Eichstätt
"Unser Lebensstil tötet"

Symposium an der KU zu Gerechtigkeit und Verantwortung - Bundesrichter Maidowski über Klimawandel

29.04.2019 | Stand 23.09.2023, 6:49 Uhr
Großes Interesse herrschte am Eröffnungsvortrag von Bundesrichter Ulrich Maidowski zum Thema Klimawandel anlässlich eines Symposiums an der KU. −Foto: Meßner

Eichstätt (EK) Ulrich Maidowski hat den Eröffnungsvortrag zum Symposium "Gerechtigkeit und Verantwortung in der globalen Gesellschaft" an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt gestern gehalten. Der Richter am Bundesverfassungsgericht sprach über den Klimawandel und verfassungsrechtliche Probleme im Umgang mit potenziell existenzbedrohenden globalen Gefahren.

Das Thema ist nicht nur zeitlos aktuell, sondern auch brisant. Das große Interesse an dem Symposium überraschte also nicht, die Sitzplätze im Kapuzinerkloster reichten nicht aus, als Bundesrichter Maidowski ans Rednerpult trat. Zuvor hatten die Organisatoren um Professor Renate Oxenknecht-Witzsch und Professor Raul Fornet-Betancourt sowie Dekan Professor Stefan Schieren den Rahmen der zweitägigen Tagung abgesteckt.

"Unser Lebensstil tötet", formulierte es Oxenknecht-Witzsch in aller Deutlichkeit. Auch Maidowski sieht im Klimawandel eine existenzielle Bedrohung, näherte sich dem Thema aber von juristischer Seite. Er ging unter anderem der Frage nach: Wie viel Demokratie erlaubt der Klimaschutz? Für einen nachhaltigen Klimaschutz müssten die Menschen ihre Lebensweise radikal ändern. "Unser Konsummodell ist nicht zukunftsfähig", sagte Maidowski. Nachhaltig zu leben, sei nicht genug, fügte er hinzu. Die Menschen müssten verzichten. Das fängt mit dem Verbot von Inlandsflügen an und hört mit Einschränkungen beim Individualverkehr längst noch nicht auf.

Der Bundesrichter warf die Frage auf, ob es in einer Demokratie möglich sei, derartig einschneidende Entscheidungen durchzubringen. Er verwies auf Stimmen, die autokratische Strukturen befürworten würden. "Das ist, glaube ich, der falsche Weg", widersprach er. Maidowski hält es durchaus für möglich, die Menschen davon zu überzeugen, weitreichende Entscheidungen mitzutragen. Der Richter fordert eine öffentliche Debatte, um die Bereitschaft auf Verzicht zu schaffen. Bei Projekten sollten die Bürger von Beginn an mit ins Boot geholt werden und die Chance haben, bereits bei der Entwicklung mitzureden. Er nannte das Bahnprojekt "Stuttgart 21" als Beispiel.

Maidowski schlug neue Denkansätze vor. In der aktuellen Politik werde die Gegenwart bevorzugt und die Zukunft vernachlässigt. Deshalb plädiert er für eine Art Zukunftskommission, als Vertretung für künftige Generationen. Dieses Gremium könnte etwa jedes Gesetz prüfen auf seine künftigen Auswirkungen und müsste gehört werden. Es sollte unabhängig sein, in die Verfassung aufgenommen werden und dauerhaft eingesetzt werden.

Maidowski ging auch auf die Rolle der Gerichte im Klimawandel ein, etwa bei den Dieselfahrverboten. Der Richter machte deutlich, wie schwierig die Situation der Juristen sei. Anlieger verweisen auf ihre Gesundheit und pochen auf die Einhaltung der Grenzwerte; Handwerker betonen die freie Berufsausübung und sehen sie durch die Fahrverbote eingeschränkt; und Besitzer von Diesel-Autos sehen ihr Eigentum eingeschränkt. Zwischen den Stühlen sitzt der Richter, der mit Blick auf die Verfassung sämtliche Positionen nachvollziehen kann.

Wie groß der Einfluss der Gerichte beim Thema Klimawandel sein kann, zeigt ein Fall aus den Niederlanden. Dort wurde die Regierung verklagt, weil sie nach Auffassung der Kläger zu wenig gegen den Klimawandel unternimmt. Das Gericht sah das genauso und die Regierung musste die Klimaziele verschärfen. Maidowski schilderte auch kurz einen Fall, der am Oberlandesgericht in Hamm verhandelt wird. Dort geht es um einen Landwirt aus Peru, der den Energieversorger RWE wegen der Auswirkungen des Klimawandels verklagt.

Wie sehr Maidowski das Thema bewegt, zeigte auch, dass er sich nicht auf sein Expertenwissen als Jurist beschränkte, sondern sich Gedanken darüber hinaus machte. So überlegte er, wie es wäre, wenn jeder Mensch genau wüsste, wie viel Kohlendioxid sein Verhalten verursacht. "Damit wir wissen, was wir tun", sagte er. Er könnte sich vorstellen, eine CO2-Kreditkarte einzuführen mit einem bestimmten Monatsguthaben. Ist das Konto überzogen, müsste nachgezahlt werden, ist das Guthaben im Plus, könnte der Rest verkauft werden.

Markus Meßner