Marc Bernreuther im Iran: Wenn sich Großzügigkeit wie Gefangenschaft anfühlt

16.11.2018 | Stand 02.12.2020, 15:14 Uhr
Drei Deutsche beim iranischen Kebab mit Onkel Mohsen. Was folgt, ist aber ein Familienstreit. −Foto: Bernreuther

In der iranischen Stadt Tabriz, die als möglicher Ort des biblischen Garten Eden gilt, hat Marc Bernreuther seinen 26. Geburtstag gefeiert.

Rund 3600 Kilometer hat er auf seiner Weltreise bisher mit dem Rad zurückgelegt. Den 38 Tagen im Sattel stehen inzwischen aber schon 41 Tage gegenüber, an denen er nicht geradelt ist, sondern Land und Leute erkundet hat. Dabei stellt der Iran den Sohn der Pyraser Brauereichefin Marlies Bernreuther vor besonders viele Rätsel. "Die Menschen denken anders, es herrscht eine andere Zeitrechnung, die Schrift ist fremd und es ist ein Land voller Zwiespalte und Konflikte", schreibt er. Die Namen der Personen in seinen aktuellen Erzählungen hat er abgeändert, um keinen seiner Gastgeber in Schwierigkeiten zu bringen.

Tag 75 (Tabriz/Iran): Nachdem ich gestern einen wunderbaren und vor allem extrem entspannten Geburtstag in Tabriz verbracht habe, habe ich heute morgen beschlossen, meine Sachen zu packen und weiter zu ziehen. Doch mein Versuch, die Stadt zu verlassen, wurde bereits nach wenigen Ampeln unterbrochen. Denn plötzlich steht Seyed Mohammed neben mir. Mit einem Fahrrad. Kurz und knapp gibt er mir zu verstehen, dass ich ihm folgen solle, weil er mir einen schönen Park zeigen möchte. Ein wenig Spontaneität hat noch nie geschadet, also komme ich mit. Seyed möchte, dass ich heute sein Gast bin. Ich habe überhaupt keine Einwände, denn gestern Abend habe ich erfahren, dass Benni und Katha, meine Freunde, die ich in Armenien kennengelernt habe, ihr Visum nun in der Tasche haben und mir auf den Fersen sind. Wir fahren also exakt dieselbe Strecke, die ich aus der Stadt herausgefahren bin, wieder in die Stadt hinein. Seyeds Elternhaus ist nämlich nur fünf Minuten von dem Hotel entfernt, das ich heute morgen verlassen habe. Die nächsten Stunden bestehen hauptsächlich darin, dass ich mit lokalen Köstlichkeiten und Nicht-so-Köstlichkeiten gemästet werde und die gesamte Verwandschaft aus ganz Tabriz und Umland anreist, um einmal mit mir und meinem Fahrrad ein Foto zu machen. Danach holen wir Katha und Benni von Bahnhof ab. Sie wissen noch nicht was sie erwartet. Wir sind nämlich noch zum Essen bei Seyeds Schwester eingeladen.

Tag 76 (Tabriz/Iran): Seyeds Schwester wohnt zusammen mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen in einem größeren Haus außerhalb von Tabriz. Nach dem Frühstück machen wir einen Familienausflug nach Kandovan, eine altertümliche Stadt, die komplett in massiven Fels hineingebaut ist. Die Bewohner haben dort Höhlen in den weichen Tuffstein geschlagen, die nun als Wohnungen dienen. Auch heute leben dort noch Menschen direkt im Fels. Leider entpuppt sich das Ganze als extreme Touristenattraktion. Der Ausflug dient vor allem dazu, dass die Familie damit fortfahren kann, in allen möglichen Formationen Gruppen- und Einzelfotos mit ihren deutschen Gästen zu machen. Irgendwann kann ich leider nicht mehr die notwendige Begeisterung aufbringen, um auf den Fotos zu lächeln. Zum Abendessen sind wir bei einem Onkel eingeladen. Leider entflammt nach dem Essen eine familieninterne Diskussion darüber, in welchem Haus wir nun unsere nächste Nacht verbringen sollten. Der Streit endet damit, dass ein Teil der Familie beleidigt abrauscht und wir wieder bei Seyeds Schwester übernachten. Da ich meinen Willen durchsetzen konnte, am nächsten Tag weiterfahren zu dürfen, müssen Seyed und ich noch mit dem Auto mein Rad bei seinen Eltern abholen. Die Mutter weiht mir noch bei einer Abschiedzeremonie den Weg. Dabei muss ich mich beim Fortgehen nochmal umdrehen, damit sie mir mit Hilfe einer Gießkanne Wasser hinterher schütten kann. Irgendwie süß.

