"Die Tätigkeit hat etwas Unternehmerisches"

Ein Jahr im Amt: Interview mit dem Eichstätter Oberbürgermeister Josef Grienberger (CSU)

30.04.2021 | Stand 31.05.2023, 13:00 Uhr
Mit 31 Jahren ist Josef Grienberger einer der jüngsten Oberbürgermeister in Bayern. Nach seinem ersten Jahr im Amt zieht er nun Bilanz. −Foto: Knopp

Herr Grienberger, vor einem Jahr haben Sie das Amt des Eichstätter Oberbürgermeisters angetreten.

 

Sie scheinen sich ja ausgesprochen wohlzufühlen in dieser Rolle.
Josef Grienberger: Ich fühle mich auch ganz wohl. Man gewinnt von Tag zu Tag mehr Souveränität, Ruhe und Erfahrung, und ich gehe nach wie vor mit viel Freude und Spaß ins Rathaus. Natürlich ist auch der eine oder andere Tag dabei, an dem ich froh bin, dass Feierabend ist. Aber in Summe ist es wirklich klasse, und ich bin sehr zufrieden, dass die Wahl im vergangenen Jahr so ausgegangen ist.

Wann ist in Ihnen eigentlich der Entschluss gereift, OB werden zu wollen? Wohl doch schon 2017, als Sie sich zum Vorsitzenden der Eichstätter CSU haben wählen lassen.
Grienberger: Eigentlich nicht. Wenn man ehrenamtlich in die Politik geht, sollte man das nicht mit dem Ziel tun, irgendetwas werden zu wollen. Ich habe immer gesagt, dass ich mit meiner Ausbildung, meinem Studium (zum Volkswirt), beste Chancen habe, mir in der freien Wirtschaft etwas aufzubauen. Ich hatte ja in den vergangenen Jahren in München einen Job als Unternehmensberater, der mir unglaublich viel Spaß gemacht hat. Am Ende bin ich erst im März, April 2019 darüber gestolpert, als wir uns bei der CSU mit der Kandidatensuche beschäftigt haben. Nachdem sich kein anderer zwingend angeboten hat, habe ich mich eben damit auseinandergesetzt. Also: Ich bin 2017 nicht CSU-Vorsitzender geworden, um Oberbürgermeister zu werden. Genauso wenig, wie ich jetzt hier sitze und sage, ich muss die nächsten 36 Jahre Oberbürgermeister bleiben. Das darf man alles nicht so verbissen sehen.

Was hatte damals letztlich den Ausschlag gegeben für Ihre Kandidatur?
Grienberger: Wenn man ein solches Amt mit viel Engagement ausübt, kann man etwas voranbringen und seinen Beitrag dazu leisten, wie sich eine Gesellschaft entwickelt. Die Tätigkeit hat auch etwas Unternehmerisches. Und das war schon immer das, was mich sehr gereizt hat. Auch mein Mentor, der ehemalige Landrat Anton Knapp, hat gesagt: Mach's. Es wird dir viel Spaß machen, weil du etwas bewegen kannst für die Menschen.

Auf was sind Sie denn bislang besonders stolz?
Grienberger: Ich bin sehr zufrieden, dass wir bei gewissen Projekten, die bisher im Stau gestanden sind, diverse Hürden nehmen konnten. Ich denke dabei an das Baugebiet am Blumenberg, das Gewerbegebiet Lüften-West oder den Herzogsteg. Das motiviert, mit Vollgas weiterzumachen. Aber es sind auch die vermeintlichen Kleinigkeiten, auf die sich der Blick richtet: zum Beispiel, dass wir es endlich geschafft haben, den Edelbachweg aufzumachen, oder das Abräumen der Fahrradständer. Das alles soll ein schlüssiges Gesamtbild ergeben, an dem die Bürgerinnen und Bürger sehen: Es passiert etwas.

Nun steht Ihr erstes Amtsjahr ganz im Zeichen von Corona. Wenn man es mal positiv betrachtet, können Sie sich ja voll und ganz auf die Amtsgeschäfte konzentrieren, weil solche Aufgaben wie Gratulationstouren, Fässer anzapfen und Grußworte sprechen wegfallen.
Grienberger: Ich war in diesem Jahr als Oberbürgermeister genau auf zwei Geburtstagen - einem 100. und einem 102. Geburtstag. Das waren sehr menschliche Erlebnisse. Ich hatte zuvor noch nie mit jemandem gesprochen, der so alt war. Und da merkt man schon, was einem fehlt. Ein Politiker ist ja normalerweise ein geselliger Mensch. Ich gehe auch gerne raus und spreche mit den Leuten. Das vermisse ich auf eine gewisse Art und Weise. Andererseits bleiben diese Stunden, um das operative Geschäft zu führen, vielleicht sogar besser zu führen. Ich habe da immer ein lachendes und weinendes Auge. Ich bin gespannt, wie wir nach der Pandemie eine gesunde Balance zwischen repräsentativen Pflichten und einer angemessenen Amtsführung hinbekommen.

