Eichstätt
"Schöner ist es, wenn alle mitmachen"

Josef Grienberger (CSU) setzt auf breite Bündnisse - und geht offen mit seinem Handicap um

28.02.2020 | Stand 23.09.2023, 10:56 Uhr
Am markanten Hohen Kreuz bei Wintershof hat OB-Kandidat Josef Grienberger (CSU) einen seiner Lieblingsplätze. −Foto: Knopp

Eichstätt - Kein Wunder, dass Josef Grienberger sich nur allzu gern an diesem Ort aufhält: Am Hohen Kreuz bei Wintershof kann er seine Seele baumeln lassen und hat zudem noch einen der prächtigsten Blicke über die Stadt, deren Oberbürgermeister er gerne werden möchte.

 

"Die Aufgabe reizt mich sehr", gibt der 30-Jährige zu Protokoll. Aber wenn es nicht klappen sollte, "dreht sich die Welt auch weiter".

Schließlich ist der gebürtige Wintershofer beruflich gut gesattelt, wie man so schön sagt. Er hat nach seinem Studium der Volkswirtschaftslehre in München und Madison (Wisconsin, USA) seit 2014 eine steile Karriere bei einer führenden Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft hingelegt, die allein in Deutschland über 11000 Menschen beschäftigt. Grienberger und sein Team kümmern sich um die Restrukturierung und Sanierung "teilweise sehr insolvenznaher Unternehmen". Jetzt - wo die Automobilindustrie schwächelt - "gibt es sehr viel zu tun", verrät er. Gerade Zulieferer gerieten zunehmend ins Trudeln und holten sich Hilfe von außen. "Meistens gelingt es, die Unternehmen wieder in die Spur zu bringen", sagt der Volkswirtschaftler, der auch Vorlesungen und Übungen zu dem Thema an Hochschulen, unter anderem an der KU, hält. Grienbergers bisher größter Fall war die Sanierung eines Unternehmens mit europaweit 16000 Mitarbeitern und rund zwei Milliarden Euro Umsatz: "Da stand es zweieinhalb Jahre Spitz auf Knopf. " Solche Projekte seien sehr arbeitsintensiv: "Eine 40-Stunden-Woche gibt es da nicht. " Aber es entstünden beim zähen Ringen um die Rettung auch "tiefe menschliche Beziehungen", lobt Grienberger seinen Job.

Den möchte er aber nun mit dem Amt des Eichstätter Oberbürgermeisters eintauschen: Schon seit Mitte vergangenen Jahres sei festgestanden, dass er sich um den Posten bewerbe. Dass Grienberger mit 30 Jahren mit einigem Abstand der Jüngste der sechsköpfigen Kandidatenriege ist, ficht ihn nicht weiter an. Schließlich bringe er reichlich Berufserfahrung mit ein: "Dort habe ich gelernt, zu verhandeln und Kompromisse zu schließen. " Das soll ihm auch bei seiner möglichen Tätigkeit als OB zugutekommen. "Das Entscheidende ist doch: Wie machen wir Politik? " Viele wichtige Entscheidungen im Stadtrat fielen seiner Ansicht nach zu knapp aus: "Es ist doch schöner, wenn alle mitmachen. " Hier müsse das Stadtoberhaupt entsprechend steuern, um richtungsweisende Entscheidungen auf eine breitere Basis zu stellen, wie es zum Beispiel seinem politischen Vorbild Anton Knapp, der bereits mit 28 Jahren Bürgermeister wurde, im Kreistag gelinge. Ein Problem sei auch, "dass zig Beschlüsse nicht umgesetzt werden". Grienberger strebt hier eine "Politik des Möglichen" an: "Was helfen mir Projekte, die dann nicht realisiert werden? " Hier wären manchmal kleinere Schritte sinnvoller - eben "80:20 statt 100 Prozent", wie er sich ausdrückt.

Seine Kandidatur sieht der 30-Jährige ganz entspannt: "Man sollte nie ein politisches Amt anstreben, weil man es braucht", so sein Credo. Er wolle sich seine Unabhängigkeit bewahren und auch die Freiheit, Nein sagen zu können: "Man kann es nie allen recht machen. " Und eine mögliche Amtszeit solle auch nie unter der Prämisse stehen, unbedingt wiedergewählt werden zu müssen. Momentan ackern sich "der Joe" und sein Team durch den Wahlkampf: in der Früh um sechs Uhr Brezen verteilen am Bahnhof, abends Prosecco kredenzen am Marktplatz. "Nebenbei" muss er noch seinen Bauernhof in Wintershof in Schuss halten. Das großzügige Anwesen, seit etlichen Generationen im Besitz der Familie, wurde ihm 2017 von seinen Eltern übergeben. Bis vor einigen Jahren wurde dort noch Milchvieh gehalten, "jetzt sind die einzigen Tiere hier eine unbekannte Anzahl von Katzen", so Grienberger. Er bewirtschaftet mit Vater Josef und Mutter Theresia Ackerflächen und insbesondere seinen Wald und hat zudem ein kleines Nahwärmenetz mit Hackschnitzelheizung und Solarthermie aufgebaut, das insgesamt vier Häuser, auch in der Nachbarschaft, versorgt.

