Eichstätt
Engagement für Toleranz und gegen Gewalt

Der bunte "Pride-Day" am Alten Stadtbahnhof zog am Samstagnachmittag über 100 Menschen an

27.07.2020 | Stand 02.12.2020, 10:53 Uhr
  −Foto: Kusche

Eichstätt - Bunt gekleidete und fröhlich geschminkte Menschen, farbige Luftballons und Seifenblasen, viele bunte Plakate und spürbare Unbefangenheit prägten den Platz rund um den Alten Stadtbahnhof am Samstagnachmittag.

In Kooperation mit der Amnesty Hochschulgruppe, der Gruppe Kreuz und Queer der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und einigen Privatpersonen hatten Jana Jergl und Sarah Kohler als Ersatz der in diesem Jahr in der Region ausgefallenen Christopher-Street-Day-Paraden zu einer "Pride"-Demonstration in die Spitalstadt eingeladen.

Rund 100 Frauen und Männer folgten der Einladung zur Solidaritätsbekundung für Schwule, Lesben, Transgender, Bisexuelle und Queer-Menschen. So bunt und vielfältig wie am Samstag war Eichstätt vermutlich noch nie.

Regenbogenflaggen als weltweites Zeichen für Toleranz und Vielfalt der Lebensformen wehten unübersehbar auf dem Bahnhofsvorplatz oder schmückten die Schultern vieler junger, aber auch einiger älterer Frauen und Männern. "You say: Be straight. I say: Taste the rainbow", so war auf einem selbst gemalten Plakat einer Demonstrantin zu lesen. Sie alle waren - teilweise bis aus Ingolstadt - am Samstag zur "Pride"-Veranstaltung gekommen, um für die Rechte sexueller Minderheiten sowie gegen Ausgrenzung und Rassismus einzutreten. "Die LGBTIAQ+-Personen dürfen in diesem Corona-Jahr nicht vergessen werden", betonten die beiden Hauptorganisatorinnen Jana Jergl und Sarah Kohler, beide in vielfältigen zivilgesellschaftlichen Gruppierungen engagierte Eichstätterinnen, in ihrer Begrüßungsrede.

LGBTIAQ+ - diese Abkürzung umfasst die englischen Wörter Lesbian, Gay, Bisexual, Transexuell/Transgender, Queer, Intersexual und Asexual plus weitere Orientierungen: "Diskriminierung, strukturelle Benachteiligung und Sexualisierung sind für sie auch in Eichstätt an der Tagesordnung. " Diese Tatsache habe die beiden Frauen motiviert, diesen Menschen einen Rahmen zu geben, in dem sie zumindest für eine kurze Zeit unbefangen sie selbst sein können und in dem ihre Themen an die Öffentlichkeit getragen würden, so Jergl und Kohler. Sie selbst präsentierten sich den rund 100 Demonstranten und vielen spontan lauschenden, außerhalb der Abgrenzungen stehenden Zuhörern als Queer-Feministinnen, deren Überzeugung es sei, dass der Kampf für Frauenrechte und für die Rechte von Menschen mit anderen sexuellen Orientierungen zusammen gekämpft werden müsse: "Es ist ein gemeinsamer Kampf für unser aller Rechte und für echte Gleichberechtigung aller Menschen", so Jergl und Kohler.

Jede Person solle sich so definieren können, wie sie es möchte, und sich nicht weiter erklären müssen, forderten die beiden Frauen, die sich vehement gegen eine Definition von Männer- und Frauenrollen und eine Nichtanerkennung von Menschen unabhängig ihres Geschlechts aussprachen: "Wir alle sollten unabhängig von biologischem und sozialem Geschlecht und sexueller Orientierung - unter anderem natürlich - die gleichen Rechte haben", resümierten sie unter dem kräftigen Applaus der Anwesenden. Daher sei gegenseitiges Bestärken und Beschützen sowie die Schaffung von Schutzräumen in einer nach wie vor stark patriarchalisch geprägten Gesellschaft so wichtig: "Wir müssen uns gegenseitig bestätigen, dass wir sein dürfen, wer wir sind, und das so, wie wir es wollen", schlossen die beiden Organisatorinnen.

