Eichstätt
Was dem Leser verborgen bleibt

EK-Ferienjob: Hinter den Kulissen der Zentralbibliothek der Katholischen Universität

23.08.2018 | Stand 23.09.2023, 3:53 Uhr
Suchen in den langen Gängen des Magazins: Zwischen 500000 und 600000 Bücher lagern in diesem versteckten Teil der Universitätsbibliothek. −Foto: Bird

Eichstätt (EK) Ganz klar, hier riecht es nach Büchern. Ein wenig vielleicht auch nach dem Linoleum-Boden. Das helle Neonlicht, die Metallregale, das Surren, mit dem sie elektrisch angetrieben zur Seite fahren, all das hat seinen eigenen Charme. Der sagt: Hier lagert Wissen! In Form von zwischen 500000 und 600000 Medien. Ich laufe den langen Gang hinunter, schiebe den Bücherwagen vor mir her und staune.

Viel Zeit bleibt dafür aber nicht. Christine Pfrang drückt auf die Tube. Die Geschäftsführende Beamtin im Bereich Benutzung und Service an der Universitätsbibliothek der KU will eine Garantie einhalten: Nur 30 Minuten dauert es, bis ein Leser sein Buch abholen kann, nachdem er es aus dem Magazin bestellt hat. Damit das klappt, sind immer auch einige studentische Hilfskräfte da. Die orientieren sich sicherlich geschickter zwischen den vielen Regalen als ich. PL 408 K84 lautet meine Mission. Die Bücher sind alphabetisch geordnet, dann nach Zahlen, dann wieder alphabetisch. Das richtige Regal fährt zur Seite und schließt dabei den Gang daneben - immer schauen, dass niemand anders mehr dort drin ist! - und ich beginne zu suchen. PL 400, ich gehe in die Knie, PL 408, jetzt noch K... gefunden! Aber dann nochmal genau schauen, ob alles mit dem orangen Laufzettel übereinstimmt, denn vielleicht gibt es zwei ähnliche Titel.

Eins nämlich verstehe ich sofort: Die volle Bedeutung des Wortes "systematisch" lernt man erst, wenn man einmal in einer Uni-Bibliothek hinter die Kulissen geschaut hat. Und dazu gehört vor allem, sehr genau zu arbeiten.

Den Lesesaal der Zentralbibliothek in Eichstätt, seit gut 30 Jahren malerisch an der Altmühl gelegen, kennen wohl viele Menschen aus der Region. Nicht nur Studenten können ihn nutzen, auch Gymnasiasten brauchen mal Literatur für Referate oder Seminararbeiten. Und wer Fremdsprachen lernen will, wird ebenfalls fündig. Auch ich selbst habe hier zu Studienzeiten gebüffelt. Den luftig-hellen Saal mit seinen vielen Regalen lasse ich heute allerdings links liegen. Mich zieht es in Bereiche, die sonst keine Leserin und kein Leser - die Bibliotheksfachleute nennen sie Benutzerinnen und Benutzer - betritt. Und lerne: In den Lesesälen, auch der Teilbibliotheken Aula, Ulmer Hof, Staats- und Seminarbibliothek und Zweigstelle Ingolstadt, stehen vor allem die allgemeine Literatur, die aktuellen Bücher und Zeitschriften. Was spezieller ist oder nicht mehr so gefragt, wandert ins Magazin.

So weit, so simpel. Was allerdings alles passieren muss, bis ein Buch überhaupt an seinem Standort, seinem mit der Signatur festgelegten Parkplatz landet, lerne ich bei einem Ausflug in die Büros. Insgesamt rund 80 Mitarbeiter hat die Uni-Bibliothek. Fast 40 davon gehören zur Abteilung Bestandsentwicklung. Über 1,7 Millionen Euro hat die Einrichtung 2017 für neue Medien ausgegeben.

Ein Medium der Bibliothek geht noch vor der ersten Ausleihe durch viele Hände. Bevor irgendwer das Buch wirklich anfassen kann, haben Mitarbeiter wie Magdalena Salzner damit zu tun. Sie gehört zu einem von sechs Fachteams und kümmert sich in der "65" - das ist Anglistik - um Bestellung, Katalogisierung und Rechnung. Wenn sie ein Buch bei einem der Lieferanten ordert, dauert es zwischen zwei Tagen, mehreren Wochen, im Extremfall beispielsweise bei lateinamerikanischen Büchern auch mal bis zu neun Monate, bis Wolfgang Christl das Buch auspackt. Er nimmt alle Lieferungen entgegen. Die Eichstätter Buchhändler kommen täglich. Andere Lieferanten sitzen in Frankfurt oder auch in Italien und schicken einmal die Woche Pakete. Alle gehen sie durch Christls Hände und bekommen den passenden "Besitzstempel" und Laufzettel verpasst.

