Im richtigen Leben ist Andreas Schock der stellvertretende Leiter der Fachschule <br
Ansichten eines Clowns

28.05.2021 | Stand 23.09.2023, 18:53 Uhr
Ansichten eines Clowns: Mit den Clowns ohne Grenzen, die wie die Ärzte ohne Grenzen in die Krisenregionen dieser Welt reisen, war Andreas Schock 2017 im Iran - begleitet vom Dokumentarfilmer Walter Steffen. Dort trat er mit zwei Kolleginnen unter anderem in Kinderheimen und Einrichtungen für behinderte Menschen auf (oben). In Bayern engagiert sich der 44-Jährige regelmäßig auch ehrenamtlich für den Verein KlinikClowns (links), doch im Hauptberuf unterrichtet er an der Fachschule in Ebenried (rechts). −Foto: Steffen/Konzept+Dialog 2019, Sebastian Höhn , Luff

Im richtigen Leben ist Andreas Schock der stellvertretende Leiter der Fachschule für Heilerziehungspflege und -hilfe in Ebenried. Doch hat er eine Leidenschaft, die auf den ersten Blick nicht unbedingt viel mit seinem Beruf zu tun hat - auf den zweiten dafür umso mehr. Denn der 44-Jährige ist ein Clown. Als solcher trägt er nicht nur zum Wohlbefinden vor allem von Kindern und Senioren bei. Er hat es auch schon ins Kino geschafft. In einem Dokumentarfilm. Gedreht im Iran.

Ebenried - Wenn ein Schüler seinen Lehrer als Clown bezeichnet, bekommt er gewöhnlich ziemlich massive Probleme mit ebendiesem. Nicht so bei Andreas Schock. Denn der 44-Jährige hat neben seinem bürgerlichen Beruf an der Fachschule in Ebenried eine einigermaßen außergewöhnliche Passion. Er verbreitet Humor, schlüpft dafür in die Rolle eines Clowns. Dass ihm die Rolle liegt, hat er spätestens im Studium gemerkt. Pflegemanagement an der Fachhochschule belegte er seinerzeit. Und schrieb die Diplomarbeit über die Rolle des Humors bei älteren Menschen. Als der Praktiker, der er ist - wie er von sich selbst sagt -, verwendete er hierfür eigene Projekterfahrungen: Er ging als Clown ins Altenheim nach Ellingen, seiner Heimatstadt.

Damals noch als interessierter Autodidakt: "Ich habe schon eine Figur entwickelt, mit Perücke, Nase, allem Drum und Dran", erzählt er. Als Arzt mit etwas anderen Untersuchungsmethoden - "ich musste etwa das Lachen abhören" - merkte Schock schnell, dass sich mit Humor Aktivität wecken lässt. Mit vielen positiven Folgen. "Lachen hat nachweislich viele körperliche Auswirkungen", weiß er heute. Es erzeugt ein Wohlbefinden, beispielsweise durch ausgeschütteten Hormone und die Erweiterung von Gefäßen. "Ein Rollstuhlfahrer, der richtig gelacht hat, braucht keine Lungenprophylaxe", sagt Schock. "Das kann ein Krankengymnast so gar nicht bewirken."

Damals war dieses Wissen noch nicht ganz so ausgeprägt, die Neugierde aber vorhanden. Und die Anlagen sowieso. Mit 15 Jahren spielte der gebürtiger Ellinger Schock in seiner Schulzeit zum ersten Mal in einer Band - was er auch heute noch tut. Als Basketballspieler zählte er beim TSV Weißenburg zu den Leistungsträgern. Heute gehören die Ukulele und Bälle, mit denen er gekonnt jongliert, zum festen Repertoire des Clowns. Und auch das Gebärden, die Zeichensprache, die er in seiner Zeit bei Regens Wagner in Zell gelernt hat, "passt zum Clown ganz gut", findet Schock.

