Eichstätt
"Druck muss aus dem Kessel"

Diskussion des Lehrerverbandes in Schernfeld: Landtagskandidaten sprechen über Bildungspolitik

15.06.2018 | Stand 23.09.2023, 3:48 Uhr
Diskutierten über die Bildungspolitik in Bayern: die Landtagskandidaten der im Kreistag vertretenen Parteien: (von links) Eva Gottstein (FW), Klaus Bittlmayer (Grüne), Christian De Lapuente (SPD) sowie Maria Lechner (ÖDP) und Tanja Schorer-Dremel (CSU) (von rechts). Moderiert wurde die Runde von Journalist Stephan Zengerle (Mitte). −Foto: Foto: Schneider

Eichstätt/Schernfeld (EK) Wer will denn heute noch Lehrer werden? Diese provokante Frage stellte der Bayerische Lehrerinnen- und Lehrerverband (BLLV) in den Mittelpunkt einer Diskussionsrunde. Auf dem Podium: die Landtagskandidaten der im Eichstätter Kreistag vertretenen Parteien.

Im Publikum saßen an diesem Abend in der Schernfelder Schule vornehmlich Lehrerinnen, ein paar männliche Kollegen hatten sich ebenfalls eingefunden - letztlich wohl auch Bild dafür, dass der Beruf gerade des Grundschullehrers eher frauendominiert ist. Eine Tatsache, die auch in der Diskussion, die Diplomjournalist Stephan Zengerle moderierte, angesprochen wurde - nicht nur in Sachen Gehaltsniveau, das bekanntlich zwischen Grundschul- und Gymnasiallehrern unterschiedlich ist. "Das Besoldungssystem stimmt nicht", monierte Maria Lechner (ÖDP). Das beginne allerdings schon beim Erzieherberuf, der ebenfalls mit viel Verantwortung verbunden sei, so Lechner, die privat Vorsitzende des Eichstätter Montessori-Vereins ist. Tanja Schorer-Dremel (CSU) verwies darauf, das Gesamtbild zu betrachten: "Das, was erreicht wurde, ist ein gutes Fundament." Es gehe darum, keine Neid-Debatten aufflammen zu lassen. Vielmehr müsse man sich immer die Frage stellen: Wie verkauft man seinen eigenen Berufsstand? "Grundschullehrer ist ein schöner Beruf", sagte sie und verwies auf ihre eigene Erfahrung vor dem Wechsel in die Politik.

Wenn an diesem Abend auch hitzige Wortgefechte ausblieben, eines war relativ bald deutlich: Die Ansätze der Parteien, eine gelingende Bildungspolitik betreiben zu wollen, sind durchaus sehr unterschiedlich. "Bildung ist unsere wichtigste Ressource", sagte Moderator Stephan Zengerle, "Aber es gibt viele Probleme und Herausforderungen." Dass sich zu wenig tue, zeigte Maria Lechner am Beispiel der Montessori-Schule in Eichstätt auf: "Wenn sich nichts tut, rennen sie uns weiterhin die Bude ein." Das System sei zu einseitig, man müsse mehr auf Ganzheitlichkeit setzen, so die ÖDP-Politikerin. SPD-Kandidat Christian De Lapuente befand, dass das Bildungssystem in Bayern nur funktioniere, weil es "hochmotivierte Lehrkräfte" gebe.

