Eichstätt
Kein Adonis, aber ein Dandy und Dichter

Klaus Modick liest aus seinem Roman, der den Lebenslauf von Eduard Graf von Keyserling erzählt

10.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:36 Uhr
Klaus Modick findet, Eduard von Keyserling war ein Zocker. Das erklärte er bei einer Lesung im Spiegelsaal. −Foto: Buckl

Eichstätt (wbu) Eigentlich hat er ja nur einen Roman über einen Schriftsteller geschrieben. Aber die Administratoren von Wikipedia ziehen wohl keine so strengen Grenzen zwischen Fiktion und Fakten und haben in ihren Artikel über Eduard von Keyserling biographische Aussagen aufgenommen, die sich Schriftsteller Klaus Modick über den Literaten ausgedacht hat - in seinem aktuellen Roman "Keyserlings Geheimnis". Am Freitag las er daraus im Spiegelsaal der Residenz, vorgestellt von Veranstalter Ewald Kommer vom Kolping-Werk.

In den Mittelpunkt seines Romans stellt Modick eine reale Figur: Eduard von Keyserling (1855-1918) stammt aus dem baltischen Zweig einer kurländischen Adelsfamilie aus dem heutigen Lettland. Seit einigen Jahren wird Graf von Keyserling durch Neueditionen seiner Werke als großer Schriftsteller des literarischen Impressionismus wiederentdeckt. Sehr viel mehr weiß man über von Keyserling jedoch nicht. Es gibt bis heute keine vollständige Biographie über ihn, was schlicht daran liegt, dass es an Lebenszeugnissen von ihm fehlt. Von Keyserling hatte verfügt, dass nach seinem Tod all seine privaten Schriften zu vernichten seien. Ein Wunsch, den eine seiner Schwestern leider akribisch befolgte.

"Für einen heutigen Schriftsteller ist das ein Glücksfall", meint Modick dazu. Nur so habe er Leerstellen füllen und dichterische Fantasie walten lassen können, indem er recherchierte, wie man einen sehr dunklen Fleck in der Vita des Grafen von Keyserling erhellen könnte.

Bevor er erklärt, worum es geht, spannt Klaus Modick seine Zuhörer aber erst einmal ein wenig auf die Folter: Er liest einen Ausschnitt aus dem Anfang seines Romans. Darin verbringt der bereits schwer von der Syphilis gezeichnete und entstellte Autor im Jahr 1901 einen Sommerurlaub mit dem Dramatiker Max Halbe und dem Maler Lovis Corinth sowie dessen junger Freundin Charlotte am Starnberger See. Corinth kommt auf die Idee, von Keyserling zu porträtieren, obwohl dieser inzwischen wegen seiner Krankheit äußerst hässliche Züge trägt - bei Modick heißt das: "Er war kein Adonis, aber ein Graf, Dandy und Dichter", der beim Blick in den Spiegel einen "Untoten" erkennt. Das tatsächlich vorhandene Gemälde des Grafen kann man in der Neuen Pinakothek in München betrachten.

Warum aber ist Eduard von Keyserling vier Jahre zuvor "wie aus einem Abgrund plötzlich in München aufgetaucht"? Warum ist er überstürzt von seinen baltischen Gütern geflohen, um ihnen zwölf Jahre lang fernzubleiben? Darüber hat Modick Mutmaßungen angestellt, die er teils in der Lesung vorträgt, teils im Gespräch mit dem Publikum verrät: Um Spielschulden aus seinem Studium zu bezahlen ("Keyserling war ein Zocker"), hat er sich offenbar vorübergehend an der Kasse seiner Studentenverbindung Curonia bedient. Schulden führten zwar zur Exmatrikulation, galten aber als Kavaliersdelikt. Nach ihrer Begleichung konnte man wieder immatrikuliert werden. Im Falle von Keyserlings geschah dies jedoch nicht. Der Graf wurde von der Familie und dem Adel gemieden und zum Außenseiter. "Offenbar muss da noch was anderes dahinter stecken", mutmaßt Modick. Und das hatte seiner Meinung nach mit der hübschen, verheirateten Ada von Cray zu tun. Mehr dazu verrät Modick bei dieser Lesung nicht. In seinem Roman ist er der Sache detaillierter auf den Grund gegangen.

Im Gespräch mit dem Publikum verrät Modick außerdem, dass er sich von einem Kenner den ausgestorbenen näselnd-baltendeutschen Tonfall beibringen ließ, um ein Zitat seines Textes adäquat lesen zu können. Generell bedauert Klaus Modick das Fehlen eines Nachlasses des Dichters von Keyserling, der seine Werke, erblindet von der Syphilis, seinen Schwestern in Schwabing diktieren musste. Zum Schluss gab Modick einen Ausblick, was als nächstes von ihm erscheint: Ein Vorwort zu den Tagebüchern von Lion Feuchtwanger. Doch daraus könne man nicht alles veröffentlichen. Viele Passagen seien einfach zu intim und zu schweinisch: "Der war ein Sexmaniac".

Walter Buckl