Die Pandemie hinterlässt ihre Spuren - Einzelhandel und Gastronomie liegen danieder. Was tut die Stadt, um den Betroffenen unter die Arme zu greifen?
Grienberger: Es ist für alle frustrierend. Da müssen wir auch nichts schönreden. Wir versuchen in erster Linie, Ansprechpartner zu sein. Wir versuchen auch, die Kultur mit unseren gebäudlichen Kapazitäten zu unterstützen und eine Perspektive für den Sommer mit dem Innenhof der Residenz und dem Außenbereich von Maria-Ward für Veranstaltungen zu bieten. Mit dem Standortmarketing für den Einzelhandel wie dem Krippenweg oder dem Osterrätsel versuchen wir, die Leute in die Innenstadt zu bringen. Die große Frage ist, wo geht es perspektivisch hin? Kommen alle durch? Das wird uns in den nächsten Monaten beschäftigen - vor allem unter dem Aspekt, welche Hilfe wir als Stadt leisten können. Interessant ist übrigens in diesem Zusammenhang, dass wir kaum noch Leerstand haben. Auch das Existenzgründerprogramm läuft gut. Insofern ist das alles schwer einzuordnen: auf der einen Seite positive Signale, auf der anderen große Ungewissheit. Da wird nur viel Austausch helfen.

Wie sehen Sie die Perspektiven für die kommenden Monate?
Grienberger: Ich hoffe sehr, dass sich bald wieder etwas in der Außengastronomie tut - was nicht nur wichtig ist für die Gastronomen, sondern auch für das Gefühl der Menschen, endlich wieder zusammenkommen und einen Ratsch halten zu können. Die Nerven liegen an vielen Stellen blank. Ich hoffe auch, dass vermehrtes Testen dazu führt, in einem gewissen Rahmen wieder in die Geschäfte gehen zu können.

Was vermissen Sie persönlich am meisten in der Pandemie?
Grienberger: Ich treffe mich gerne mit Freunden in einem Lokal und trinke und esse was mit ihnen, was man ja in Eichstätt super machen kann. Das ist das, was mir am meisten fehlt. Ich bin aber recht zuversichtlich, dass das bald wieder möglich ist, auch weil es beim Impfen offensichtlich jetzt echt vorangeht.

Die Corona-Krise schlägt sich auch im Stadtsäckel nieder. Wo wird man Abstriche machen müssen?
Grienberger: Wir werden uns Gedanken darüber machen müssen, ob wir wirklich mit dem größten städtebaulichen Anspruch an künftige Projekte herangehen wollen, was natürlich die Kosten treibt. Oder sind wir auch mit einfacheren, pragmatischen Lösungen - auch baulicher Natur - zufrieden? Wir werden ja weiterhin bauen müssen: Die Themen Ganztagsschule und Feuerwehrhäuser schweben über uns, ebenso die Bahnhofssanierung. Sicherlich haben wir einen städtebaulichen Anspruch, aber ob in der Vergangenheit immer der richtige Weg eingeschlagen worden ist, weiß ich nicht.

Wie sieht das mit den Schulden aus? Bisher galten zehn Millionen Euro als eiserne Grenze.
Grienberger: Ich bin kein Freund davon, apodiktisch an irgendwelchen Zahlen festzuhalten. Das Gesamtpaket der städtischen Finanzen muss stimmen. Wir haben einen Puffer und können auch mehr Verschuldung vertragen, wenn es sich um sinnvolle Investitionen in die städtische Infrastruktur handelt.

Was hat Sie eigentlich besonders gefreut in Ihrem ersten Jahr?
Grienberger: Wir hatten ja viele Personalentscheidungen gehabt. Das hat dazu geführt, dass wir das Haus noch besser aufstellen konnten. Auch von der Atmosphäre her ist die Zusammenarbeit absolut klasse. Wir haben in allen Bereichen sehr gut qualifizierte Leute, die Lust haben mitzuziehen. Wir müssen da nichts schönreden: Alle wissen, dass es in der Vergangenheit Querelen gab. Diese mussten wir überwinden, und diese Chance haben wir genutzt.

