Was passiert denn da?

Am heutigen 15. November ist Welttag der Philosophie

14.11.2018 | Stand 02.12.2020, 15:14 Uhr
Der Eichstätter Philosoph Tobias Holischka. −Foto: Chloupek

Am heutigen 15. November ist Welttag der Philosophie, eine Geisteswissenschaft, die laut UNESCO mehr Beachtung verdient, da sie auf ein besseres Verständnis der Welt hinwirken kann. Und zwar auch in brandaktuellen Fragen unserer Zeit.

Herr Dr. Holischka, heute ist Welttag der Philosophie, wir haben eine Katholische Universität, an der Philosophen unterrichten und arbeiten.Was macht ein Philosoph konkret?

Holischka: Ein Philosoph befasst sich mit strukturellen Grundsatzfragen in vielen verschiedenen Bereichen. Die können sehr abstrakt sein, gehen aber auch ganz konkret in unsere Lebenswelt hinein. Abstrakte Fragen wären zum Beispiel die nach dem Anfang aller Dinge, nach dem Sein des Seienden. Konkret wird es bei der Frage: Wie soll ich handeln? Also der gesamte ethische Bereich. Nehmen wir als Beispiel das Thema autonomes Fahren: Was sollen diese Maschinen dürfen? Da geht es stark um moralische Konfliktsituationen, die eigentlich wir Menschen bewerten müssen. Oder bioethische Fragen: Wie sieht es aus am Lebensanfang, wie am Lebensende. Da kommen wir zu den Themen Abtreibung, Sterbehilfe und alles dazwischen.

Ein Philosoph stellt also die intellektuelle Basis her, um ethische Fragen dieser Art überhaupt stellen und beantworten zu können?

Holischka: Genau, so kann man das sagen. Wir fragen immer nach den Hintergründen für Entscheidungskriterien. Warum können sich Menschen in bestimmten Situationen so oder so entscheiden? Was sind die Kriterien, an denen sich Menschen orientieren können, die in solchen Situationen sind?

Woran arbeiten Sie als Philosoph selbst gerade im Moment ganz konkret?

Holischka: Mein Spezialgebiet ist die Technik-Philosophie, um genau zu sein die Virtualität. Mir geht es darum, angesichts der ganzen neuen Computertechnologie, Stichwort "virtual reality", zu hinterfragen: Was passiert denn da? Was wird da dargestellt? Sind das Illusionen, sind das Täuschungen, oder hat das auch einen Wirklichkeitscharakter?

Das klingt nach einem Thema, das wirklich brandaktuell und gesellschaftlich relevant ist?

Holischka: Ja, wir sind - wie schon so oft in der Menschheitsgeschichte - gerade wieder an einem Punkt, an dem die Technik die Erklärung überholt hat. Wir haben eine neue Technik und wissen noch gar nicht, welche Konsequenzen sie hat, welche Möglichkeiten, welche Gefahren, welche moralischen Implikationen sich daraus ableiten. Die Philosophie will dazu keine fertige Verhaltensweise diktieren. Aber sie geht an die Wurzel und fragt kategorial, was ist das für eine Virtualität, wo kommt die her, was macht das? Wir versuchen, ein Verständnis für diese Technologie zu schaffen.

Hat sich die Philosophie in den letzten Jahrzehnten geändert? Das Thema "virtual reality" hatten wir ja vor 30, 40 Jahren noch nicht.

