Eichstätt
Queckenbrot und Brennnessel

Hungersnot durch Dürre und Schneckenfraß 1916 und 1917: Nur 1000 Kalorien täglich

07.07.2017 | Stand 02.12.2020, 17:49 Uhr

Foto: Marlene Ettle

Eichstätt (EK) Es waren "Siebener-Jahre", in denen die Menschen in unserer Region einst hungern mussten: 1817, 1847, 1917 und 1947. Die Ursachen für Ausfälle bei der Versorgung und von schlechten Ernten waren Trockenheit und Dürre, andererseits sintflutartige Regenfälle, harte Winter, Hagelschlag, Schneckenfraß und Kriege. Die Bevölkerung nahm Zuflucht in Prozessionen und Gebeten. Um den gröbsten Hunger zu stillen, wurden Queckenwurzeln und Rindenstücke zu Mehl gemahlen und Brennnesseln gegessen.

ANNO DAZUMAL

Im Frühjahr und Sommer 1816 hatten Wetterunbilden die Getreidefelder verwüstet. Bis zur neuen Ernte 1817 gab es in weiten Landstrichen Bayerns kein Brotgetreide. An die Wochen, als wieder Korn geschnitten werden konnte, erinnert eine zwar staubtrockene, aber sonst gut erhaltene Semmel aus dem Jahr 1817. Sie ist ein kostbarer Fund: Nach dem schrecklichen Dürrejahr hat der Eichstätter Bäcker Anton Zeitlmayer das erste Backwerk aus Mehl der Ernte 1817 aus Dankbarkeit aufbewahrt. Der Bäcker wickelte es in Papier und schrieb dazu: "Eine Semmel vom Jahrgang 1817, der Dürrezeit." Gefunden wurde das Päckchen 1988 bei der Renovierung des Hauses "Paradeis" am Marktplatz. Der Historische Verein bewahrt zwei "Rögglein" aus der Zeit auf.

Missernten treffen die Menschen sehr hart. So kam am 7. August 1816 "im Namen Seiner Majestät des Königs von Bayern" an sämtliche Polizeikommissariate folgende Anordnung heraus: "Seine königliche Majestät wollen, dass um den Segen des Himmels für die gegenwärtige Aerndte zu erflehen, in allen Pfarr-Kirchen beider Confessionen ein feierlicher Gottesdienst alsbald abgehalten wird." Dies wurde im "Intelligenzblatt" veröffentlicht.

Die Lebensmittelpreise stiegen ins Unerschwingliche und viele Menschen waren auf Armutshilfe angewiesen. Der Metzen Weizenmehl war im August 1814 mit zwei Gulden und acht Kreuzern bezahlt worden, im März 1817 aber mit 5 Gulden und 48 Kreuzern. In ähnlichem Verhältnis kletterten die Preise etwa für Erbsen, Linsen, Fleisch und natürlich das Brot. Die königliche Regierung versuchte dagegenzusteuern. Zur Linderung der Not wurde russisches Getreide gekauft und an die Armen "Brotbilletten" ausgegeben.

In Chroniken ist immer wieder von schlechten Ernten und folgender Teuerung zu lesen. Insbesondere Clara Staiger, die Priorin des Augustinerinnenklosters Marienstein, hat dies ausführlich geschildert. Von 1635 wird berichtet: Es herrschte eine schreckliche Teuerung und Hungersnot, woran wöchentlich über 100 Personen starben.

Die Menschen suchten mit Fantasie Genießbares und Sättigendes auf den Tisch zu bringen. Im Mai 1817 druckte das "Intelligenzblatt" über viele Seiten hinweg eine "Anweisung, die Hälfte des Brotkorns durch Mehl aus Erdkohlrüben zu ergänzen". Das waren sogenannte Dorschen oder Erddotschen, Stoppel- oder Bodenrüben. Zu Mehl verarbeitet wurde auch die Gemeine Quecke, ein lästiges grasähnliches Unkraut, das in Brachfeldern meterlange Wurzeln treibt. Nach Anweisung der Polizeidirektion sollten Sammler, insbesondere Kinder, hinter dem Pflüger hergehen und die Wurzeln aufklauben. Diese sollten gewaschen, getrocknet, zerkleinert und dann in den Mühlen zu Mehl vermahlen werden. "Ein Drittel Queckenmehl und zwei Drittel Kornmehl ergeben ein Brot, das vom reinen Roggenbrot nicht unterschieden werden kann", stellten die Behörden heraus. Zu Essen bereitet wurden auch Disteln und Brennnesseln.

Was eine Scheibe oder gar ein Laib Brot in einer Hungerzeit wert ist, lehrt sehr anschaulich ein Ereignis aus dem Jahr 1847. Damals wurde von einem Zeichner die eindrucksvolle Prozession vom 11. Juli festgehalten, die einen reich geschmückten Wagen begleitete, auf dem nach Misswuchsjahren das erste geerntete Korn zum Lagern in den Eichstätter Getreidestadel begleitet wurde. Der "Huttenstadel" ist das heutige Alte Stadttheater.

100 Jahre ist es her, dass infolge des Ersten Weltkriegs eine katastrophale Lebensmittelknappheit herrschte. Hinzu kam, dass die Kartoffelernte 1816 sehr dürftig ausfiel. Der Winter ging als "Kohlrübenwinter" in die Geschichtsbücher ein. Die Tagesration für Erwachsene lag durchschnittlich bei 1000 Kalorien. Aus den Städten zogen die Menschen in die bäuerlichen Dörfer zum Hamstern von Nahrungsmitteln.

Ältere Mitbürger erinnern sich an die notige Zeit und die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. 1947 war von der amerikanischen Militärregierung die tägliche Lebensmittelration auf 1550 Kalorien festgesetzt worden. Im Jahr 1950 war die Marken- und Mangel-Zeit vorbei. Das sogenannte Wirtschaftswunder setzte ein und führte zu übervollen Regalen in den Läden und zu rund einem Dutzend Brotsorten.