Im 1889 erbauten Hauptgebäude, in dem auch seine Eltern wohnen, hat Grienberger sich - "im ehemaligen Pferdestall" - eine 90-Quadratmeter-Wohnung proper hergerichtet, inklusive gemütlicher Eckbank. Hier lebt er mit seiner langjährigen Freundin und jetzigen Verlobten Jacqueline Mathias (28). Im August läuten die Hochzeitsglocken. Gefeiert wird selbstverständlich im Hof mit rund 200 Gästen. Jacqueline ist Kommunikationswissenschaftlerin, "eine Riesenhilfe im Wahlkampf" und betreibt nebenher einen Mikro-Blog zum Thema Plastik sparen im Alltag: "In unserem Kühlschrank werden Sie kaum etwas in Plastik Verpacktes finden", betont Grienberger. Und selbst bei den Wahlgeschenken ist Plastik verpönt: Die Stifte sind aus Papier, die Kugelschreiber aus Holz und die Stofftaschen tragen das Fairtrade-Siegel. Auch bei den Klamotten spiele Nachhaltigkeit eine große Rolle: Das Paar bevorzugt fair produzierte Kleidung, so weit dies möglich sei - "80:20" halt.

Grienberger und seine künftige Ehefrau kennen sich seit der gemeinsamen Schulzeit am Gabrieli-Gymnasium. Hier fiel auch erstmals Grienbergers Handicap auf: "Ein Lehrer hat bemerkt, dass ich zunehmend mit meinem Banknachbarn tuschle, weil ich immer schlechter von der Tafel ablesen konnte. " Nach monatelangen Untersuchungen stellte sich heraus, dass der damals 15-Jährige an Morbus Stargardt leidet, einem seltenen, vererbten Gendefekt, der die Sehschärfe erheblich mindert. "Mir fehlt der Autofokus", beschreibt Grienberger die Auswirkung dieser Krankheit. "Die Krankheit ist stehen geblieben seit damals. Schlechter wird es glücklicherweise nicht mehr. " Das alles höre sich nun schlimmer an, als es ist, so Grienberger, der als Einziger in der Familie - er hat auch noch drei ältere Schwestern - davon betroffen ist. Im Alltag komme er gut zurecht, betont er: "Es ist aber manchmal so, dass ich Leute nicht immer sofort beim Vorbeigehen erkenne. " Ansonsten habe er sich längst mit der Behinderung arrangiert: "Vor 30 Jahren war das noch eine mittelschwere Katastrophe. " Im Zeitalter der Digitalisierung allerdings gebe es genügend Möglichkeiten, die Erkrankung zu kompensieren: "Ich lese fast nichts mehr analog. " Hier ist sein Tablet ein wertvoller Helfer, und als Ersatz für Bücher, die er als Kind und Jugendlicher verschlungen hat, dienen nun Hörbücher. "Meine Reden halte ich frei, und grundsätzlich bin ich gut im Improvisieren. " Selber Autofahren darf "der leidenschaftliche Zugfahrer" nicht, hier ist er öfter auf die Hilfe von Familie, Freunden und Bekannten angewiesen. Ein gegenseitiges Geben und Nehmen - "dafür kann ich mich dann mit anderen Dingen revanchieren". Man lerne hier Menschlichkeit kennen.

Natürlich habe er schon Stimmen gehört, dass ihn das Handicap als Oberbürgermeister einschränken könne: "Wenn es wirklich die größte Sorge ist, wie ich von A nach B komme, können wir uns glücklich schätzen", erwidert Grienberger. Zu Fuß, mit dem Rad und mit der Stadtlinie werde er sich überwiegend fortbewegen. Und wenn er mal auf ein Auto angewiesen sei, könne er ja ein Taxi nehmen: "Das ist immer noch billiger als die Leasing-Gebühren für einen Dienstwagen. "

Grundsätzlich sei er in der Lage, sein Leben "komplett so zu gestalten, wie ich es will". Er könne auch mit dieser Einschränkung alles erreichen. In diesem Zusammenhang dürfe Barrierefreiheit nicht nur eine Worthülse sein: "Man muss allen Menschen die Möglichkeit geben, das Beste aus ihrem Leben herauszuholen. "

EK

Jürgen Knopp