Tag 77 (Zandschar/Iran): Meine Gastfamilie rund um Seyed ist sehr freundlich und großzügig. Ihre Freundlichkeit und Großzügigkeit geht sogar soweit, dass sie uns gar nicht mehr gehen lassen möchten. Ich fühle mich gefangen. Nur durch stundenlange Überzeugungsarbeit schaffe ich es, der Familie klar zu machen, dass meine heutige Abreise unausweichlich ist. Allerdings muss ich mich nach nur einem Tag wieder von Benni und Katha trennen. Ihnen ist dieses Kunststück nämlich nur halb gelungen. Wir vereinbaren, dass wir uns in Teheran wieder treffen. Ich mache mich also auf den Weg in die 600 Kilometer entfernte Hauptstadt.

Tag 78 (Quazvi/Iran): Ich komme spät los, weil meine Sachen über Nacht nass geworden sind und am Morgen die Sonne nicht scheint. Aber dann komme gut voran, obwohl ich kein einziges Mal an Menschen vorbeifahren kann, ohne dass mich jemand in ein Gespräch verwickeln will. An sich super, nur wird immer derselbe Fragenkatalog abgearbeitet. Meistens gehe ich diesem exzessiven Smalltalk mittlerweile aus dem Weg. Am Abend bin ich froh, ein schönes Plätzchen für mein Zelt gefunden zu haben, und ich genieße die Ruhe.

Tag 79 (Buin-Zahra/Iran): Ich komme gut weg trotz starkem Gegenwind. In einer Parkbucht am Straßenrand mache ich eine kurze Pause und dehne ein wenig meine Beine. Aus einem parkenden Lastwagen steigt ein alter Mann aus. Ali Rezah sieht den dicken Regenschauer, der nur noch wenige Minuten von uns weg ist und möchte mich davor bewahren, komplett durchnässt zu werden. Mein Rad laden wir in den Laderaum. Anschließend sitze ich eine Stunde lang alleine im Lastwagen und schaue dem Regen zu, während mein Gastgeber bei seinem Kollegen im Lastwagen Mittag macht. Umso glücklicher bin ich, als mich mein Retter in der Not auf persisch fragt, wo ich denn eigentlich hin will. Er muss glücklicherweise in dieselbe Richtung und nimmt mich 200 Kilometer mit. So habe ich dank eines Regenschauers auf meiner Reise nach Teheran einen ganzen Tag gewonnen. Zum Abschied schenke ich meinem Gönner einen kleinen glasierten Teller, auf dem Dankeschön auf persisch steht, und er fängt vor Freude an zu weinen. Mit dieser Emotionalität muss ich erst noch lernen, umzugehen. Der Polizist, den ich nach einem Hotel frage, kann mir zunächst nicht weiterhelfen. Doch keine fünf Minuten später stehen sein Bruder Behroz und dessen Kumpel Ali neben uns. Sie sprechen englisch. Dass ich in ein Hotel gehe, kommt überhaupt nicht in die Tüte! Heute bin ich ihr Gast. Wir holen noch ihren Freund Hassan ab. Er hat zwei Jahre in Koblenz studiert und ist total glücklich, dass er nun wieder eine Gelegenheit hat, Deutsch zu üben.

Tag 80 (Karadsch/Iran): Nach dem Frühstück besuche ich die Teppichwerkstatt von Behroz und seiner Frau. Dann holt mich mein Deutsch sprechender Freund Hassan ab. Wir laden mein Fahrrad auf die Ladefläche seines Pick-Up und fahren nach Karadsch. Die Stadt ist nur 45 Kilometer von Teheran entfernt und hat zwei Millionen Einwohner. Am Abend sind wir bei Hassans Schwester und ihrer Familie zum Abendessen eingeladen. Ich werde mit Fragen bombardiert und das Essen ist köstlich - also alles wie gehabt.

Tag 81 (Karadsch/Iran): Da Hassan morgens zur Arbeit muss, bietet er mir an, in der Wohnung seines Cousins Ali zu bleiben, in der auch mein Fahrrad steht. Eigentlich wollte ich ja heute bereits weiter nach Teheran, um Katha und Benni wieder zu treffen. Aber es hat sich herausgestellt, dass sie zusammen mit Mohsen (der Deutsch sprechende Onkel von Seyed) ebenfalls nach Karadsch gefahren kommen. Deshalb haben wir beschlossen, uns gleich hier zu treffen. So weit, so praktisch: Ich habe einen Ruhetag und eine Wohnung, in der ich bleiben kann. Am Abend treffe ich meine Freunde und wir haben einen Schlafplatz.