In einer bewegenden Ansprache gab Carina Weber, seit sechs Jahren aktiv in der Hochschulgruppe Kreuz und Queer an der KU Eichstätt-Ingolstadt und Mitorganisatorin des Pride-Day, einen Einblick in ihre Erfahrungen als Lesbe. Bei ihren Besuchen von Pride-Veranstaltungen werde sie immer wieder verständnislos nach den Gründen ihrer Anwesenheit und ihres Protestes gefragt, nachdem es doch schließlich ein Antidiskriminierungsgesetz und die Möglichkeit zur Heirat und zur Familiengründung gebe, so Weber. Zur Freiheit lesbischer, bi- oder transsexueller Frauen gehörten aber nicht nur diese rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern sich ohne beleidigende, herabwürdigende und verletzende Kommentare und Erlebnisse auf der Straße, in der Schule und am Arbeitsplatz oder in der Freizeit frei bewegen zu können, erklärte Weber. Eine zweite, häufig an sie gerichtete Frage beziehe sich auf den Begriff "Pride". Dieser umfasse nicht den Stolz darauf, lesbisch zu sein, sondern darauf, sich nicht zu verstellen und trotz mancher Schwierigkeiten ein selbstbestimmtes Leben als lesbische Frau zu führen und gegen Homophobie einzutreten, so Weber: "Und daher bin ich auch stolz auf alle Menschen, die sich für die Rechte queerer Menschen einsetzen und für ein gewaltfreies und tolerantes Miteinander kämpfen", schloss sie.

Auch Freddie aus Kanada (Name von der Redaktion geändert), der sich im Eichstätter Abschiebegefängnis engagiert, zeigte seinen Zuhörern in einer Rede auf, dass man nicht nur in den USA oder in Russland eine erschreckend starke Diskriminierung von LGBTQIA+-Menschen beobachten könne. Mit Blick auf verschiedene Gewaltvorkommnisse verwies er darauf, dass Homosexuelle mitten in der Europäischen Union diffamiert, diskriminiert, ja gefoltert und getötet würden. Vor allem die osteuropäischen Regierungen neigten zu einer schwulenfeindlichen Propaganda; aber selbst in Deutschland könne man im Krankenhaus landen, wenn man sich nach einem Fußballspiel als schwules Pärchen, möglicherweise als Migrant, händchenhaltend in eine U-Bahn setze, so der Redner.

Jakob Auer, Gymnasiast und Friday-for-future-Engagierter, spannte den Bogen in seiner Rede indes noch weiter, indem er nicht für Toleranz gegenüber der LGBT-Community, sondern auch für Antirassismus innerhalb der Szene eintrat: "Rassismus ist in der Schwulenszene ein großes Problem", betonte er mit Bezug auf Ethnienfilter und weitere Ausschlusskriterien zum Beispiel bei Dating-Apps. Kritik äußerte der Gymnasiast auch am Fitnesswahn in der LGBT-Community, die einen enormen Druck auf junge, nicht-heterosexuelle Jugendliche ausübe: "Die Queere Community ist eine Gruppe, die extrem viel Toleranz für sich einfordert, doch vielleicht sollten wir auch mal hinterfragen, wie tolerant die Community selbst ist und ob wir vielleicht alle ein bisschen toleranter werden müssen", forderte Auer eindrücklich.

Viele der Demonstrantinnen und Demonstranten nutzten nach der Veranstaltung noch die Gelegenheit zu Austausch und Diskussion und zeigten sich sehr berührt von den zum Teil von persönlichen Erfahrungen gefärbten Reden. "Hier muss man sich solidarisieren", so lautete die einhellige Meinung vieler junger Menschen auf dem Platz. "Ich dachte eigentlich, dass unsere Gesellschaft schon weiter sei", betonte eine Besucherin sichtlich ergriffen, die bei einem homosexuellen Bekannten selbst mitbekomme, wie dieser Ausgrenzung und Diskriminierung erlebe und immer wieder in tiefe Krisen gerate. Auch der strukturelle Rassismus, der unsere Zeiten so stark präge, war ein wichtiges Motiv, am "Pride-Day" Solidarität zu zeigen: "Wir sind aufgerufen, alle Minderheiten, so auch LGBT-Menschen, vor Diskriminierung zu schützen", so Sarah Döbbener von der Hochschulgruppe Amnesty International (AI) und Sebastian Riedl. Und Lea Heeren, ebenfalls von AI, erinnerte abschließend noch einmal: "Kein Mensch darf wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert werden. Unsere Gesellschaft soll bunt und schön und stolz auf ihre Vielfalt sein - Taste the Rainbow! "

EK