Eichstätt
"Zeichen der Zeit"

K'Universale: Regina Polak über Flucht und Migration aus theologischer Sicht

04.11.2018 | Stand 02.12.2020, 15:19 Uhr
Regina Polak. −Foto: Schiavone

Eichstätt (EK) Bei der zweiten Ringvorlesung der Vortragsreihe K'Universale war die österreichische Professorin Regina Polak vom Institut für Praktische Theologie der Universität Wien zu Besuch in Eichstätt.

Nachdem SPD-Politiker Martin Schulz das diesjährige Forum K'Universale zum Thema "Europa?!" eröffnet hat, behandelt die Professorin Regina Polak von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien das Thema Flucht und Migration aus einer theologischen Perspektive. Für Polak bedeutet dies "geschichtlichen Ereignissen einen Sinn abzuringen und das aus der Sicht des christlichen Glaubens heraus zu riskieren". Als führende Expertin analysiert sie Phänomene, wie Flucht und Migration, aus einer praktisch-theologischen Perspektive heraus.

"Für mich ist Migration ein Lehrwort und der Geburtsort des christlichen und jüdischen Glaubens", beginnt Polak ihren Vortrag. Sie werde deswegen auch nicht auf Migranten und Flüchtende eingehen, sondern aufzeigen, welchen Sinn und welche Bedeutung das Phänomen Migration für die Einheimischen haben kann. Flucht und Migration seien Jahrhundertherausforderungen, aber keineswegs neue Phänomene. Bereits 1991 hat die gemeinnützige Organisation von Experten "Club of Rome" auf die Ausmaße der kommenden Migrations- und Fluchtwellen hingewiesen. Warum in den vergangenen Jahrzehnten nicht gehandelt wurde, kann sich auch Polak nicht erklären: "Ich kann darauf keine Antwort geben. Ich bin selbst noch am überlegen."
Doch im Gegensatz zu dem aktuell dominierenden negativen Narrativ in Medien und Politik, welche Flucht und Migration vielmehr als einseitiges "Problem" betrachtet, ist dies aus biblischer Perspektive vielmehr als "Zeichen der Zeit" zu verstehen. So hat der päpstliche Rat der Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs, bereits im Jahr 2004 Migration als "Zeichen der Zeit" benannt und ihr einen positiven Sinn zugesprochen. Im vergangenen Jahr hat der Vatikan sie sogar zur "Chefsache" erklärt.

Die katholische Kirche betrachtet die Migration somit als einen lerntheoretischen Ansatz, die zum "Aufbau einer vielfältigen und pluralistischen Gesellschaft auffordert", so Polak. Die Professorin ist sich dessen bewusst, dass die Aussage des Vatikans angesichts Armut und Tod durchaus "provokant und zynisch" klinge, nicht aber wenn man "Zeichen der Zeit" als eine theologische Kategorie verstehe. Für die praktische Theologin ist der biblische Begriff vielmehr ein handlungsbezogener Ansatz: Flucht und Migration sind somit als ein geschichtliches Ereignis zu verstehen, das im Glauben gedeutet und beantwortet wird, aber eben nicht nur theoretisch, sondern vor allem auch durch das Handeln.

"Praktisch bedeutet dies, dass man Flucht und Migration nur dann auf die Spur kommen kann, wenn man zum Beispiel Erfahrungen von Flüchtlingsbegleitern kennen und verstehen lernt und man durch das handeln mit geflüchteten Menschen neue Erkenntnisse bekommt. Oder wenn Migrationsforscher ins Feld gehen und nicht nur Zahlen auswerten, sondern sich dessen bewusst sind, dass das auch Menschen mit Namen sind", führt Polak aus. Flucht und Migration sind somit erkenntnisgenerative Erfahrungen, die vor allem durch die Kraft menschlichen Erzählens zugänglich werden.

So zeigt bereits der Blick ins Alte und Neue Testament, dass Migration ein Teil der Menschheitsgeschichte ist: "Die Texte im Evangelium haben Menschen mit Migrationsgeschichte geschrieben. Da wurde mir bewusst, dass man die Texte anders und neu lesen muss", so Polak. Unsere Welt entspreche nicht der von vor 2000 Jahren. Flucht und Migration seien heutzutage folglich Ausdruck der ökonomischen und politischen Ungleichheiten auf der Welt und vielmehr die weltweiten Folgen von Bürgerkriegen, des Imperialismus oder einer fossilen Energiewirtschaft.

Dennoch lasse sich Migration aus einer theologischen Perspektive heraus als Lernort verstehen, indem versucht wird dem Elend und den damit einhergehenden Katastrophen einen Sinn abzusprechen, so wie das die Verfasser des Alten Testaments, die von Migration gezeichnet waren, ebenfalls gemacht haben.
Die Frage nach dem Sinn ist für Polak auch die zentrale Option im Umgang mit dem Narrativ von Flucht und Migration: "Wenn es uns heute nicht gelingt solche Sinnnarrative zu schaffen, dann werden wir das Phänomen der Migration auch nicht bearbeiten können". Worin also liegt der Sinn dieser epochalen Veränderung? Für die christlichen Gemeinden könnte dies bedeuten eine Schlüsselrolle einzunehmen, statt sich nur als "Freizeitverein" zu verstehen. Indem sie anfangen wahrzunehmen, dass die christlichen Gemeinden bereits zu einem Großteil aus Migranten bestehen. Die Kirchen könnten somit als "Laboratorien" eine Vorreiterrolle einnehmen, indem sie zum Verständnis beitragen, dass das Zusammenleben verschiedener Menschen keine romantische Idylle ist, aber durchaus möglich ist.

Am heutigen Montag spricht die Soziologieprofessorin Karin Priester im Rahmen der Reihe über "Populistische Strömungen in Europa". Beginn ist um 18.15 Uhr im Hörsaal 201, KG A.