Eichstätt
Trauer, Verbundenheit und Hoffnung

31.10.2018 | Stand 02.12.2020, 15:20 Uhr
Der Friedhofsgang - hier in Eichstätt - erinnert auch an die eigene Sterblichkeit. −Foto: Chloupek

Eichstätt (DK) Was bedeuten Allerheiligen, Allerseelen und der Gang vieler Christen zu den Gräbern ihrer Angehörigen in diesen Tagen? Der Eichstätter Theologieprofessor Jürgen Bärsch hilft im Gespräch mit unserer Zeitung bei der Einordnung aus katholischer Sicht.

Herr Bärsch, am Donnerstag wird Allerheiligen gefeiert, am Freitag ist Allerseelen. Was bedeuten diese Feste aus katholischer Sicht, wie hängen diese beiden Feste aus theologischer Sicht zusammen?

Jürgen Bärsch: Es handelt sich zunächst um zwei eigentlich unterschiedliche Feste. Das eine ist das Allerheiligenfest am 1. November. Das reicht wirklich in die Frühzeit der Kirche zurück. Damals gab es solche Sammelfeste für Märtyrer und Heilige gemeinsam, die zunächst meist um Ostern herum gefeiert wurden. Im keltisch-irischen Kulturraum hat man dieses Fest dann auf den 1. November gelegt. Da hat man das zunächst österliche Fest, bei dem man der Heiligen gedenkt, die sozusagen schon den Weg durch den Tod in die Auferstehung gegangen sind, stärker unter dem Motiv "Herbstzeit, die Natur vergeht" gesehen.

Von welcher Epoche reden wir da?

Bärsch: Das ist so im 8., 9. Jahrhundert passiert. Die iro-schottischen Mönche haben diesen Termin dann auf das Festland transportiert.

Und Allerseelen?

Bärsch: Das ist erst um das Jahr 1000 entstanden, und zwar in der Abtei Cluny in Burgund. Die Mönche der Abtei haben in dieser Zeit der Jahrtausendwende angesichts des erwarteten Endes der Welt - man dachte, im Jahr 1000 geht die Welt zugrunde - ganz intensiv für die Verstorbenen gebetet. Das haben sie das ganze Jahr über getan, aber einen Gedenktag haben sie ganz besonders für die Verstorbenen reserviert, und zwar den Tag, der eng mit Allerheiligen verbunden ist, also den 2. November.

Warum?

Bärsch: Weil man gedacht hat, wenn wir für die unzählig vielen Toten beten wollen, können wir das als Menschen nur, wenn wir möglichst mächtige Fürsprecher haben, und das sind die Heiligen. Deshalb betet man am besten an dem Tag, an dem wir aller Heiligen gedenken. Insofern ist das Allerheiligen- und das Allerseelengedenken ein Doppelfest, an dem man bewusst schon am Nachmittag des Allerheiligenfestes mit dem Gedächtnis für die Toten beginnt.

Wenn wir als Katholiken also heutzutage am Nachmittag des Allerheiligenfestes auf den Friedhof gehen, hat das nichts damit zu tun, dass wir gerade den 1. November als gesetzlich geschützten Feiertag haben, sondern das liegt an dieser engen und bewussten Verknüpfung von Allerheiligen und Allerseelen?

Bärsch: Ja, Allerheiligen, das Fest der Heiligen und Märtyrer, die schon vor dem Angesicht Gottes stehen, ist für uns bewusst sehr eng verbunden mit der Bitte um Fürsprache für die Verstorbenen. Nach der Allerheiligenvesper hat schon in der Abtei Cluny am Nachmittag sofort die Vesper für die Verstorbenen begonnen.

Besonders die katholischen Christen besuchen an Allerheiligen die Gräber ihrer Angehörigen. Was ist die Bedeutung dieses Brauchs aus theologischer Sicht?

Bärsch: Der Gang zu den Gräbern beinhaltet zum einen die Verbundenheit mit unseren Verstorbenen, wir machen also deutlich, dass wir diejenigen, die ein Stück unseres Lebensweges mit uns gegangen sind, nicht vergessen, dass wir ihrer gedenken. Und auch, dass wir darauf hoffen, dass sie vor das Angesicht Gottes gerufen sind. Zum anderen ist mit dem Gang auf dem Friedhof auch der Gedanke verbunden, dass wir an unsere eigene Sterblichkeit erinnert werden sollen. Sozusagen das Motiv des "Memento mori", der Gedanke, dass wir selbst vergänglich sind. Und wir dürfen diesen Gedanken in der christlichen Hoffnung sehen, dass unser Zugehen auf den Tod nicht das Ende ist, sondern dass wir von dort in ein neues Leben übergehen.

Wie ordnen Sie vor diesem Hintergrund die oft lauten Feiern von "Halloween" als Verkleidungs-, Spuk- und Gruselfest ein, die immer öfter auch hierzulande gefeiert werden? Widerspricht sich das? Oder ist das eine andere Form des Umgangs mit der eigenen Sterblichkeit?