Was hat Sie besonders geärgert? Dass Ihnen Ihr Elektrorad geklaut worden ist?
Grienberger: Geärgert wäre der falsche Ausdruck - eher etwas enttäuscht. Eigentlich wollte ich Vorbild für meine Kollegen sein, indem ich das Fahrrad bewusst draußen abgestellt habe und nicht im Rathaus. Außerdem war ich überzeugt: Wir sind doch in Eichstätt, da wird einem doch das Fahrrad nicht gestohlen. Da bin ich wohl eines Besseren belehrt worden. Das ist natürlich Anlass, noch mehr für die Sicherheit zu tun. Stichwort: qualitativ hochwertige Abstellplätze wie jetzt am Bahnhof.

Da wären wir schon beim Thema fahrradfreundliche Kommune.
Grienberger: Ein Punkt wird sicherlich die Aufteilung des Verkehrsraums sein. Bei der anstehenden Sanierung der Pfahlstraße stellt sich die Frage, ob einer der beiden Parkstreifen für den Fahrradverkehr umgestaltet werden kann. Auch in der Kipfenberger Straße werden wir darüber diskutieren, ob die Parkplätze dort wirklich sein müssen, oder ob nicht lieber Fahrräder Vorrang haben sollten. Massiv in den Planungen sind wir bereits beim Radwegeausbau, um die umliegenden Gemeinden und die Ortsteile anzubinden. Zum Beispiel Lüften - Buchtal. In der Lüften laufen schon einige Radwege zusammen, aber es fehlt der Anschluss an die Stadt. Das Gleiche betrifft etwa Buchenhüll oder das künftige Baugebiet Blumenberg-West. Es hängt dabei auch vieles von Grundstücksangelegenheiten ab, aber wir stecken hier viel Zeit und Energie hinein.

Apropos Wohngebiet Blumenberg-West: Ist das die Perspektive für die nächsten Jahrzehnte? Platz wäre ja genügend vorhanden.
Grienberger: Die Möglichkeiten sind vorhanden, wenn man an die Grundstücke kommt. Da muss man wirklich in Jahrzehnten denken, das Seidlkreuz hat in seiner Entstehung ja auch über 30 Jahre gebraucht. Das Ganze muss aber auch ein Zusammenspiel sein mit kleineren Flächen in den Ortsteilen und in der Stadt. Stichwort Nachverdichtung, siehe FÜW-Gelände.

Blumenberg-West wird von Grünen und ÖDP kritisiert: zu weit ab vom Schuss, zu viel Flächenverbrauch.
Grienberger: Da müssen wir uns keine Vorwürfe machen lassen. Von der geplanten Dichte der Bebauung her und vom ökologischen Ansatz her wird man wohl kein vergleichbares Baugebiet im Landkreis finden.

Also keine Baugebiete mehr mit ausschließlich Einfamilienhäusern.
Grienberger: Die Zeiten sind vorbei - zumindest für größere Baugebiete. Klar: In Wintershof zum Beispiel mit 15 Grundstücken brauche ich nicht mit Geschosswohnungsbau anzufangen.

Ein Dauerbrenner ist auch das Gewerbegebiet Lüften-West.
Grienberger: Im Herbst soll dort die äußere Erschließung beginnen, im nächsten Frühjahr die innere, und ab September 2022 sollen dort die ersten Firmen bauen können.

Wie ist die Nachfrage?
Grienberger: Hoch. Wir haben uns schon mit den Interessenten auseinandergesetzt. Wir wollen, dass dort ein qualitativ hochwertiges Gewerbegebiet mit guten Arbeitsplätzen entsteht. Natürlich kann sich da noch einiges ändern, aber Stand jetzt hätten wir eine dreifache Überzeichnung. Insofern muss man über eine Weiterentwicklung am Berg nachdenken und sich möglicherweise Reserven anschaffen.

Für Aufsehen hat das Gutachten über die wenig rosige Zukunft der Kliniken gesorgt.
Grienberger: Nachdem ich auch im Verwaltungsrat der Kliniken sitze, bin ich auch von dem her hochgradig damit beschäftigt. Selbstverständlich ist die Klinik ein sehr wichtiger Arbeitgeber und für uns als Mittelzentrum ein unglaublich wichtiger Standortfaktor, für den wir uns auch entsprechend einsetzen müssen. Aber sich letztlich nur auf die Frage Eichstätt oder Kösching zu konzentrieren, wird der Sache nicht gerecht. Es geht ja um die medizinische Versorgung des gesamten Landkreises. Da muss man um die besten Lösungen ringen, und dazu gehören beide Standorte. Wir in Eichstätt haben gute Argumente, die wir einbringen in die Diskussion. Im Vordergrund muss aber stehen, dass wir die Medizin hier am Ort und im Landkreis haben, die den Bürgern was bringt und von diesen auch genutzt wird.