Die Fähigkeiten sind das Eine, ohne soziale Ader aber geht es nicht. Auch die zeigte sich beim 44-Jährigen schon früh: Als Kind und Jugendlicher sei er mit seinen Eltern oft auf Schloss Pfünz gewesen, dem Eichstätter Diözesanjugendhaus. Selbstredend hat er auch ministriert, auch noch in der Zeit, als er die Weißenburger Musikszene mit seiner Punkband bereicherte. "Ich war der Kirchenpunk", erzählt Schock mit einem Grinsen. Nach dem Fachabi an der FOS - sozialer Zweig - aber wurde es ernster. Seinen Ersatzdienst leistete er seinerzeit in Peru, der Comboni-Missionar Hans Eigner aus Laibstadt "hat mich ausgebildet". Die Elendsviertel in Südamerika aber sind mit dem Regime im früheren Persien wenig zu vergleichen.

Dass er als Mitglied eines Clown-Trios vor gut vier Jahren in den Iran gegangen ist, ist für Schock heute rückblickend eine unglaubliche Erfahrung - und ein irrsinniger Zufall. Klar, er hat seinerzeit schon mal auf einem Geburtstag den Clown gegeben, auch immer wieder entsprechende Workshops besucht. Doch Kontakt zu organisierten Spaßmachern gab es eher wenig. "Ich war Spenden sammelndes Mitglied bei den ,Clowns ohne Grenzen'", erzählt Andreas Schock. Er las die Info-Briefe, interessierte sich für deren Arbeit. Der erste Kontakt aber beruhte "auf einer riesigen Verwechslungsgeschichte", erzählt er lachend. Denn ein gewisser Charly habe es sich zur Aufgabe gemacht, humoristisch Interessierte übers Internet zu vernetzen. Von diesem - ihm real unbekannten - Charly wurde Schock aufgefordert, doch einmal zu einem Treffen in Nürnberg zu gehen. Tatsächlich klingelte er an besagtem Tag und wurde tatsächlich eingelassen, nachdem er gesagt hatte, Charly habe ihn geschickt. "Moni kannte einen Charly - aber einen anderen", so Schock lachend. Doch schon war der Kontakt zu Moni Single geknüpft, die mit den Clowns ohne Grenzen bereits im Iran und in anderen Ländern zu Gast war. Kurze Zeit später rief sie in Ellingen an und fragte, ob Schock Lust hätte, mitzugehen, man brauche noch einen männlichen Clown.

Lust hatte er. Und auch seine Familie und der Arbeitgeber, die Rummelsberger Diakonie, spielten letztlich mit. Es stellte sich aber anfangs auch ein flaues Gefühl ein: "Um Gottes Willen, das habe ich zuerst gedacht. Ausgerechnet Iran! Dann habe ich erst einmal einen Reiseführer durchgeblättert." In Konflikt geraten ist Schock dann tatsächlich aber "höchstens mit den eigenen Vorurteilen", wie er sagt. Begegnet sind den drei Clowns aus Deutschland dann nämlich "viel Respekt" und eine "wahnsinnig große Gastfreundschaft".

Natürlich, Frauen mussten ihren Kopf bedecken, auch der Blog, den das Trio jeden Tag mit Neuigkeiten befüllen sollte, musste einen Umweg nehmen - die Erlebnisse wurden per E-Mail weitergeleitet und erst in Deutschland online gestellt. Dafür erlaubten die Behörden sogar, dass die kleine Delegation auch Flüchtlingscamps besucht, in denen Menschen vor allem aus Afghanistan untergebracht waren.

Ein bis zwei Shows pro Tag spielte das Clowns-Trio - mit Schock reisten Monika Single und Susi Wimmer in den Nahen Osten - während dieser zwei Wochen, meist begleitet vom Dokumentarfilmer Walter Steffen, einem Filmregisseur aus Seeshaupt. Er hat ein viel beachtetes Werk über die Reise geschaffen: "Joy in Iran" lautet der Titel des Films, der vor einem Jahr in vielen Kinos in Bayern lief - und heute noch über die Internetadresse joy-in-iran.de/shop vertrieben wird. Dass Schock zu einem Protagonisten dieses Films geworden ist: ebenso Zufall wie die Reise ohnehin. Denn Steffen hatte seinen Film zwei Jahre zuvor geplant, bekam seinerzeit allerdings kein Pressevisum im Iran. Also probierte er es erneut - diesmal nur mit einer unscheinbareren Handkamera.

