Dollnstein
Ein "zweiter Geburtstag" jedes Jahr

Erinnerungen an die letzten Kriegstage und das Kriegsende in Dollnstein

22.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:30 Uhr
  −Foto: Eder

Dollnstein - Der Tag, an dem Amerikaner in Dollnstein eingezogen sind, jährt sich bereits zum 75. Mal.

Als wohl einer der wenigen noch lebenden Zeitzeugen hat Bernhard Eder aus Dollnstein in einem Bericht seine Erinnerung als Kind von damals sieben Jahren aufgeschrieben:

"Der Zweite Weltkrieg brachte über die Bevölkerung Dollnsteins unsägliches Leid. Mehrere Hundert Dollnsteiner Männer zogen in den Krieg, zuletzt 16-jährige Burschen. Am Ende waren 61 Gefallene und 32 Vermisste zu beklagen.

Verglichen mit den Bewohnern der Städte ging es der Landbevölkerung noch gut. Es gab das Nötigste zu essen, und wer kein eigenes Feld und Vieh hatte, konnte auf die Hilfe der Landwirte bauen. Viel Gutes wurde in diesen Jahren getan. Oft brachten sich die Bauern selbst in große Gefahr, wenn sie ,schwarzschlachten' oder ,schwarzmahlen' mussten, nicht nur für mich selbst, sondern auch für die Verwandtschaft im Ort und in der Stadt, die gern mit leerem Rucksack kam und mit vollem wieder heimfuhr. Voller Achtung erinnere ich mich dabei an meine Mutter, die in dieser Zeit - wir hatten eine kleine Landwirtschaft - vielen Gutes getan hat. Bekleidung und Schuhe waren knapp und unbezahlbar. Es fehlte am Notwendigsten.

Die Gegner Hitlers lebten auch in Dollnstein in ständiger Angst. Die Partei kontrollierte alles und jeden. Eine freie Meinungsäußerung konnte das Leben kosten. Dennoch informierte sich die Bevölkerung durch den "Volksempfänger" über den Stand des Krieges, obwohl dies streng verboten und mit Lebensgefahr verbunden war. Meine Mutter - eine Freundin des lockeren offenen Wortes - stand knapp davor, einmal denunziert und von den Nazis verhaftet zu werden.

Nach Einbruch der Dunkelheit herrschte Verdunkelungspflicht. Groß war vor allem in den letzten Kriegsmonaten 1945 die Angst vor den Angriffen der Tiefflieger. Da Dollnstein an einer wichtigen Bahnlinie liegt, waren diese besonders häufig. Am 19. März 1945, kurz vor Kriegsende, streifte einer von drei amerikanischen Tieffliegern beim Angriff auf einen im Bahnhof stehenden Güterzug einen hohen Baum und stürzte auf dem Gänsbuck ab. Von den Geschossen der Tiefflieger wurde die Nordwand des Hauses Wellheimer Straße 4 (Xaver Hutter) durchlöchert, und nur wie durch ein Wunder ist keiner der Bewohner dabei verletzt oder getötet worden.

Schon zuvor hatten Tiefflieger zwischen Bubenroth und Dollnstein einen wegen des Angriffs anhaltenden Personenzug angegriffen und auf der Höhe der Kapelle der "Schwarzen Muttergottes" eine Frau erschossen, die sich mit anderen Fahrgästen außerhalb des Zuges in Sicherheit bringen wollte.
Einige Male wurden auch Menschen auf freiem Feld von Tieffliegern beschossen; die Bauern trauten sich im Frühjahr 1945 nicht mehr, bei Tag ihre Äcker und Wiesen zu bestellen. Bomben wurden über Dollnstein nicht abgeworfen, schon aber Granaten. Größere Zerstörungen gab es nicht. Turbulent ging es allerdings in den letzten Kriegstagen zu. Nachdem, um das Vordringen der Amerikaner zu verhindern, zuerst die Eisenbahnbrücke gesprengt worden war, erlitt am Morgen des 24. April 1945 die Altmühlbrücke das gleiche Schicksal. Mehrere Bürger bemühten sich unter Einsatz ihres Lebens, die Sprengung zu verhindern; fünf Kisten bereitgestellten Sprengstoffs verschwanden, sieben wurden von der SS wieder herbeigeschafft. Durch die Sprengung wurde das erste südliche Joch der Brücke zerstört. Vor der Nacht, für die die Sprengung angekündigt war, konnte ich im Forstamt des Oberförsters Edmund Schuesters, damals außerhalb des Ortes, übernachten, da das Elternhaus nahe der Brücke lag. Durch die Brückensprengung entstanden im Ort große Schäden: Fensterscheiben wurden, soweit sie nicht während der Sprengung mit Betten abgedeckt wurden, in weitem Umkreis zertrümmert. Teilweise waren Dächer abgedeckt, Häuser hatten Risse.

