fernsehen, lese den Guardian", sagt er.

Für ihn ist klar, dass vor allem Traditionalisten im Juni 2016 für den Austritt gestimmt haben. "Es waren die Briten, die viel Wert auf Tradition und die Eigenständigkeit ihres Landes gelegt haben", sagt Young. Und es gebe auch keinen Zweifel, dass es vor allem ältere Briten waren, die aus der EU wollten. "Die Jungen hat das, glaube ich, gar nicht interessiert. Die haben nie gedacht, dass es so ausgehen könnte", sagt er. "Und es gibt sogar eine Statistik, nach der rund eine Million Briten, die damals für den Austritt gestimmt haben, aufgrund ihres Alters inzwischen gestorben sein sollen", sagt er.

Doch selbst wenn Young gerne gegen einen Austritt Großbritanniens gestimmt hätte, sieht er durchaus Nachteile der EU: "Es ist einfach ein riesiger bürokratischer Wasserkopf", sagt er. Mit Bestimmungen, bei denen er nur noch den Kopf schüttelt. "Wir haben in England viele alte Apfelsorten - die durften dann selbst in England nicht mehr auf den Markt." Und die Bürger hätten oftmals ihre Probleme mit nicht ansatzweise nachvollziehbaren Entscheidungen aus Brüssel: "Sie haben einfach das Gefühl, dass sie nicht mehr gehört werden."

Doch viel größer als diese für ihn überschaubaren Nachteile sind nach Youngs Einschätzung die Probleme beim Ausstieg aus der EU und insbesondere die Gefahren eines "No Deal", also eines ungeregelten Austritts ohne feste Vereinbarungen. "Damit würden sich die Briten hauptsächlich selbst schaden", sagt er. "Und es würde Jahrzehnte dauern, bis sich die Wirtschaft wieder erholt."

Dabei ist es laut Young bei weitem nicht nur die Wirtschaft, die leiden würde: "Es geht auch um kaum berücksichtigte Probleme wie den Austausch von Informationen oder in der Forschung." Doch das seien Kleinigkeiten, wenn man an das alltägliche Leben der Briten denkt: "60 Prozent der Lebensmittel kommen aus der EU, zahlreiche Medikamente - es ist einfach endlos", sagt er und spielt damit auf die künftig fehlenden gesetzlichen Regelungen und den Zoll an.

Laut Young wussten viele Briten vor dem Entscheid nicht, wie vernetzt, wie abhängig inzwischen alle Lebensbereiche von der EU sind. Doch die Regierung sei nicht besser gewesen: "Es gab überhaupt keinen Plan, was passiert, wenn die Menschen für einen Austritt stimmen." Nicht ganz unschuldig sei hier der frühere britische Premier David Cameron, der überhaupt nicht damit gerechnet habe, dass seine Landsleute für den Austritt stimmen.

Zwar sei vielen Briten inzwischen klar geworden, was sie sich mit dem Brexit eingehandelt hätten, aber ein neuerliches Referendum hält Young für den falschen Weg. "Hätte man mich vor ein paar Monaten gefragt, hätte ich noch für ein neuerliche Entscheidung gestimmt", sagt der 64-Jährige. Ein Besuch in seiner Heimat hat ihn eines Besseren belehrt. "Da geht der Riss oft direkt durch die Familien - auch bei uns", sagt er.

Ein neues Referendum - bei dem nach seiner Einschätzung für den Verbleib in der EU gestimmt würde, würde die wirtschaftliche Zukunft Großbritanniens sichern. "Doch die Meinungsunterschiede zwischen den Bürgern wären damit ja nicht weg", sagt Young. "Erst war eine knappe Mehrheit für den Aussteig, dann wäre eine knappe Mehrheit für den Verbleib", schätzt er. "Es ändert nichts: Wieder wäre die Hälfte der Briten mit dem Ergebnis unzufrieden."

Deutlicher wäre die Entscheidung wohl nur in Nordirland. Hier waren von Anfang an 60 Prozent für den Verbleib in der EU. Zwar würden sich Großbritannien, Nordirland, Irland und nicht zuletzt die EU gegen die mit dem Brexit drohende harte Grenze einsetzen, doch Young befürchtet, dass schon leichte Einschränkungen die tiefen Gräben innerhalb Nordirlands wieder aufbrechen lassen würden.

Phil Young, der übrigens auch aus seiner ganz persönlichen Sorge vor den Auswirkungen des Brexits 2017 zusätzlich die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hat, schaut mit einem mulmigen Gefühl in die Zukunft seiner Heimat. "Egal wie es ausgeht, zufrieden werden die Briten mit der neuen Situation sicher nicht sein", sagt er und lächelt. "Schon allein, weil der Brite eben Brite ist."

Kai Bader