Nürnberg
Am Ende der Toleranz

Regelmäßig blockiert "Critical Mass" Nürnbergs Straßen - Polizei und Stadt wollen das nicht mehr tolerieren

30.07.2020 | Stand 23.09.2023, 13:15 Uhr
Das Prinzip ist immer das gleiche: Eine Masse Radler kommt spontan zusammen und fährt geballt durch die Straßen. Der Autoverkehr ist damit erst einmal blockiert. Tobias, Ludwig und Kai radeln häufig bei Critical-Mass-Aktionen mit. Am Mittwoch haben sie sich angehört, warum Stadt und Polizei nun eine härtere Gangart ankündigt haben. −Foto: Pelke, Rumpenhorst

Nürnberg - "Critical Mass" nennen sich die Protestradler selbst.

Und kritisch scheint die Masse der demonstrierenden Radfahrer in Nürnberg zumindest in den Augen von Stadt und Polizei tatsächlich längst geworden zu sein. Unter der Woche haben Ordnungsamt und Polizei bei einer Pressekonferenz im Rathaus unmissverständlich klar gemacht, dass sie die unangemeldete Demo-Veranstaltung nicht mehr länger dulden wollen.

An diesem Freitagabend könnte es bereits zum Showdown kommen. Um 18 Uhr wollen sich erneut tausende Radfahrer vor dem Opernhaus treffen, um in einer endlosen Drahtesel-Kolonne durch die City zu strampeln und dabei den abendlichen Autoverkehr streckenweise lahmzulegen.

Seit elf Jahren treffen sich Fahrrad-Aktivisten unter der Überschrift Critical Mass einmal im Monat zur gemeinsamen Protestfahrt. Bislang hat die Stadt offensichtlich beide Augen zugedrückt und die angemeldete Veranstaltung nicht aufgelöst. Jetzt hat die Toleranz von Stadt und Polizei wohl endgültig ein Ende.

Herrmann Guth hat am Mittwoch im Rathaus angekündigt, dass die Polizei den radelnden Protestzug nicht mehr durch die Stadt fahren lasse. Zu gefährlich sei die Veranstaltung mittlerweile für alle Beteiligten, sagte der Direktor des Polizeipräsidiums Mittelfranken. Ein Hintertürchen enthält die Drohung der Polizei allerdings. Sollte sich Critical Mass überraschend doch noch dazu bereit erklären, die Veranstaltung bei der Stadt anzumelden, könnte die Rad-Demo laut Hermann Guth stattfinden.

Konkret fordert die Polizei einen offiziellen Ansprechpartner, um beispielsweise die Route der Protest-Radler besser mit Sicherheitskräften absichern zu können. Bevor ein schlimmer Unfall passiert, will die Polizei die Velo-Demo in "geordnete Bahnen" lenken. Bislang herrscht bei Critical Mass laut Polizei ein "kreatives Chaos".

Auf der Protestfahrt durch die Stadt würden auf Grill-Fahrrädern nicht nur Bratwürste und Steaks gebrutzelt. Die Demo-Radler würden während der Fahrt auch Alkohol trinken und regelmäßig die Haltesignale von roten Ampeln missachten. Die Polizei habe alle Hände voll zu tun, die Teilnehmer vor immer wütender werdenden Autofahrern zu schützen. Wegen der wachsenden Zahl der Teilnehmer hätten es die Rettungskräfte zudem immer schwerer, sich mit Blaulicht ihren Weg durch den kilometerlangen Protestzug zu bahnen.

Die Radler von Critical Mass würden sich nicht im rechtsfreien Raum bewegen. Falls es zu einem schwereren Unfall käme, stünden ernste Haftungsfragen an. Ferner würden sich die Teilnehmer im Irrglauben befinden, dass ihnen die Fahrt in der Kolonne das Recht gäbe, kreuz und quer über rote Ampeln zu fahren. Auch bei einem geschlossenen Fahrrad-Verband mit über 15 Teilnehmern sei ein Organisator dafür verantwortlich, dass die Verkehrsregeln eingehalten werden. Die ganze Straßenbreite dürfte der Rad-Konvoi ebenfalls nicht beanspruchen.

Keinen Spaß versteht Guth mehr, nachdem die Rad-Demo kürzlich sogar auf den Frankenschnellweg abgebogen sei. Verschärft wird die Situation durch die Corona-Krise. Nun müsse die Polizei auch auf die Einhaltung der Infektionsschutzmaßnahmen bestehen. Bei den jüngsten beiden Rad-Demos im Mai und Juni habe die Polizei die Veranstaltung abgebrochen und teilweise sogar die Personalien aufgenommen.

"Wir müssen auf eine ordnungsgemäße Anmeldung bestehen", erklärte auch Katrin Kurr vom Ordnungsamt. Zum Schutz der Teilnehmer müssten endlich "klare Verhältnisse" geschaffen werden, sagte Kurr und appellierte an die Fahrrad-Aktivisten, endlich auf die Stadt zuzugehen und mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Die häufigen Gesprächsangebote von Seiten der Stadt hätten die Protest-Radler bislang nicht angenommen.

Überraschend sind bei der Pressekonferenz, auf der Stadt und Polizei gemeinsam eine härtere Gangart angekündigt haben, drei Teilnehmer von Critical Mass erschienen. Kai (26 Jahre), Tobias (33 Jahre) und Ludwig (54) können einerseits die Sicherheitsbedenken verstehen. Andererseits haben die drei Rad-Aktivisten auf den spontanen und zufälligen Charakter der Protest-Bewegung für mehr Radverkehr in Nürnberg verwiesen. Beide Seiten hoffen jetzt wohl darauf, dass eine Lösung für den Konflikt gefunden werden kann und sich die Fronten zwischen Demonstranten und Sicherheitsbehörden nicht schon am Abend weiter verhärten.

HK

Nikolas Pelke