Eva Gottstein (FW) forderte in diesem Zusammenhang mehr Lehrer: "Irgendwie stimmt die Mathematik im Kultusministerium nicht." Es sei zwar gut, mehr Lehrer einzustellen, aber wenn gleichzeitig immer mehr Aufgaben hinzu kämen - Gottstein nannte unter anderem die Ganztagsangebote -, dann stimme die "Beweisführung" nicht. Dadurch seien es im Endeffekt weniger Lehrer. Das wollte Tanja Schorer-Dremel (CSU) so nicht stehen lassen: Im März seien 2000 zusätzliche Stellen hinzugekommen, "es wird etwas getan". Gottstein bemängelte indes - nach einer Zwischenfrage von BLLV-Kreisvorsitzendem Florian Rieß - die Budgetberechnungen für Grundschulen. "Das Budget richtet sich nicht nach den Bedürfnissen", sagte sie. Wenn man das allerdings neu berechnen würde, zeigte sich die FW-Politikerin, die früher selbst ebenfalls Lehrerin war, überzeugt, käme heraus: "Ich brauche noch mehr Lehrer. Und das will ich nicht." Sie warf der Staatsregierung vor, schlecht zu kalkulieren: "Jede Brandversicherung kennt ihre Risiken besser."

Da würden auch befristete Lehrerarbeitsverträge nicht helfen, mit denen sich gerade jüngere Menschen von Schuljahr zu Schuljahr hangeln. "Das ist unanständig!", rief Christian De Lapuente. "Da muss die Politik reagieren." Er hoffe, die CSU lasse diese Befristungsverträge auslaufen. Klaus Bittlmayer (Grüne) bezeichnete die Situation als "prekäre Arbeitsbedingungen". Es gebe Dinge, "die nicht dem Gesetz" entsprächen. Es sei völlig unverständlich, dass das "so vom Staat in Kauf genommen wird".

Ihm schwebe letztlich ein Schulsystem vor, in dem sich alle aufgehoben fühlen, sagte Bittlmayer. So gehöre es auch einmal dazu, sich "am Schulhof mal eine blutige Nase" zu holen. Da dürfe man dann nicht gleich das ganze System schlechtreden. "Der Druck muss aus dem Kessel." Dieser Forderung schloss sich auch Christian de Lapuente mehrfach an. Das könne beispielsweise durch Gemeinschaftsschulen geschehen, wie sie seine Partei seit Langem fordere - er nannte Denkendorf als Beispiel. Dort gibt es bekanntlich seit Jahren entsprechende Bestrebungen, die bislang aber keinen Erfolg hatten. Zudem: "Wir brauchen ein gemeinsames Bildungssystem." Dabei wolle er, De Lapuente, über die deutschen Grenzen hinausgehen: "Wir werden immer europäischer und haben ein Bildungssystem, das so uneinheitlich ist."

Maria Lechner forderte indes ein "Recht auf analoge Bildung" und die Auseinandersetzung mit den Gefahren der "frühen Digitalisierung". Dabei gehe es aber nicht nur um das Bedienen von Geräten, entgegnete Eva Gottstein: "Digitalisierung ist, wie ich heute die Möglichkeiten der Technik nutze." Dabei gelte es, die Lehrpläne und Schulbücher "auf die neue Welt" umzustellen. Klaus Bittlmayer sah den Vorteil der Digitalisierung auch darin, den Schulranzen leichter zu bekommen. Er warnte allerdings auch davor, die Gefahren der Medien zu unterschätzen: Hier brauche es Formate, den richtigen Umgang zu lernen.

In Sachen Übertritt bedauerten Gottstein und Lechner, dass man sich nur noch auf Noten beziehe und Bewertungen wie Sozialkompetenz nicht mehr einflössen. Gottstein verwies auf das Nachbarland Baden-Württemberg: Dort seien die Durchfallquoten an den weiterführenden Schulen enorm gestiegen, seit dort der sogenannte Elternwille gelte. Das heißt: Die Eltern können sich von der Empfehlung der Lehrer lösen und selbst entscheiden, auf welche Schule die Kinder gehen.

Wichtig sei, so Tanja Schorer-Dremel, "die Kinder als Persönlichkeit" anzunehmen. Bayern dürfe "stolz sein auf unser Schulsystem", so die CSU-Abgeordnete. Zugleich gebe es aber noch viele Hausaufgaben zu erledigen: "Aber wir sind dankbar für die Impulse aus der Praxis."

Marco Schneider