Eichstätt
Sittlichkeit versus American Way of Life

Forschungsgruppe der Katholischen Universität untersuchte Zeit der 1950er-Jahre in Eichstätt

19.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:03 Uhr

Der Eichstätter Marktplatz in den 1950er-Jahren. ‹ŒArch - foto: Sammlung Rudolf Hager

Eichstätt (EK) Wie sah es im Eichstätt der 1950er-Jahre mit dem kirchlichen Leben aus? Eine Forschungsgruppe der Katholischen Universität hat das untersucht. Die Ergebnisse widersprechen einigen gängigen Klischees von dieser Zeit.

Der spießige, muffige, möglicherweise verklemmte Eindruck, den wir uns heutzutage von den 1950er-Jahren machen, täuscht. Gerade in den 50ern wird - auch in einer katholischen Kleinstadt wie Eichstätt - vehement um die Aufrechterhaltung der Sittlichkeit gekämpft. Die Seelsorge und mit ihr der Versuch, die Deutschen wieder an den christlichen Glauben heranzuführen, haben nach den einschneidenden Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs einen hohen Stellenwert. Die pastoralen Aktivitäten waren dabei vor allem auf Jugendliche und deren Schutz ausgerichtet, denn sie galten als die wichtigsten Hoffnungsträger für eine neue Zukunft Deutschlands.

Doch die damalige Situation, in der sich viele Jugendliche befanden, war äußerst instabil: Die Väter im Krieg gefallen, noch vermisst oder psychisch auf Schwerste traumatisiert, die Mütter ganz mit dem Wiederaufbau oder der Nahrungsbeschaffung beschäftigt - das konnte rasch zu einer fehlenden Vorbildfunktion für die Kinder führen. Wie sehr sich moralische Grenzen in der damaligen Wahrnehmung aufweichen konnten, davon zeugt ein Hirtenwort der Diözese Eichstätt vom Juli 1945. Die immer häufiger werdenden Verbindungen der weiblichen Jugend zu amerikanischen Soldaten wurden beklagt. In der Tat: Angesichts von Geld- und Hungersnot waren Kontakte zu den amerikanischen Besatzern durchaus attraktiv. Sie boten einerseits die Möglichkeit, an begehrte Tauschware zu kommen. Andererseits sehnten sich viele jüngere Deutsche nach den entbehrungsreichen Kriegsjahren nach dem amerikanischen "way of life".

So gut es ging, versuchte die katholische Kirche das in ihren Augen landesweite moralische Vakuum aufzufangen, wie etwa 1948 durch die Nüchternheitswoche "Aufrecht und stark" gegen Jugendalkoholismus. Gegen die Verrohung der Sitten begehrte auch der sogenannte Volkswartbund auf. Dieser katholische Laienverein versandte 1949 seinen Jahresbericht mit dem Titel "Übersicht über den Stand der öffentlichen geschlechtlichen Sittlichkeit im heutigen Deutschland" auch an die Diözese Eichstätt. Der Volkswartbund zeigte sich schockiert: In Teilen Deutschlands dürften Verhütungsmittel frei verkauft werden, gleichzeitig ließe sich eine Steigerung von Geschlechtskrankheiten beobachten. Besonders der Protest gegen Präventivmittel schlug auch in Eichstätt hohe Wellen. Denn: Am Ortsbahnhof waren von der Deutschen Bundesbahn sogenannte Schutzmittelautomaten aufgestellt worden. Bürger und Vereine richteten sich empört an das Bischöfliche Generalvikariat Eichstätt und forderten Maßnahmen gegen diese Automaten. Schlussendlich ließ die Bahn die Automaten aufgrund der großen öffentlichen Proteste wieder entfernen. "1968" war noch weit weg ...

Detektivarbeit mit Quellen

Dünnes Papier, in Gefahr zu zerfallen; eine altertümlich wirkende Sütterlinschrift, die man erst einmal nicht lesen kann; Berge von Akten, bei denen nicht auf den ersten Blick klar ist: Was ist wichtig, was Nebensache? Mit alledem kennen sich die Studierenden nun aus, die am interdisziplinären Lehrforschungsprojekt zum Thema „Katholizismus in Eichstätt nach 1945“ im vergangenen Sommersemester teilgenommen haben. In dem Seminar an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt unter der Leitung von Professor Dr. Florian Bock (Mittlere und Neuere Kirchengeschichte) und Christiane Hoth (Geschichte Lateinamerikas) schlüpften die Studierenden in die Rolle der Spurensucher. Das Spannende dabei: Die Quellen sind der Forschung noch nicht bekannt und liegen somit nur im Original vor. Das Diözesanarchiv Eichstätt stand bei der Detektivarbeit mit Rat und Tat zur Seite. Auch ein paar Interviews mit Zeitzeugen hat die Projektgruppe geführt. Die Ergebnisse sind inzwischen fertiggestellt und als Texte formuliert: In fünf Teilen stellen wir sie nun in unserer Zeitung vor. Außerdem können Interessierte die ausführlichen Arbeiten der Studierenden sowie zeitgenössische Bilder und ein Video im Internet ansehen: unter der Adresse http://lehrforschungsprojekt-katholizismus.ku.de.