Eichstätt
Skandal um Film "Die Sünderin"

17.09.2010 | Stand 03.12.2020, 3:40 Uhr

Molkereibesitzer und Kinopächter August Ungerer als Soldat.

Eichstätt (EK) Den größten Zulauf verzeichneten die Ungerer-Lichtspiele in Eichstätt bei einem Skandalfilm. Wenigstens damals, zu Beginn der 1950er Jahre, war es einer: der Streifen "Die Sünderin", in dem sich Hildegard Knef "pudelnackert" am Badebecken räkelte.

Viele ältere Eichstätter haben sicher den Kinosaal im Stadttheater in guter Erinnerung. Kinopächter August Ungerer sperrte die Tore am 29. Februar 1957 endgültig zu. Er war damals 75 Jahre alt.

August Ungerer war im Jahr 1915 aus Ulm nach Eichstätt gekommen. Sein Geld verdiente er mit einem Beruf, der mit Kino überhaupt nichts zu tun hatte: Er leitete in der Westenstraße eine Molkerei. Dort bestand bereits ein kleiner Betrieb, den der Schwabe ansehnlich ausbaute. Als erstes Unternehmen stellte er die Bezahlung der Bauern auf den Fettgehalt der Milch um. 1940 waren innerhalb von sieben Wochen Ungerers Frau und Tochter gestorben. Daraufhin gab er die Molkerei auf.

August Ungerer suchte nun nach einer Beschäftigung und fand sie im Steinberger-Kino in der Westenstraße, dem späteren Burgtheater. Zusammen mit Rosa Steinberger, die schon in der Molkerei gearbeitet hatte, betrieb er das Kino bis Mai 1943 weiter. Dann pachtete er von der Kommune das Stadttheater und gab das Burgtheater auf.

ANNO DAZUMAL

Das Kino, die Ungerer-Lichtspiele, kamen bei den Eichstättern und den Gästen aus den umliegenden Orten gut an. Das Fernsehen steckte noch in den Kinderschuhen. Viele Kinokunden waren einstige Geschäftspartner der Molkerei und verbanden das Filmvergnügen mit einem Besuch bei August Ungerer.

Im April 1951 passierte die Sache mit der "Sünderin". Darin war Hildegard Knef kurz nackt zu sehen, was eine Welle der Empörung im ganzen Land und erst recht in Eichstätt auslöste. Der Stadtrat kam zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen und konstatierte: "Die Stadt als Hauseigentümerin kann nicht dulden, dass ein solcher Film gezeigt wird." Der Streifen sei "eine grobe Beleidigung der sittlichen Grundsätze".

Bestärkt wurden die Stadtväter in ihrer Empörung durch einen Brief von Bischof Joseph Schröffer, der schrieb: "Die Aufführung des Films muss mit allen zu Gebote stehenden Mitteln verhindert werden." Protestschreiben des Katholischen Frauenbunds und des Evangelisch-lutherischen Pfarramts gingen im Rathaus ein. Der Stadtrat: "Für so einen Film steht das Stadttheater nicht zur Verfügung."

August Ungerer erklärte darauf, dass dann die Stadt die Konventionalstrafe von 2000 Mark zahlen solle, was auch durch eine Spende geschehen könnte. Die Stadträte wollten die Summe natürlich nicht locker machen und zogen vor das Amtsgericht Eichstätt. Hier blitzten sie ab. Der Film wurde gezeigt, und Ungerer verzeichnete bei mehreren Vorführungen einen "Riesenzulauf", wie Georg Babl in seinen Erinnerungen geschrieben hatte. Fazit: Ein Stadtratsmitglied, das sich für den Film eingesetzt hatte, begriff die Aufregung nicht, "da doch gar nichts Unanständiges zu sehen war".

Der Kinobetreiber hatte danach nochmals Probleme mit der Stadt, die zu einem jahrelangen Prozess führten: Es ging um eine höhere Pacht, die von der Kämmerei gefordert worden war. Mit 75 Jahren hörte August Ungerer auf. Bei der letzten Vorstellung im April 1957 haben sich die Stammkunden und die vielen Bekannten Ungerers herzlich von ihm verabschiedet. Der groß gewachsene Mann, der immer noch Schwäbisch sprach, lebte noch ein paar Jahre in Eichstätt. Am 9. Juli 1970 ist er gestorben, einen Tag vorher hat er "seine" Steinberger-Rosl geheiratet. Neuer Lichtspielpächter wurde am 1. April 1957 Intendant Schöpf aus Ingolstadt. Mitte Mai 1957 stand wieder das Kino auf der Tagesordnung des Stadtrats. Es ging um die Eintrittspreise. Die neuen Sätze: 1. Platz 1,70 Mark; 2. Platz 1,40 Mark; 3. Platz 1,10 Mark; Balkon vorne 1,90 Mark und Balkon rückwärts 1,70 Mark. Wenn Cinemascope-Filme auf Breitleinwand gezeigt wurden, konnte das Kino 20 Pfennig aufschlagen. Der Stadtrat legte fest: "Preise und Sitzordnung dürfen nur im Einvernehmen mit dem Stadtrat verändert werden." Das war damals eben eine wichtige Angelegenheit.

Die Sanierung des "Huttenstadels", in dem sich das Stadttheater befand, wurde 1985 begonnen und im Juni 1988 abgeschlossen. Seitdem trägt das Haus den Namen Altes Stadttheater.