Eichstätt
Nur wer mit Geld zu tun hat, gilt als "nüchtern"

Zum provokanten elften Wintervortrag von Karl-Heinz Brodbeck über "Krisen der Gegenwart"

03.02.2016 | Stand 02.12.2020, 20:15 Uhr

Eichstätt (buk) Die aktuelle Wintervortragsreihe neigte sich ihrem Ende genauso zu, wie sie im November begonnen hatte: Am vorletzten Abend zeigte der Würzburger Emeritus Karl-Heinz Brodbeck aus Schweinfurt dem Publikum ein weiteres Mal, was es heißt, ein Thema souverän zu beherrschen und ohne jedes Manuskript völlig frei darüber sprechen oder auch einfach nur plaudern zu können: "Krisen der Gegenwart und Währungen der Zukunft" lautete das Motto am elften Abend der Reihe zum Thema "Geld und Werte".

 Brodbeck ist Emeritus für Volkswirtschaft, Statistik und Kreativitätstechniken und erforscht die philosophischen Grundlagen der Ökonomie.

Im Mittelpunkt des Vortrags stand die provokante These, dass in der Gegenwart eine "Krise der Ratio" überhaupt, der Vernunft, herrsche, die wesentlich mit Geldwirtschaft zu tun habe. Nach der Sicht von Wirtschaftswissenschaftlern habe Geld vier Funktionen: Es diene als Mittel zum Tausch, als Recheneinheit, bewahre Werte auf und sei Mittel zur Entschuldung. Dieser allgemein anerkannten Sicht setzte Brodbeck seine Sicht entgegen: "Geld hat mit Rationalität zu tun", und alle gesellschaftlich bedingten Krisen laufen auf den einen Grund zurück, dass "die Weltbewältigung über die Ratio erfolge": Wer mit Geld zu tun hat, gelte als "nüchtern", man "zähle" auf den anderen und "rechne" mit ihm. Wer als "unberechenbar" gilt, sei dagegen suspekt und errege Misstrauen. Welche Krisen auch immer heute die Welt beherrschten - Brodbeck zählte hier Finanz-, Flüchtlings-, Wachstums- und Staatshaushaltskrise, Überalterung der Gesellschaft oder Preiskrisen auf -, sie alle hätten mit Geld zu tun, und das "nicht im unmittelbaren Sinn, sondern in einem tieferen, philosophischen": Es gehe um Denkformen und "um die Art, wie wir mit der Welt umgehen, wie wir die Natur vernehmen". Doch man müsse Naturphänomene nicht immer berechnen: "Wenn eine Lerche aufsteigt, versteht man ihren Flug, man braucht ihn nicht zu berechnen." Gerade aber die als "höchste" geltende Wissenschaften nimmt eine "berechnende Haltung gegenüber der Natur ein und will alles berechnen". Der Referent zeigte auch, dass eine einseitige Sicht entstand, als man Flächen berechnete, um sie "kaufen" zu können; er erinnerte an die Entstehung der Algebra und Übernahme der "Null" aus dem arabischen Denken. Doch sei es "keineswegs selbstverständlich, dass wir alles nach Zahl, Maß und Gewicht ordnen zu müssen glauben", wie es schon die Bibel nahelege.

Auch unser Umgang miteinander orientiere sich allein "aus dem Horizont der rechnenden Ratio heraus"; der Fortschritt gelte als "fortschreitende Ratio im Berechnen der Welt", führe aber eben in Krisen, wie es Brodbeck an den Beispielen der Flüchtlings- und der Aktienkrise entfaltete: Die "Spur des Geldes ist in allen diesen Krisen zu entdecken", Geld spiele eine Hauptrolle in Krisen. Es errichte Schranken innerhalb der Gesellschaft: "Bin ich drinnen, kann ich mir alles kaufen, bin ich draußen, muss ich nach Geld streben, um wieder Zutritt zu den Märkten zu bekommen", formulierte Brodbeck. Letztlich sei Geld "eine Schranke, die immer wieder überwunden werden muss".

Schließlich spitzte der Referent seine These zu: Der Fortschritt der Ratio hatte immer die Krise im Windschatten, die Theorie der Ökonomie habe sich "schon früh von mathematisch-naturwissenschaftlichen Denkmustern in die Irre führen lassen". Und: "Die Tatsache, dass wir immer alles rechnen wollen, ist völlig irrational".