Bärsch: Ich denke, dass durch die amerikanische Kultur dieses eigentlich irische Fest, das die irischen Katholiken zum Vorabend von Allerheiligen - "All Hallows' Eve" nach Amerika mitgenommen haben - zu einer Art Karneval im Herbst geworden ist. Das ist allen gegönnt, die das gerne feiern möchten. Aber es hat wohl nichts mehr mit dem Gedanken zu tun, der Heiligen zu gedenken und sich selbst mit den eigenen Ängsten und dem eigenen Sterben auseinanderzusetzen. Aber natürlich kann man überlegen, ob nicht der ein oder andere Anknüpfungspunkt gegeben wäre: Das Erschrecken, das Gruselige, Geisterhafte, hat ja mit Urängsten und Sorgen, die uns Menschen prägen, zu tun. Diesen Gedanken könnte man vielleicht schon aufgreifen, um eine christliche Antwort darauf zu geben, dass man als Christ sagen kann: Wir dürfen zu unseren Ängsten stehen.

Es verändern sich heutzutage auch die Bestattungsriten an sich. Es gibt immer mehr Menschen, die am liebsten überhaupt kein Grab mehr hätten, Stichworte: anonyme Bestattung, Baumgräber. Wie wichtig, denken Sie, ist für Christen ein fester Bestattungsort?

Bärsch: Ich denke für uns Menschen - ohne jetzt eine religiöse Zuordnung zu bemühen - ist es gut und wichtig, wenn wir einen Ort für die Trauer haben. Wo Menschen anonym bestattet werden, nimmt man ein Stück weit den Angehörigen oder Menschen, die in einer Beziehung zu dem Verstorbenen standen, diese Möglichkeit. Ich glaube, dass ein bezeichnetes Grab mit einem Namen darauf in der Tat ein wichtiger Ausdruck für eine notwendige Trauerarbeit ist.

Das hat ja dann noch nichts mit einer religiösen Zuordnung zu tun. Eine andere Frage ist die nach der Erd- oder der Feuerbestattung. Gibt es da aus religiöser Sicht Unterschiede?

Bärsch: Da ist im christlichen Verständnis die Erdbestattung insofern zu bevorzugen, weil sie eben der Bestattung Jesu ähnlich ist. Christen sollen so bestattet werden, wie Jesus auch bestattet worden ist, er ist in ein Grab gelegt worden.

Welcher Gedanke steht hier dahinter?

Bärsch: Dabei geht es nicht nur um eine äußere Entsprechung, sondern dahinter steckt die Hoffnung, dass, wenn wir so wie Christus gestorben sind und wir wie er ins Grab gelegt werden, dass wir in ihm dann auch zum Leben auferstehen. Die Feuerbestattung geht hingegen von einem eher materialistischen Verständnis des Körpers aus. Wenn man bedenkt, was wir für große Anstrengungen unternehmen, unseren Körper möglichst zu optimieren, durch Sport, Fitness, Wellness bis hin zu allen möglichen chirurgischen Eingriffen... Wenn wir das in unserem irdischen Dasein tun, dann aber letzten Endes im Tod sagen, das sei nur noch eine leblose Hülle, dann klaffen da zumindest gewisse Spannungen auf. Im christlichen, oder zumindest im katholischen Verständnis würde man sagen, der Leib ist immer noch die Art und Weise, in der wir als Menschen erscheinen. Wir haben keine andere Möglichkeit zu kommunizieren als über unseren Körper, über die Art und Weise, wie wir uns ausdrücken, wie wir Gestik und Mimik gebrauchen. Der Körper ist in diesem Verständnis eben nicht einfach nur Materie und chemische Verbindungen, die man in der Feuerbestattung in einem Akt von Menschen zerstören kann, weil sie eben nutzlos geworden sind. Ein weiterer Gedanke, der für das katholische Verständnis eine wichtige Rolle spielt, ist der, dass der Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist.

Und dem würde eine Feuerbestattung weniger gerecht?

Bärsch: Dazu gehört auch, dass wir liebevoll mit dem Leichnam umgehen, dass es ein Verständnis und Sensibilität dafür gibt, sich von einem Menschen auch verabschieden zu können. Es ist gut, wenn das möglichst nicht in sterilen Leichenhallen geschieht, sondern wenn man sich in einem liebevollen-familiären Umfeld auch Zeit nehmen darf, sich von einem Verstorbenen zu verabschieden. Ihn noch einmal zu berühren, über die Wange zu streichen, ihn noch einmal so zu sehen, wie er als Mensch gelebt hat. Ich glaube, dass das ein wichtiger Aspekt ist, der eben bei der Feuerbestattung doch eine Menge Fragen aufwirft.

Das Gespräch führte Eva Chloupek.

Zur Person: Professor Dr. Jürgen Bärsch (59) ist Inhaber des Lehrstuhls für Liturgiewissenschaft der Theologischen Fakultät an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.