Eichstätt
Zwischen Annäherung und Abgrenzung

Die Anglistin Bea Klüsener sprach im Rahmen der K'Universale-Vortragsreihe über die britische Sichtweise auf Europa

12.12.2018 | Stand 02.12.2020, 15:03 Uhr
Die Anglistin Bea Klüsener spannte in ihrem Vortrag über die britische Sicht auf Europa einen weiten historischen Bogen. −Foto: Luff

Eichstätt (rlu) Aktueller hätte der Anlass nicht sein können: Genau am Tag, an dem die Abstimmung im britischen Parlament über die Modalitäten des "Brexit" durch Theresa May verschoben wurde, sprach Bea Klüsener beim Forum K'Universale über Perspektiven auf Europa in der englischen Literatur.

Dabei spannte die ehemalige Eichstätter Dozentin des Europa-Studiengangs, die jetzt den Fachbereich Englisch an der Bergischen Volkshochschule Solingen-Wuppertal leitet, in ihrem Vortrag "This European world of ours? " einen weiten historischen und literarischen Bogen. Klüsener ging von der Frage aus, die der irisch-britische Philosoph Edmund Burke gegen Ende des 18. Jahrhunderts in seinem Hauptwerk stellte, als die Französische Revolution den gesamten Kontinent erschütterte und auch von Großbritannien eine Stellungnahme forderte. Eine eigene Positionierung zu den bahnbrechenden Ereignissen auf dem Festland war verlangt: Konnten sich England beziehungsweise das United Kingdom noch guten Gewissens zu dieser europäischen Welt rechnen, die von einer derartigen Umwälzung betroffen war? Burke wählte die scharfe Abgrenzung von diesem Europa und begründete so eine Tradition und Geisteshaltung, die noch bis heute wesentliche Entscheidungen der politischen Akteure beeinflusst.

Dass der Diskurs aber im 18. und 19. Jahrhundert durchaus kontrovers war, machte Klüsener in ihrem Vortrag durch eine Fülle von Zitaten und Positionen aus der englischen Essayistik und Literatur deutlich. Dabei ging sie auch auf wichtige historische Ereignisse ein, die den britischen Sonderweg erklären können: Der römische Einfluss, die Christianisierung der Insel im 7. und 8. Jahrhundert und die anglonormannische Herrschaft weisen England zwar als kulturell zugehörigen Teil des abendländischen Kontinents Europa aus. Zudem orientierte man sich während der Renaissance am vorbildhaften Italien. Doch sind auch massive englische Abgrenzungen zu beobachten, wie etwa die Abspaltung der Church of England von Rom (1534) oder die Rivalität mit Spanien, Portugal und Frankreich während der Kolonialisierung.

Dabei schwankten sowohl die geographischen als auch die kulturellen oder politischen Definitionen von "Europa" in literarischen Texten immer wieder und eröffneten eine Vielzahl von Perspektiven. Während sich etwa der humanistische Schriftsteller Thomas Elyot ausdrücklich zu den griechisch-lateinischen Wurzeln Europas bekannte und darin "einen Teil der Welt, in der wir wohnen", sah, grenzten sich Reiseberichte des 17. Jahrhunderts eher vom korrumpierten Europa ab, insbesondere von den teuflischen Versuchungen Italiens und Venedigs, wo massenhaft Prostituierte auf den englischen Touristen lauerten.

Im Drama wurde Europa nicht selten als Gegenraum zur britischen Insel abgewertet, wie bei Christopher Marlowe und zum Teil auch bei Shakespeare. Philosophen wie Francis Bacon oder Theologen wie Thomas Sprat sahen England hingegen als Teil einer europäischen Kulturgemeinschaft, die sich von Nichtchristen wie den Osmanen abgrenzen musste. Derart kontroverse Entwürfe setzten sich in anderen literarischen Gattungen fort und mündeten in die beiden gegensätzlichen Pole britischer Selbstwahrnehmung: die strikte Abgrenzung von Europa einerseits und das Bekenntnis zum europäischen Weltbürgertum andererseits.

Vor allem die Französische Revolution polarisierte diese Positionierungen weiter, so dass hier neben frühen Visionen einer europäischen Gemeinschaft (wie bei William Penn oder Richard Price) und Lobeshymnen auf das Licht der Freiheit und den Weltfrieden - wie in den Gedichten von William Blake, Maria de Fleury oder Mary Robinson - auch mahnende Stimmen hörbar wurden: Gewalt und Anarchie drohten vom Kontinent auf die Insel überzulaufen und gefährdeten die britischen Errungenschaften. Das genuin Englische, so Dichter wie William Wordsworth oder Anna Laetitia Barbauld, sei aber dem kontinental-französischen Chaos überlegen.

Im 19. und 20. Jahrhundert kristallisierte sich dann aber langsam jene britische Abgrenzung gegenüber Europa heraus, die bis heute dominiert und auch das Ergebnis des Referendums von 2016 zum Brexit bestimmte. Exemplarisch für diese Abgrenzung nannte Klüsener den 1897 erschienenen Roman "Dracula" des irischen Autors Bram Stoker. Der berühmteste Vampir der Literaturgeschichte stammte aus dem Osten (Siebenbürgen) und konzentrierte in sich die britische Angst vor Zuwanderung. Und 1946 bekannte sich zwar Winston Churchill in Zürich zu einer "European Family", sah das United Kingdom aber nicht als aktives Mitglied dieser "Vereinigten Staaten von Europa". Selbst aktuelle Songs thematisieren laut Klüsener den britischen Sonderweg oder bekennen sich zum Brexit, wie etwa Billy Breggs 2017 veröffentlichtes Lied "Full English Brexit". Daher muss die Frage offen bleiben, wohin Großbritanniens Weg in Zukunft führt.