Vom Filmstar zum Klinikclown: Was fast wie ein Abstieg klingt, ist in Wirklichkeit die Professionalisierung einer Passion. Denn ähnlich wie bei DSDS und Konsorten gibt es bei diesem gemeinnützigen Verein, der professionelle Clowns nicht nur in Kinderkrankenhäuser, sondern auch in Seniorenheime, Einrichtungen für behinderte Menschen und in Palliativstationen und Hospize schickt, ein richtiges Casting. Mit der Empfehlung seiner Iran-Kollegin Susi Wimmer nahm Schock an einem solchen teil - und wurde prompt "eingestellt mit Werksvertrag". Es ist eine genehmigte Nebentätigkeit des stellvertretenden Ebenrieder Schulleiters. Was leicht geht, denn die Clownspädagogik spielt mittlerweile auch in der Fachschule als Wahlfach eine Rolle spielt - geleitet natürlich vom Profi.

Als Klinikclown, als der er seit drei Jahren zwischen Ingolstadt, Augsburg und Nürnberg unterwegs ist, hat Schock die Corona-Pandemie von zwei Seiten kennen gelernt. Denn es gibt Kollegen, für die ist diese Tätigkeit ein echtes berufliches Standbein; der Verein KlinikClowns, der sich über Spenden finanziert, zahlt ihnen ein Gehalt, das neben Tätigkeiten wie Feuershows oder Auftritten bei Firmenfeiern zum Lebensunterhalt entscheidend beiträgt. All das: gestrichen in der Pandemie. Firmen feiern nicht, die Kliniken und Altenheime waren während des Lockdowns gesperrte Zonen. Kollegen hätten "schon andere Jobs angenommen", weiß Schock. Ihre Existenz als freie Künstler aufgegeben.

Allmählich geht es wieder aufwärts. Doch die Arbeitsweise hat sich geändert. "Normalerweise agiert ein Clown mit viel Körperkontakt", erzählt Schock, "wir fallen doch fast rein ins Krankenbett."Jetzt ist Abstand gefragt. Fast so wie seinerzeit im Iran. Denn dort sind Berührungen zwischen Mann und Frau in der Öffentlichkeit ohnehin verboten, Schock und seine beiden Kolleginnen nahmen darauf Rücksicht. Heutzutage wird beispielsweise ein Zollstock spielerisch ins Programm aufgenommen, um den Abstand zu garantieren. Musik spielt eine größere Rolle, die lässt sich kontaktlos spielen.

Für viele Patienten sei der Clownsbesuch in der Pandemie noch wichtiger als zuvor, zeigt sich Schock überzeugt und verweist auf die sogenannte Entlastungstheorie von Humor. "Lachen lässt Sorgen vergessen", bringt Schock es auf einen kurzen Nenner. Der Besuch des Clowns sei mitunter "ein Moment der Leichtigkeit, vielleicht der letzte. Danach heißt es Abschied zu nehmen". Auf einer Krebsstation für Kinder habe er solche Momente erlebt. Aber auch, dass ein sterbendes Kind den Clown gebeten hat, sich zu kümmern: "Meinem Vater geht es schlecht", hatte es beobachtet, "kannst du da etwas machen?"Die Erinnerung, ein letztes Mal miteinander gelacht zu haben, "ist ein Schatz". Auch ihn als Clown ließen solche Emotionen nicht kalt: "Da siehst du , dass du Mensch bist."

Jetzt juckt es ihn wieder in den Fingern. Oder vielmehr in den Füßen. Denn Schock will wieder weg. Immer wieder erhielten die Clowns ohne Grenzen Anfragen vom Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen, erzählt er. Ein bisschen Lachen in die Krisenherde dieser Welt zu bringen, ist schließlich ein hehres Anliegen. Bei ihm sei nun Lesbos im Gespräch, so Schock. Die Zustände in den Flüchtlingslagern dort sind so katastrophal, dass nicht wenige Experten schon von Absicht sprechen: Bilder von Menschen, die leiden, sollen demnach andere davon abhalten, überhaupt zu kommen. Schock lässt sich davon nicht beirren: "Lesbos wird mein nächstes Projekt", sagt er erst im Brustton der Überzeugung. Doch gibt es für den Clown ja auch noch das Leben an der Schule und als dreifacher Vater. Weshalb er doch noch relativiert: "Vielleicht."

HK

Volker Luff