Eichstätt
Nichts als Blödsinn im Kopf

Die "Aufmüpfigen" des WG-Abiturjahrgangs 1968 hegten kaum gesellschaftskritische Gedanken

24.05.2018 | Stand 23.09.2023, 3:20 Uhr
Hermann Redl
Provozieren, Spaß haben und auch ein wenig aufbegehren: Das war das Ziel zumindest der männlichen Mitglieder der Abiturklasse 1968/69, darunter Josef Kraus und Josef Schmidramsl (stehend 2. und 3. von links) sowie Arnulf Neumeyer (stehend 2. von rechts). Sie kamen ? wie auch Eva Gottstein (vorne, Mitte) ? erst später in die Politik. −Foto: Foto: Johann Kraus

Eichstätt (EK) 50 Jahre nach der Studenten- und Gesellschaftsbewegung wird allenthalben an die sogenannte 68er-Generation erinnert. Auch in Eichstätt war eine berühmt-berüchtigte Gruppe von "Aufmüpfigen" unterwegs. Der Abiturjahrgang 1968/69 des heutigen Willibald-Gymnasiums. Der aber wollte vor allem Spaß.

"Natürlich haben wir die Namen wie Rudi Dutschke oder die Ermordung des Bürgerrechtlers Martin Luther King mitbekommen, aber interessiert hat uns das alles nicht", sagt Josef Schmidramsl. Der heute 68-Jährige Arzt im Ruhestand und Altbürgermeister gehörte zum in der Stadt legendären Abiturjahrgang 1968/69 am ehemaligen Humanistischen Gymnasium (heute Willibald-Gymnasium), der wegen seines Verhaltens damals ohne Abiturfeier aus der Schule entlassen wurde und deren Angehörige ihr Abiturzeugnis per Post zugesandt bekamen. Die Schüler erhielten wohl auch Hausverbot. Begründung damals: "Ungebührliches Benehmen", wie sich heute ein Teil des Jahrgangs noch zu erinnern glaubt.

Von einem offiziellen Schreiben der Schule allerdings weiß heute keiner etwas. Auch in den Schulakten ist von den Vorfällen nichts mehr zu finden, wie der stellvertretende Schulleiter Heribert Netter auf Anfrage und nach intensiver Recherche im Schularchiv sagt. "Verwunderlich, dass nicht einmal mehr Protokolle von Lehrersitzungen vorhanden sind."

Anlässe für eine Beschäftigung der offiziellen Organe der Schule lieferten die damals 17- bis 19-Jährigen genug. Das ging über Schulschwänzen und Sprünge aus dem Fenster (das Klassenzimmer allerdings lag erdgeschossig in der heutigen Bibliothek der Theologen) oder Verkleidungen und Rumsitzen beim Kriegerdenkmal auf dem Domplatz bis hin zu Pöbeleien gegenüber dem "Lehrkörper".

"Wir waren einfach ein wilder Haufen", erinnert sich auch Josef Kraus. Der langjährige Präsident des Deutschen Philologenverbands und bildungspolitisch lautstarke und prominente Autor (unter anderem "Helikoptereltern", "Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt") war ebenso Mitglied dieser Klasse wie Arnulf Neumeyer, 18 Jahre lang Oberbürgermeister der Stadt Eichstätt. Das Verhalten der damaligen Clique sei ein "Austarieren gewesen, wie weit wir gehen können", skizziert er die Streiche und Vorfälle vor 50 Jahren. "Das war nur Klamauk."

Von "Revolte oder Revolution" also keine Spur: "Im Grund genommen nein." Dennoch, schränkt Neumeyer ein, seien er und seine Kumpane durchaus über die Vorgänge in Hamburg oder anderen größeren Städten informiert gewesen. Die Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg, die Tode von Rudi Dutschkes oder Benno Ohnesorg haben sie schon nachdenklich gemacht. Und ihre Verhaltensweise gegenüber den Schulautoritäten habe in gewisser Weise auch etwas mit einem Aufbäumen gegen die autoritätshörige Gesellschaft zu tun gehabt. "Das war sicher auch eine gewisse Unmutsäußerung gegenüber Gehorsam, Zucht und Ordnung." Aber in der Bundesrepublik kolportierte Begriffe wie "Unter den Talaren - Muff von 1000 Jahren" seien ihnen fremd gewesen und für sie auch keinerlei Ansporn für ihr Tun. Neumeyer: "Wir wollten unseren Spaß, und den hatten wir auch." Politisch wurden sie erst später: Josef Kraus wurde in seiner Zeit bei der Bundeswehr und im Studium politisiert. 1995 wurde er beim Landtagswahlkampf in Hessen als Kultusminister im Schattenkabinett des CDU-Kandidaten Manfred Kanther gehandelt, bis heute gilt er als ausgewiesener Experte in Fragen der Bildungspolitik. Arnulf Neumeyer trat durch die inspirierende Gestalt von Willy Brandt in die SPD ein. Josef Schmidramsl engagierte sich - sicherlich auch geprägt vom Elternhaus und seiner religiösen Gesinnung - in der CSU; beide - Neumeyer als Oberbürgermeister, Josef Schmidramsl als Bürgermeister - arbeiteten in Eichstätts Stadtpolitik als Kommunalpolitiker lange zusammen. Auch die heutige Landtagsabgeordnete, Stadt- und Kreisrätin Eva Gottstein (Freie Wähler) - als vormalige Schulleiterin ebenfalls eine Bildungsexpertin - gehörte zu dem Abiturjahrgang. "Die Mädchen hielten sich aber zurück", wie Kraus, Schmidramsl und Neumeyer sagen.

Als sie die Schule bereits verlassen hatten und unter anderem ihre Wehrpflicht absolvierten, kehrten einige der jungen Männer nochmals zur Lehranstalt zurück: In einer Nacht-und-Nebel-Aktion beschmierten sie Büsten von Gelehrten vergangener Jahrhunderte und richteten Sachbeschädigungen an. Einige wurden zur Verantwortung gezogen, mussten ein nicht unbedeutendes Bußgeld bezahlen und bekamen Hausverbot.

Das Hausverbot galt noch Jahrzehnte später: So kam Josef Kraus als inzwischen prominenter und in Ehren ergrauter Gastredner an seine alte Schule zurück, als ihn Schulleiter Claus Schredl nach dem Vortrag auf die Seite zog und ihn - nicht ganz ernst gemeint - auf das eigentlich noch geltende Hausverbot hingewiesen hat. "Schredl hat das Verbot dann kurzerhand mündlich zurückgenommen", sagt Kraus.

Hermann Redl