Holischka: Da schauen wir durchaus in die Geschichte zurück. Das Thema Virtualität ist ziemlich alt, es kommt schon in der mittelalterlichen Theologie vor. Da geht es darum, wie die Präsenz Christi gedacht werden kann. Die Theologen haben damals schon zwischen einer virtuellen Präsenz und einer körperlichen Präsenz unterschieden. Damit haben wir eine erste Auffassung, die die Virtualität eben nicht nur als bloße Sinnestäuschung oder Illusion nimmt, aber eben auch nicht als komplette Verstofflichung der Wirklichkeit, das ist also ein Zwischending. Aus dieser Perspektive können wir die heutige Virtualität auch betrachten. Aus dieser Betrachtung heraus können wir etwas für unsere heutige Arbeit ziehen. Manche Fragestellungen sind aber auch völlig neu, weil es in der Menschheitsgeschichte dafür noch keinen Anlass gegeben hat.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Holikscha: Die Atomkraft zum Beispiel. Dürfen wir diese Technik in Verantwortung für künftige Generationen einsetzen? Das ist eine neue Frage, die sich erst stellt, seit der Mensch diese neue Technologie hat. Auf einmal hat der Mensch die Macht, die Natur als Ganzes aus dem Gleichgewicht zu bringen, den Planeten auszulöschen. Das ist ein völlig neuer Handlungsraum, in dem der Mensch jetzt ist. Die Natur ist auf einmal nicht der übergeordnete Rahmen, in dem der Mensch handelt, sondern sie wird selbst Objekt menschlicher Handlung.

Philosophie ist also wirklich brandaktuell. Woran liegt es dann, dass Philosophie in der Öffentlichkeit oft den Ruf von irgendwie abgehobenem Geschwafel hat?

Holischka: Das liegt daran, dass das Verständnis leider etwas geschwunden ist. Philosophie wird leider an den Schulen nicht unterrichtet. In Bayern zumindest kommt sie höchstens als Alternative zum Religionsunterricht im Ethikunterricht vor. Das führt zu der verfälschten oder verkürzten Wahrnehmung, Philosophie sei irgendwie so wie Religion, nur ohne Glauben, oder eben vielleicht auch ein substanzloses oder irgendwie spirituelles Geschwafel - im Sinne von "wie können wir schön leben". Mit diesen Vorstellungen kommen viele bayerischen Abiturienten dann auch zum Philosophiestudium. Die Studienanfänger machen deshalb bei uns als Erstes Logik-Kurse.

Sie müssen also erst einmal richtig Denken lernen?

Holischka: Genau, und zwar mathematische Logik, um sich klar zu machen, wie wir Argumente, die wir aus guten Gründen haben, miteinander weiterstricken, um Schlüsse ziehen zu können. Philosophie ist eben nicht einfach nur irgendein freies Assoziieren, sondern wir brauchen Regeln, gerade weil wir keine Empirie haben. Wir haben nur Argumente. Deshalb müssen die Argumente sehr sauber sein und sehr strukturiert. Vor diesem Hintergrund kann man sogar sagen, dass die Philosophie ihre Schwesterwissenschaft in der Mathematik hat. Beide sind sehr exakt. Wobei, wenn man zum Beispiel Nietzsche liest, ist das vielleicht nicht ganz so strukturiert, wie wir uns das heute wünschen.

Sie haben gerade einen großen Namen der Philosophie erwähnt. Wie wichtig ist es, bestimmte Vertreter der Philosophie zu kennen und welche wären das?

