"Die Dynastie Wittelsbach ist abgesetzt"

07.11.2018 | Stand 02.12.2020, 15:18 Uhr
Der Aufruf an die Bevölkerung vom Freitag, 8. November 1918, erschien in den Eichstätter Zeitungen. Die Erinnerungsurkunde für die aus dem Ersten Weltkrieg heimkehrenden Soldaten ist von Josef Amler, Wolkertshofen. Über dem Eingang der Post erinnert eine Krone noch heute an die königliche Zeit bis 7. November 1918; ebenso der Wittelsbacher Brunnen oder die Luitpoldstraße. −Foto: Ettle

8. November 1918: Heute vor 100 Jahren erreichte die Meldung von der Revolution und die Ausrufung des Freistaats Bayern Eichstätt. Mit dem Ende der Monarchie wurde vieles anders - vor allem galt nun das allgemeine Wahlrecht für Männer und Frauen.

Eichstätt (EK) "Bayern - eine Republik?" Die beiden Eichstätter Zeitungen hatten am 8. November 1918 die erste Meldung vom Umsturz im Blatt. Vor 100 Jahren erlebte Bayern nicht nur das Ende des Ersten Weltkriegs, sondern auch das Ende der Monarchie.

Der Funke der Revolution, der 1918 Bayern erschütterte und König samt Königreich hinwegfegte, zündete bei einer Massenversammlung am Abend des Donnerstag, 7. November 1918, auf der Wiese am Fuß der Bavaria in München. In Eichstätt traf die sensationelle Nachricht von der Ausrufung des Freistaats Bayern wohl per Telefon oder Fernschreiber umgehend ein.
Die damaligen beiden Eichstätter Zeitungen, EICHSTÄTTER KURIER und "Volkszeitung", hatten die Meldung vom Umsturz schon am Freitag, 8. November, im Blatt: "Bayern - eine Republik? Im Anschluss an die gestrige Massenversammlung auf der berühmten Wiese kam es in München zu ernsten Unruhen, die im Verlaufe zur Ausrufung der Republik Bayern führten. Noch in der Nacht hat sich ein Rat der Arbeiter, Soldaten und Bauern gebildet, an dessen Spitze sich Kurt Eisner setzte. Der Rat betonte, er werde strengste Ordnung sichern und Ausschreitungen unterdrücken. Alle Beamten sollen in ihren Stellungen bleiben, die Bauern verbürgen sich für die Versorgung der Städte. Jedes Menschenleben ist heilig."

Diese Revolution muss vor dem Hintergrund von fünf Jahren Krieg mit Tod und Elend, Not und Hunger gesehen werden. Am Freitagvormittag zog ein Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat in den Landtag ein. Dabei wurde unter Leitung von Kurt Eisner beschlossen: "Die Dynastie Wittelsbach ist abgesetzt." Der aus Berlin stammende Publizist Eisner wurde bayerischer Ministerpräsident; er fiel am 21. Februar 1919 einem Attentat zum Opfer. Abgesetzt wurden auch die sieben bayerischen Minister, sie blieben unbehelligt und bekamen ihre rechtmäßige Pension.