Auch die Bahnunterführung zur Wellheimer Straße sollte gesprengt werden. Aber ein mutiger Einwohner verhinderte dies durch die Zerstörung des Zündkabels.

Der "Volkssturm" versuchte das Vordringen der Amerikaner vergeblich zu verhindern und errichtete überall aus heutiger Sicht lächerliche "Panzersperren" aus Holzstämmen und Steinen - beim "Einschnitt" zwischen Schäfersberg und Stupberg, beim Steinbruch in Richtung Haunsfeld, bei der Ziegelhütte in Richtung Eberswang. Sie konnten jedoch das Vordringen der Amerikaner nicht mehr verhindern.

Der Einzug der Amerikaner in Dollnstein erfolgte am 25. April 1945. Sie zogen mit ihren Jeeps in den Ort ein - "begleitet" von uns Kindern. Ich selbst stolperte dabei und fiel vor einen Jeep. Meine Mutter, die dies beobachtete, schrie vor Scheck laut auf. Mein Kopf kam wenige Zentimeter vor dem mächtigen rechten Vorderreifen des Jeeps zu liegen. Nur die schnelle Reaktion des Fahrers, eines amerikanischen Soldaten, verhinderte das Schlimmste. Seitdem kann ich in jedem Jahr (neben meinem ersten) am 25. April auch einen zweiten Geburtstag feiern.

Die "Amis" nahmen mehrere Häuser als Quartier in Beschlag, insbesondere die Gastwirtschaft Greiner und den Kastenhof. Die führenden Nationalsozialisten wurden, soweit sie noch im Ort waren, verhaftet. Die Ortsbevölkerung wurde von den Besatzungssoldaten im Großen und Ganzen anständig behandelt. Die Kinder bekamen viel von den Besatzern, was sie noch nie gesehen hatten, beispielsweise Schokolade und Orangen. Die erste Tafel Schokolade, die mir ein Soldat schenkte, werde ich nicht vergessen.

Die SS war in den Saupark südlich oberhalb Breitenfurt geflüchtet und konnte sich dort auch nach dem Einzug der Amerikaner längere Zeit halten. Der Besitzer der Bubenrother Mühle wurde am 30. April 1945 von einem SS-Angehörigen hinterrücks erschossen, weil er sich geweigert hatte, ihren Wünschen (nach Denunziation? ) nachzukommen.

In diesen Tagen kamen viele Bewohner Dollnsteins auf unverhoffte Weise zu lebensnotwendigen Dingen: Im Gasthof Mittermeier waren während des Krieges Waren der Firma Schickedanz eingelagert. Als in den letzten Kriegstagen alles drunter und drüber ging, griffen Bewohner zur Selbstbedienung und räumten das Lager aus, ebenso einen Zug mit Waren aller Art, der zum Schutz vor Fliegerangriffen im Eßlinger Tunnel abgestellt war. Die lange Messingstange, die Vater damals "erbeutete", hing noch Jahre über unserem Küchenherd.

Bald kehrten die ersten Soldaten heim. Die Angehörigen bangten um ihre Gefangenen und Vermissten. Evakuierte kehrten nach Möglichkeit wieder in die Städte zurück. Die Bahngeleise wurden mit der Zeit frei gemacht, im September fuhren wieder die ersten Züge. Im Oktober nahm man den Schulbetrieb wieder auf. Das Schulhaus war verheerend heruntergewirtschaftet. "

EK