Dann kümmern sich Magdalena Salzner und ihre Kollegen ums Katalogisieren. Und da ist es wieder: "Wichtig ist, dass man ganz genau arbeitet", sagt Salzner. Sie hantiert mit dem Verbundkatalog ALEPH, der viel Zeit und Arbeit spart - zu neuen Büchern kann man dort nämlich die Datensätze aus anderen Bibliotheken verknüpfen. Damit ist es aber nicht getan, da gibt es noch das lokale System MFC, das wiederum unter anderem dafür sorgt, dass der OPAC für die Benutzer gut befüllt ist - mir schwirrt langsam der Kopf.

Warum Seitenzahl, Verlag, ISBN und weitere Daten so wichtig sind, erklärt mir die Fachreferentin Ruth Katzenberger-Schmelcher. "Ein Buch, das nicht gefunden wird, ist tot", sagt sie. Das gilt im digitalen Katalog genauso wie am Regal. Die Fachreferenten haben nicht wie andere Mitarbeiter Bibliothekswesen studiert oder eine Bibliotheksfachausbildung gemacht, sondern haben ein Fachstudium und ein Referendariat und sind zuständig für ihren Fachbereich. Bei Katzenberger-Schmelcher sind das Wirtschaftswissenschaften, Rechtswissenschaften und Mathe. Sie entscheidet nicht nur, welche Bücher angeschafft werden, sondern auch, wo genau sie stehen. Dafür vergibt sie eine passende Signatur. Zumindest den Teil für den Standort - Lesesaal oder Magazin - und die genaue Fachrichtung. Die richtet sich nach der Regensburger Verbundklassifikation, dafür gibt es eine Online-Datenbank. Das "PL 408" des Buches, das ich im Magazin herausgesucht habe, steht beispielsweise für Bücher zu Artikel 5 des Grundgesetzes - Meinungs- und Informationsfreiheit. Bei der Suche im Online-Katalog können auch Schlagwörter helfen. Die sind normiert und richten sich - genau - nach einer Datenbank, der Gemeinsamen Normdatei.

Den Rest der Signatur, die das Buch dann endgültig einzigartig macht, sucht Elfriede Bayer heraus. Sie macht die Endabnahme. Das erste Wort des Titels wird dabei in eine Buchstaben-Zahlenkombi verwandelt - mithilfe einer weiteren Datenbank, der sogenannten Cutter-Tabelle. Den Feinschliff der Signatur nennt man folgerichtig "untercuttern". Dann gibt es noch ein Programm, mit dem sie die Signaturaufkleber entwirft. Und dann endlich bekommt das Buch seine Mediennummer- und Signatur-Bapper und kann - nach einer weiteren Prüfung - ab in den Lesesaal oder ins Magazin.

Mein Kopf raucht. Und dann erfahre ich noch, dass es ja beileibe nicht nur Bücher gibt, sondern auch über 1700 laufende Titel von Zeitschriften. Wenn man alle digitalen Zugänge mitrechnet, liegt die Zahl bei rund 24000. Ich bin langsam ein wenig geplättet. Zum Glück zeigt mir Albert Strauß von der Zeitschriftenstelle dann im Magazin etwas, das mir vertraut ist: Das Archiv des EICHSTÄTTER KURIER, monatsweise gebunden in schwarzen Bänden mit goldener Prägung. Ich schmunzle beim Durchblättern über alte Bilder von Redakteurskollegen. Bei Strauß wird die Bibliotheksarbeit auch mal richtig handwerklich: Er bereitet Zeitschriften für das Binden vor, indem er Klammern und Buchrücken entfernt. Kaputte Bücher schickt er ebenfalls zu den Handwerkern, die aber immer seltener werden. Denn auch in Bibliotheken ist die Digitalisierung nicht aufzuhalten.

Im Magazin atme ich noch einmal den Geruch des Papiers ein. Mich jedenfalls hat dieser Bibliotheks-Besuch in meiner Liebe zu gedruckten Büchern bestärkt.

Katrin Poese