Was bedeutet das für die Klinik Eichstätt in ihrer jetzigen Ausprägung?
Grienberger: Wir brauchen im Landkreis sowohl eine Stärkung der ambulanten Medizin wie auch mindestens einen großen Standort für die stationäre Versorgung. Und dafür sehe ich für Eichstätt ganz, ganz viele gute Argumente. Wir alle dürfen aber nicht den Fehler machen, Fronten in der Standortfrage aufzubauen. Nur emotional zu argumentieren, wird der Sache nicht gerecht. Wir dürfen uns Veränderungen nicht versperren, sonst fahren wir mit der Kiste gegen die Wand. Jeder Eichstätter kann natürlich darauf vertrauen, dass sich der Oberbürgermeister bestmöglich für den Standort einsetzt. Aber man muss auch dem gerecht werden, dass es um die Gesamtthematik geht, und nicht den Blick nur auf sich selbst richten.

Ein weiteres heikles Thema ist die Zukunft der Stadtlinie. Hier werden die Warnungen der Stadtwerke immer lauter.
Grienberger: Wir müssen uns vor Augen halten, dass solch eine Einrichtung in diesem Umfang und dieser Qualität gewissermaßen ein Luxus ist, den wir uns leisten. Das geht nur deswegen, weil wir Stadtwerke haben, die sehr gut aufgestellt sind. Aber wir sehen auch, dass den Stadtwerken gerade bei Strom und Gas von Jahr zu Jahr die Luft abgedreht wird. Da die Stadtlinie über eine Million Euro Defizit pro Jahr einfährt, muss über eine Anpassung des Angebots gerade in den Randbereichen diskutiert werden. Ich denke, dass es stärker in Richtung bedarfsorientierter Verkehr gehen wird, was aber auch das ist, was die Menschen wollen und brauchen. Ich muss aber auch sagen, dass wir eine Stadtlinie haben, die mit rund 450000 Fahrgästen immer noch auf Topniveau angenommen wird. Insofern bin ich zuversichtlich, dass wir auch in den nächsten zehn bis 20 Jahren einen guten ÖPNV werden anbieten können.

Wie kommen Sie mit Ihrer Sehbehinderung im OB-Alltag zurecht? Sie dürfen ja nicht Auto fahren.
Grienberger: Das spielt eigentlich gar keine Rolle. Ich werde oft gefragt, ob mich jemand mitnehmen kann. Auch mit Landrat Alexander Anetsberger, mit dem ich sehr gut zusammenarbeite, bilde ich häufig eine Fahrgemeinschaft. Ansonsten komme ich mit dem Rad top durch die Gegend. Vom Rathaus zum Kinderdorf brauche ich zwölf Minuten. Da muss mir niemand erzählen, dass der Blumenberg abgeschnitten ist. Ich nutze auch die Stadtlinie häufig. Zu Ingolstadts OB Scharpf bin ich auch mit dem Schnellbus gefahren. Zurück habe ich dann allerdings ein Taxi nehmen müssen, weil das Gespräch länger als erwartet gedauert hat und ich den letzten Bus verpasst habe. Ich gehe offen damit um und bin auch stolz darauf, dass es die Gesellschaft nicht als Einschränkung wahrnimmt.

Wie halten Sie die Balance zwischen Arbeitsbelastung und Privatleben?
Grienberger: Dadurch, dass wegen Corona viele Wochenendtermine wegfallen, kann ich mir Samstag und Sonntag tatsächlich einigermaßen freihalten und etwas mit meiner Frau unternehmen. Wie das dann nach Corona aussieht, muss man abwarten. Die Idylle in Wintershof tut nach einer 60- oder 70-Stunden-Woche gut, ebenso gehe ich gerne ins Holz und treibe Sport. Neulich war ich tatsächlich auch mal wieder am Fußballplatz - natürlich nur eins gegen eins.

Sie sind erst 31 Jahre alt und haben somit das ganze Politikerleben noch vor sich. Wie steht es um Ihre Karriereplanung?
Grienberger: Sechs Wahlperioden Oberbürgermeister zu sein, kann ich mir zumindest aktuell noch nicht vorstellen. Ich weiß aber auch nicht, ob Landtag oder Bundestag irgendwann mal was für mich ist. Ich bin schließlich sehr heimatverbunden. Ich kann mir auch vorstellen, auch irgendwann in meinen alten Job zurückzukehren. Da sind wir wieder bei dem, was ich am Anfang gesagt habe: Ich bin nicht mit der Prämisse angetreten, es wieder werden zu müssen. Wenn es nach sechs Jahren vorbei ist und es eine gute Zeit war, ist es auch in Ordnung. Also: Flexibilität bewahren. Wenn es aber weiterhin so viel Spaß macht, fällt die Entscheidung, in fünf Jahren wieder anzutreten, schon mal nicht schwer.

Das Gespräch führte Jürgen Knopp.