Dreifaches Hoch
auf König LudwigDie Bewohner und die Repräsentanten Eichstätts reagierten prompt. Bereits für Freitag war eine Kundgebung einberufen worden, "die von allen Kreisen" zahlreich besucht war. Beschlossen wurde ein Aufruf. Weiter heißt es in dem Zeitungsbericht über das Eichstätter Treffen: "Am Schluss der Verhandlungen fand die königtreue Gesinnung der Anwesenden in einem begeisterten dreifachen Hoch auf Seine Majestät König Ludwig III. erhebenden Ausdruck." Der Umsturzgedanke hatte sich nach wenigen Stunden wohl noch nicht in den Köpfen verankert. Am 11. November meldete dann der EICHSTÄTTER KURIER: "Die revolutionäre Bewegung hat sich über das ganze Reich ausgebreitet."
Eine Abordnung des Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrats Ingolstadt kam am Montag, 11. November, nach Eichstätt und verlangte, dass auch hier ein entsprechender Rat gegründet werde. Kaufmann Dörr, Marktplatz 12, hatte seine Terrasse mit roten Abzeichen geschmückt. Dort hielt ein Revolutionär eine Rede. Er rief den Anwesenden zu, sich der neu gegründeten bayerischen Republik anzuschließen und unterstrich, dass es keine Ausschreitungen geben dürfe und das Eigentum der Bürger unangetastet bleiben müsse.
Aus der Menge heraus forderte nun ein Soldat aus Eichstätt dazu auf, einen Arbeiter- und Soldatenrat zu bilden. Eine weitere Wortmeldung verlangte von den Bauern, Lebensmittel abzuliefern, um in den Großstädten eine Hungersnot zu verhindern. Beschlossen wurde noch, einen geplanten Demonstrationszug durch Eichstätt abzusagen, "damit Radaumachern keine Gelegenheit gegeben wird, Schaufenster einzuschlagen".Am Nachmittag des Montag, 11. November, kamen die Eichstätter in so großer Zahl beim Heimerbräukeller (Stadtkeller am Burgberg) zusammen, dass die Versammlung ins Freie verlegt werden musste. Hauptredner war der Kreissekretär des Christlichen Bauernvereins, Anton Dollinger. Er verlangte, dass sich niemand bei der Schaffung der neuen Ordnung ausschließen dürfe, weder Beamte, noch Geistliche und Bürger. "Das Volk hat sich bisher zu wenig um seine Verhältnisse gekümmert und alles den Oberen überlassen", rief er aus.

Von einem Redner wurde bemängelt, dass Kurt Eisner für den Posten des Ministerpräsidenten vorgesehen sei, "da hätte sich doch ein anderer Herr finden lassen". Gefragt wurde auch nach dem Fahneneid, worauf es natürlich keine Antwort gab.

Stadtbaumeister
führt RevolutionsratDie "musterhafte Versammlung", so der Berichterstatter seinerzeit, ging dann daran, einen Arbeiter- und Soldatenrat zu bilden. Das Ergebnis: Vorsitzender Stadtbaumeister Andreas Fuchshuber, Zweiter Vorsitzender Buchbindermeister Bruno Boegl (er trat anderntags zurück), Schriftführer Fabrikinspektor Joseph Krebs, Zweiter Schriftführer Schriftsetzer Karl Maurer. Weitere Posten nahmen ein: Eisenbahn-Partieführer Joseph Kiesling, Magaziner August Schwarz, der Maurer Joseph Gary, Buchdruck-Maschinenmeister Hugo Seebach, Malermeister Johann Schmid, Ökonom Johann Eichiner (Gougabaua), Redakteur Joseph Schröck. Insgesamt wurden 30 Räte und Ersatzräte berufen.

Anton Dollinger sagte nach der Wahl: "Dem Rat gehören besonnene Elemente an, die nichts unternehmen werden, was der Stadt schaden könnte. Die Bürger können ruhig ihren Geschäften nachgehen. Es darf keinem Geistlichen, keinem Offizier und keinem Beamten das geringste Leid geschehen." Erneut war in Eichstätt ein laut schallender Hochruf zu hören, diesmal bereits auf den "Freistaat Bayern".

Der Arbeiter- und Soldatenrat wandte sich am 13. November per Zeitung an die Bevölkerung Eichstätts. "Wir sind vor vollendete Tatsachen gestellt. Bayern ist fortan Freistaat." Angekündigt wurde die Einberufung einer Nationalversammlung, zu der "alle mündigen Frauen und Männer das Recht haben, zu wählen". Damit sollten Frauen zum ersten Mal zur Wahl gehen können. Zum Schluss kam die Aufforderung Ruhe und Besonnenheit zu wahren und der gewohnten Arbeit nachzugehen.
In fetter Schrift wurde am 15. November 1918 der Thronverzicht von König Ludwig in Eichstätt gemeldet: "Zeit meines Lebens habe ich mit dem Volk und für das Volk gearbeitet. Die Sorge für das Wohl meines geliebten Bayern war stets mein höchstes Streben. Nachdem ich infolge der Ereignisse nicht mehr in der Lage bin, die Regierung weiter zu führen, entbinde ich alle Beamten, Offiziere und Soldaten des mir geleisteten Treueids." Die Antwort der Revolutionäre: "Der Ministerrat des Volksstaats Bayern nimmt den Thronverzicht Ludwig III. zur Kenntnis."
Im Pastoralblatt der Diözese Eichstätt wandte sich Generalvikar Georg Triller am 19. November 1918 an den Klerus "zur Darnachachtung": "Unter Wahrung seiner Gesinnung und inneren Überzeugung stellt sich der Klerus auf den Boden der gegebenen Verhältnisse und hält es für seine Pflicht, vor allem zur Aufrechterhaltung der Ordnung tatkräftig mitzuarbeiten. Die Verordnungen der neuen Regierung sind im allgemeinen Interesse zu beachten. Dem ist auch auf der Kanzel Rechnung zu tragen."

