Kipfenberg
"Fundamentalismus gehört zu jeder Religion"

Der Friedensforscher Professor Hermann Häring sprach in Kipfenberg

27.05.2019 | Stand 02.12.2020, 13:52 Uhr
Professor Hermann Häring ergründete bei seinem Vortrag in Kipfenberg die Ursachen für den Fundamentalismus der Religionen. −Foto: Weiß

Kipfenberg (wch) Im Namen der Religion geschieht weltweit Schreckliches.

Und damit sind nicht nur Terroranschläge von Islamisten gemeint, selbst Buddhisten verfolgen in Myanmar Muslime mit großer Brutalität. Religionen wollen für Liebe und Barmherzigkeit stehen, doch was nützen solche Ansprüche, wenn sich religiösen Menschen nicht daran halten? Diese Frage stellte der Friedensforscher und Theologe Professor em. Hermann Häring, Tübingen, bei seinem Vortrag im Kipfenberger Pfarrheim zu dem Thema "Versuchung Fundamentalismus - wie vernünftig ist der christliche Glaube? ".

"Wir haben eine viel zu ideale Vorstellung von Religion. Das hat sich in unserer Tradition so entwickelt. In der Religion wiederholt sich immer alles das, was in einer Gesellschaft geschieht", erklärte Häring. Leider, bedauerte er, ließe sich Religion sehr leicht vor einen politischen Karren spannen; in sehr vielen Fällen, auch in der Gegenwart, präsentierten sich Religionen als gewalttätig. "Die Probleme selbst sind nicht religiöser Art, sie kommen meist aus bestimmten politischen Situationen, politischen oder sozialen Interessen. Diese werden dann benutzt, um die Religion hineinzuziehen. " Das Christentum definiere sich als eine Religion der Liebe, der Islam als eine Religion der Barmherzigkeit. "Diese Definitionen nützen jedoch nichts, weil sie von den Religionen selbst als werbende Schlagworte vorgetragen werden. Wir Christen gehören auch zu denen, die ständig gegen die eigenen Gebote verstoßen, jede Religion behauptet, die einzig wahre zu sein. "

Die erste fundamentalistische Bewegung, der "Wahhabismus, sei, so Häring, im 18. Jahrhundert im arabischen Raum entstanden. "Meistens wird jedoch vergessen, dass es auch einen verbreiteten christlichen Fundamentalismus gibt, der zwischen 1910 und 1920 in den Südstaaten der USA auftrat, wo eine kritische Schriftauslegung entstand. " Mit dem Dogma von 1870, wonach alles, was der Papst sagt, unverrückbar sei, stellten sich neue Fragen. Wonach solle man sich richten, nach der Bibel oder nach dem Papst? Die Kreuzzüge seien gewalttätige Aktionen, die mit Christentum nichts zu tun hätten - sie würden aber von den Dschihadisten, von den Taliban, die sich nachdrücklich auf den Koran berufen, stets als Gegenbeispiele genannt. Andererseits habe der Islamismus viel mit tatsächlicher Unterdrückung zu tun, "doch Fundamentalismus gehört zur Geschichte aller Religionen, der monotheistischen zumal, also des Judentums, Christentums und des Islam".

Häring schlug vor: "Wir sollten alle kulturellen, politischen, psychologischen und pädagogischen Strategien endlich mit leidenschaftlichen Gesprächen und Begegnungen untermauern. Wir müssen den Jungen den Glauben bringen, denn nur sie haben eine Zukunft. Kirchenleitungen und Gemeinden, Bildungshäuser und Theologen sollten die Ersten sein, die sich auf diesen Weg der Verständigung stürzen und auch die vielen bestehenden Projekte in die Öffentlichkeit tragen. Erneuerung beginnt von unten, nicht warten, bis ein Bischof was tut! "