Titting
Ein Tittinger gegen "West Ham United"

Martin Schmidt spielte als Kriegsgefangener mit englischen Bewachern Fußball

18.01.2019 | Stand 23.09.2023, 5:41 Uhr
Deutsche Kriegsgefangene und englische Bewacher. Mittlere Reihe, 2. von rechts: Martin Schmidt aus Titting. −Foto: Ettle (Reproduktion)

Titting (EK) In Kriegszeiten waren die Tüftler immer besonders aktiv. Freilich steckten sie viel ihrer Erfinderkraft in die Entwicklung von Waffen und Gerät für das Militär. Es gibt aber auch andere Beispiele, etwa aus dem ideellen Bereich. So ist der Elektromeister Martin Schmidt nach dem Ersten Weltkrieg als "National"-Fußballspieler in seine Heimat Titting zurückgekommen und hat ein richtiges Fußballfieber im Anlautertal entfacht.

Wie der Enkel des Weltkriegssoldaten, Armin Wiesent, berichtete, habe sein Großvater gern von seiner Fußballerlaufbahn erzählt. Dieser sei Jahrgang 1897 gewesen, wurde 1916 zum Kriegsdienst eingezogen und als Funker an der Westfront bei Arras in Frankreich eingesetzt. Dort geriet er 1917 in englische Kriegsgefangenschaft. Sein Glück war, dass er in Titting schon als Jugendlicher "in Werktagsstiefeln" hinter dem Ball hergesaust war.

So konnte ihn in den letzten Kriegs- und in den Nachkriegsmonaten eine Mannschaft von deutschen Kriegsgefangenen als Torwart gut brauchen, die gegen eine Elf der britischen Bewacher spielte. Höhepunkt war ein Kampf gegen die Fußballer von "West Ham United", wie sie sich augenzwinkernd nannten. Das ist ein Stadtteil von London; der Club spielte in der höchsten Liga. Gewonnen haben die hinter Stacheldraht eingesperrten deutschen Soldaten natürlich nicht, die gut genährten Engländer waren ihnen körperlich überlegen. Martin Schmidt erinnerte sich gern an die sportlich faire Spielweise seiner Bewacher.

An die Kriegsgefangenen waren schmale Zettel mit Linien ausgegeben worden, worauf sie Nachrichten in ihre Heimat schicken konnten. Extra war vermerkt: "Nicht zwischen die Zeilen schreiben!" Dies hätte wohl die Zensur erschwert. Martin Schmidt schrieb am 19. März 1919 aus Traouville, nördlich von Deauville, ein Lager mit rund 4000 Gefangenen. Er gratulierte seinem Vater zum Namenstag und teilte mit, dass er aus dem Lazarett entlassen worden sei. Er hoffe, dass es in 14 Tagen mit dem Schiff Richtung Heimat gehe, "das wäre wirklich nicht mehr zu früh". Der junge Mann richtete noch an verschiedene Leute Grüße aus und fügte hinzu, "ihr braucht Euch keine Sorgen um mich machen".

Verständlich, dass Martin Schmidt als "Nationalspieler" mit großer Fußballbegeisterung am 18. Juli 1919 nach Titting zurückkehrte. Die jungen Leute hatten schnell eine Mannschaft beisammen und radelten zu den Wettkämpfen nach Kipfenberg, Eichstätt und sogar Nürnberg. Da musste mancher der Sportler auf dem Gepäckträger "mitreisen". Zum Transport der Mannschaft wurde auch ein von Pferden gezogener Leiterwagen benutzt.

Als die Juraerschließung in den 1920er-Jahren als Arbeitsbeschaffung lief, kamen weitere Fußballer dazu. Bei der Maßnahme handelte es sich um den Straßenbau zwischen den Juradörfern. So wurde 1922 der Fußball-Club Titting gegründet, der 1929 zum DJK-Verein (Deutsche Jugendkraft) überging. Armin Wiesent: "Mein Großvater war fußballverrückt". Damit habe er viele Jugendliche angesteckt. Später habe der Elektromeister sein Auto an den Sonntagen voller Spieler geladen, um sie zu den Einsätzen zu bringen, "das war oft abenteuerlich".

Im April 1970 ist der ehemalige "Nationalspieler" gestorben. Sein Enkel hebt die Dokumente und Fotos aus der Kriegs- und Gefangenenzeit vor einhundert Jahren sorgfältig auf.

Josef Ettle