Eichstätt
Ein Zentrum der Tuchmacherei

19.02.2010 | Stand 03.12.2020, 4:14 Uhr

Eine historische Aufnahme der Maria-Hilf-Kapelle in der Westenstraße, die die Tuchmacher gestiftet haben.? Repro: je

Eichstätt (EK) Man kann es sich heute kaum vorstellen: In Eichstätt war einst eine florierende Textilindustrie zu Hause. Der Überlieferung nach sollen in der Blütezeit rund 800 Menschen ihr Brot damit verdient haben. Geblieben sind die Webergasse und die Tuchmacherkirche, die Maria-Hilf-Kapelle.

Das mit der Webergasse freilich ist seltsam: Magdalena Schick hat bei den Forschungen für ihr Buch "Von Tor zu Tor" in dieser Straße nur einen Weber gefunden. Ihr Kommentar: Die alte Gassenbezeichnung muss auf Bewohner sehr viel früherer Zeiten zurückgehen. Auch Stadtforscher Franz von Hofer erklärte, laut Steuerbuch von 1696 wohnten dort schon keine Weber mehr. Sie waren in die Nähe der Altmühl gerückt.

ANNO DAZUMAL

Aus dem Jahr 1353 ist von einer Urkunde bekannt, wonach den Webern und Wollschlagern von Eichstätt und all deren Nachkommen "ein ewiges Bett und drei Bettstatten" im Spital gestiftet wurde. Eine Art Sozialversicherung. Die Tuchmacher schlossen sich weder in Innungen noch in Gilden zusammen, sondern kannten nur "das Handwerk", zu dem auch die Loderer und Färber gehörten. Die erste Eichstätter Weberurkunde trägt das Datum Kathreinstag 1319 (25. November).

Franz von Hofer: "Im Jahr 1451 setzte Bischof Johann von Eych in der Fronleichnamsordnung die Färber an die erste Stelle vor den Weinwirten und Bierbrauern, was ihrem Ansehen entsprochen haben wird." Bestimmt wurde noch, dass die Färber und Tuchmacher Tuch auf die Straße legen sollen, damit das heilige Sakrament, sollte der Priester fallen, nicht gefährdet wird.

In der Mitte des 15. Jahrhunderts lag wahrscheinlich die wirtschaftlich beste Zeit der Tuchmacher, damals stifteten sie die Maria-Hilf-Kapelle. Im Jahr 1453 erlaubte der Bischof den Bürgern Hermann Kalmünzer und Willibald Lederer den Bau der Muttergotteskirche. Während des Dreißigjährigen Krieges, 1634, wurde sie niedergebrannt, 1656 wurde das wieder errichtete Gotteshaus geweiht.

Probleme mit der Rohstoffversorgung lässt eine Beschwerde aus dem Jahr 1576 erkennen. Damals verlangten "vier Zeichenmeister und ein ganzes Handwerk" gegenüber Bischof Martin von Schaumberg, dass die Schafwolle nicht aus dem Land ausgeführt werden darf, sondern im Stift bleiben muss.

Die Tuchmacher waren verpflichtet, sehr auf Qualität zu achten. In 14 Punkten war festgelegt, wie das Tuch beschaffen sein musste. Ein Zeichenmeister hatte die zum Kauf feilgebotene Ware zu beschauen und zu zeichnen. Das Weberhandwerk durfte niemand ohne Ausbildung ausüben.

In einer Urkunde aus dem 16. Jahrhundert heißt es: "Krämer und Gewandschneider kaufen in Eichstätt weiße und wollene Tücher und bringen sie in ausländische Orte, wo sie auf niederländische Art grün und blau gefärbt werden." Was daran die Tuchmacher empörte war, dass diese Tuche danach wieder zu den Märkten im Hochstift gebracht und verkauft wurden. Der vom "Handwerk" angerufene Bischof versprach Abhilfe, "zumal das gefälschte Grün und Blau schon in den Kellern und Läden und erst recht im Sonnenschein die Farbe verliert."

Hart war der Konkurrenzkampf auch im 17. und 18. Jahrhundert. 1675 wurde den Pflegern von Berching, Greding und Kipfenberg aufgetragen, "dass auf den Märkten die Bürger des Hochstifts gegenüber Fremden bevorzugt werden müssen". Ernst zu nehmende Konkurrenten waren vor allem die jüdischen Händler, "die mit ihrer Ware durch das Land und in die Wirtshäuser gehen und mit listiger Zuredung Kunden finden."

Der Eichstätter Tuchmacher Hans Dürnhöffer versuchte mit Schwindeleien seinen Verdienst aufzubessern. Er wurde von vier Zeichenmeistern und mehreren Tuchmachern beschuldigt, "zwölf Jahre lang Land und Leute mit zu schmalem Tuch betrogen zu haben": Dafür wurde er zehn Tage ins Gefängnis gesteckt und dann für sechs Jahre samt seiner Frau und sechs Kindern des Landes verwiesen.

Die Tuchmacher hatten in Eichstätt großen Einfluss. Während des Bauernaufstandes versahen sie in der Stadt den Wach- und Sicherheitsdienst. 200 von ihnen zogen am 2. April 1525 nach Wellheim, um den rebellischen Zacharias Krell, der aus München geflohen war, anzuhören. Dieser war aber erschossen worden und so beschlossen die Tuchknappen, "die Lehre von der Freiheit nach Eichstätt zu bringen." Das beginnende Industriezeitalter mit der maschinellen Tucherstellung entzog immer mehr Eichstätter Webern die Existenzgrundlage. In seinem Buch "Geschichte der königlich baierischen Kreishauptstadt Eichstätt" (1815) erwähnt Gerichtsadvokat Franz Xaver Lang 16 Tuchmacher, einen Tuchscherer, drei Färber und 16 Weber. Im Adressbuch von 1891 sind nur noch vier Webermeister genannt: Richard Linz am Kugelberg, Xaver Niefnecker am Kapellbuck, Xaver Oberländer in der Spitalvorstadt und Johann Strunz in der Westenstraße sowie die Färber Albert Ungerer und Franz Benedikter, beide Westenstraße. 1927 findet sich kein Berufsvertreter der Tuchmacher mehr.