Holischka: Wir müssen die Philosophiegeschichte als Entwicklung begreifen. Es beginnt mit den alten Griechen, die anstelle der Mythen mit den Göttern auf dem Olymp neue Konzepte der Erklärung der Welt erarbeiten und erstmals mit Rationalität an Naturvorgänge und Denkvorgänge herangehen. Seitdem entwickelt sich das in verschiedenen Ideen, etablieren sich Strömungen, die wieder aufgelöst werden, die zusammenfließen und Ähnliches. Diesen Gesamtverlauf muss man als Philosophiestudent und als Philosoph grob kennen. Man muss sich also einen Überblick verschaffen und wissen: Woher kommt eine Position, wofür steht sie? Diese Einordnung muss man machen, um auch an aktuellen Themen zu arbeiten, etwa an unserem Beispiel vom autonomen Fahren oder dem bekannten Experiment mit der "moral machine", in dem es darum geht, wen ein autonomes Auto im Zweifelsfall zu Tode kommen lässt; die Insassen des Autos oder Fußgänger, die bei Rot über die Straße gehen. Unsere Auffassung von moralischem Handeln ist da wesentlich von Kant geprägt und der Universalität der Menschenwürde, also ein Handeln, das aus sich heraus richtig sein muss und nicht aus Sicht der Konsequenzen. Genau das dreht die "moral machine" beim autonomen Fahren aber komplett um. Sie geht von der Konsequenz aus und entscheidet auf dieser Basis. Ich würde eine Entscheidung auf dieser Grundlage komplett ablehnen, ich sage: Wenn eine Maschine in diese Situation kommen kann, dann gehört sie nicht auf die Straße. Denn wir als Gesellschaft verfolgen eine andere Richtung. Um das sagen zu können, müssen wir Philosophen den Gesamtdiskurs kennen und dann natürlich auf die einzelnen Positionen eingehen. Und da kommen wir um die philosophische Tradition bis zurück zu Platon nicht herum. Whitehead hat schön gesagt, die europäische Philosophie bestehe aus einer Reihe von Fußnoten zu Platon. Weitere wichtige Philosophen wären aus meiner Sicht dann Aristoteles, dann Descartes und Hume in Abgrenzung zueinander und Kant, der das dann wieder zusammenfügt - und im modernen Bereich vielleicht noch Heidegger; die würde ich als die wichtigsten Philosophen ansetzen.

Neben den moralischen und ethischen Fragen bewegen uns heutzutage auch Grundsatzfragen in der Demokratie, Stichworte Populismus, "Fake-News". Was ist die Aufgabe von Politikern, was ist Wahrheit? Kann uns da die Philosophie ebenfalls weiterhelfen?

Holischka: Bei so klassischen Worten wie Wahrheit sind wir schon zuständig. Den Begriff brauchen alle. Die Mediendebatte aktuell könnte profitieren, wenn man sie philosophisch anginge. Zur Frage, was einen guten Staatsmann ausmacht, haben wir in der Tradition schon verschiedene Ansätze. Da gibt es bereits platonische Dialoge dazu, die aus dem Begriff des Staatsmannes in einer Demokratie heraus fragen, was dessen Aufgabe ist, was sein Selbstverständnis ist. Die Antworten impliziert ein Handeln, das nicht auf die eigenen Interessen und nicht auf die der eigenen Wählerschaft, sondern auf die Gesellschaft als Ganzes bezogen ist. Also eben nicht das, was viele Wähler heutzutage offenbar erwarten im Sinne von: Wir haben den doch gewählt, der muss doch jetzt das und das für uns durchsetzen. Nein, das muss er nicht! Er ist als Repräsentant gewählt und selbstständig seinem Gewissen unterworfen, um das Beste für die Gesellschaft insgesamt zu erreichen. Er muss das Ganze im Blick haben und nicht nur Interessenpolitik für "seine" Klientel machen. Und diesem Idealbild können wir unsere Politiker heutzutage gegenüberstellen.

Und zur Wahrheit? Gibt es "alternativen Wahrheiten", gibt es mehrere Wahrheiten nebeneinander, die alle irgendwie in Ordnung und zu dulden sind? Wie sehen Sie das?

Holischka: Wenn jeder mit seiner eigenen Wahrheit durch die Gegend läuft, dann führt das zu nichts. Man darf und man muss sich positionieren und sagen: Das ist wahr und das ist falsch, nicht nur für mich, sondern für alle, und da gibt es Gründe dafür. Wenn jemand andere Gründe hat, dann muss das diskutiert werden. Dafür braucht es den Austausch von Argumenten. Auch hier kann die Philosophie tatsächlich weiterhelfen.

Das Gespräch führte

Eva Chloupek
Zur Person
Tobias Holischka (36) ist promovierter Philosoph und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Philosophie-Lehrstuhl der Katholischen Universität in Eichstätt.