Bischof Leo
mahnt zu FriedenBischof Johannes Leo von Mergel schrieb (gekürzt): "Mit rauer Hand wurde das Band zerrissen, welches das bayerische Volk über acht Jahrhunderte an das Haus Wittelsbach geknüpft hat. Ein wilder Sturm hat wider alles Recht König Ludwig vertrieben. Von keinem Ehrenmann kann verlangt werden, dass er seine monarchische Gesinnung wie eine Mütze umtauscht. Um aber größeren Übeln vorzubeugen, müssen wir uns, wenn auch mit schwerem Herzen, mit der neuen Lage zurechtfinden." Der Bischof mahnte zu Frieden in der Heimat, damit die aus dem Weltkrieg heimkehrenden Soldaten sich erholen können.
Der Arbeiter- und Soldatenrat sah es als seine Hauptaufgabe an, die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln sicherzustellen. Eine Abordnung nahm an den Magistratssitzungen teil, ohne Stimmrecht zu haben. Ein Sprecher erklärte unter anderem: "Kuhhalter werden streng bestraft, wenn sie ihrer Pflicht zur Milchablieferung nicht nachkommen." Der Verbrauch von Mehl wurde je Tag und Person auf 40 Gramm beschränkt. Der Arbeiter- und Soldatenrat war auch in den Gemeinden aktiv. So fanden Anfang Dezember 1918 in Obereichstätt, Mörnsheim, Dollnstein und an anderen Orten Versammlungen statt.
Kreissekretär Anton Dollinger berief in den Herzogbräusaal Mitte November eine Versammlung ein mit dem Ziel, auch noch einen Bürgerrat zu gründen. Dies sei notwendig, "da der Arbeiter- und Soldatenrat alle Gewalt an sich reißen will und das Bürgertum ausgeschaltet ist". Die Gründung kam auch zustande, die Führung wurde sofort gewählt und zwar für jedes Stadtviertel zwei Personen. Als Stadtviertel-Vorsitzende wirkten mit: Rechtsanwalt Michael Heldwein, Schuhmachermeister Josef Stoll, Schreinermeister Konrad Seger, Mühlenbesitzer Ludwig Westermeier, Kaufmann Joseph Straßer, Zimmermeister Karl Egert, Schlossermeister Josef Schlamp, Steinbruchbesitzer Karl Ehrensberger. Abgeordnete des Bürgerrats fanden sich bei den Sitzungen des Magistrats ein.
Die Wahl von Räten machte auch vor den Schulen nicht halt. An den höheren Unterrichtsanstalten, Mädchenschulen und Fachschulen wurden Schülerausschüsse bestimmt. Sie sollten im Namen einzelner Schüler oder der Gesamtheit bei der Schulleitung Beschwerden vorbringen. Ferner sollten sie bei der Vorbereitung von Schulfesten mitreden. Bleibt noch der "Rat geistiger Arbeiter" zu erwähnen, der sich in Eichstätt konstituierte.
Den Revolutionstagen im November folgten unruhige, teils chaotische Wochen und Monate. In Eichstätt wurde Bürgermeister Eduard Mager abgesetzt, es wurden Bürger- oder Einwohnerwehren in der Stadt und in den meisten Gemeinden aufgestellt. Am 12. Januar 1919 waren Landtagswahlen. Nach der Ermordung von Ministerpräsident Eisner erzwangen bewaffnete Soldaten das Ehrengeläute der Eichstätter Domglocken. In Eichstätt wurde das "Freikorps Oberland" aufgestellt, das zu mehreren Einsätzen ausrückte, darunter nach München gegen die kommunistischen Umtriebe im Frühjahr 1919.