Eichstätt
"Damit die Gesellschaft menschlicher wird"

17.08.2018 | Stand 02.12.2020, 15:51 Uhr
Standen zusammen mehr als 30 Jahre an der Spitze des Caritasverbands für die Diözese Eichstätt (von links): Rainer Brummer (2009 bis 2012), Johannes Schmidt (1986 bis 2001), Willibald Harrer (2001 bis 2009) und Franz Mattes (seit 2012). −Foto: Foto: Redl

Eichstätt (DK) Zusammen stehen sie für mehr als 30 Jahre Caritas-Geschichte in der Diözese Eichstätt: Johannes Schmidt (1986 bis 2001), Willibald Harrer (2001 bis 2009), Rainer Brummer (2009 bis 2012) und Franz Mattes (seit 2012). Zum Festjahr "100 Jahre Caritasverband der Diözese Eichstätt", das am 28. September gefeiert wird, haben wir mit ihnen über die Veränderungen in der Arbeit des katholischen Sozialverbandes gesprochen.

Herr Schmidt, Herr Brummer, Herr Harrer, Herr Mattes, Sie zusammen haben in den vergangenen mehr als 30 Jahren den Diözesanverband der Caritas in der Diözese Eichstätt geführt. Was waren beziehungsweise sind die gravierendsten Veränderungen in diesen zurückliegenden drei Jahrzehnten?

Mattes: Am sichtbarsten wird die Entwicklung, die unser Verband genommen hat, wohl in den Altenheimen. Früher waren die Einrichtungen dazu da, Menschen im Alter eine Heimstatt zu geben. Die meisten Bewohner waren noch rüstig. Heute stellt sich ein komplett anderes Bild dar: Die Mehrheit der Menschen, die von uns in den Heimen betreut werden, muss gepflegt und zum Teil intensiv versorgt werden - oft bis zum Tod durch palliative Begleitung.

Harrer: Neben dieser Entwicklung hat gleichzeitig der bürokratische Aufwand immens zugenommen. Hinwendung zum Menschen, was immer oberste Prämisse unserer Arbeit ist und sein muss, und der zunehmend wachsende Kostendruck haben in der Vergangenheit mehr und mehr zu einem nur schwer zu bezwingenden Spagat geführt zwischen Menschlichkeit und Wirtschaftlichkeit. Vor allem die 2005 vom damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber durchgezogenen Sozialkürzungen haben diesen Spagat zu einer gefährlichen Gratwanderung gemacht. Trotz gestiegener Anforderungen und weniger Erstattung durch den Staat wurde Personal eingestellt, um die Aufgaben erfüllen zu können. Dies gilt auch heute wieder angesichts der vielfältigen Aufgaben in der Flüchtlingsbetreuung, der wir uns mit Unterstützung anderer Sozialorganisationen wie dem Malteser Hilfsdienst gestellt haben und weiter stellen.

Schmidt: Lassen Sie mich kurz zurückblicken. Jakob Weidendörfer, Caritasdirektor von 1961 bis 1986, hat in seinen 25 Jahren den Verband strukturell auf die Beine gestellt. Er hat mit dem Bau von Alten- und Pflegeheimen begonnen, hat viele in den Pfarreien vorhandene Krankenpflegevereine wieder aktiviert und in die Arbeit der Caritas integriert. Wichtig war dabei immer, Rücksicht auf die bestehenden Strukturen in den Pfarreien und den Gemeinden zu nehmen. Als er nach 25 Jahren ausgeschieden ist, zählte die Caritas in der Diözese etwa 1200 Mitarbeiter. Heute sind es knapp 2700. In meiner Amtszeit ab 1986 stand es dann an, die vielen eher kleinen Krankenpflegestationen und -verbände zu größeren Einheiten in Form der Sozialstationen zusammenzuschließen.

Brummer: 1995 wurde auch die Pflegeversicherung eingeführt. Dies bedeutete eine Modernisierung des gesamten Systems und eine Aufgabenerweiterung.

Schmidt: Und seit Ende der 1970er-Jahre waren wir von einem weiteren strukturellen Problem betroffen: dem fehlenden Nachwuchs in den Ordenshäusern, deren Mitglieder sehr engagiert in unseren Einrichtungen oft in leitenden Funktionen tätig waren. Deren Rund-um-die-Uhr-Einsatz musste plötzlich aufgefangen werden, was zusätzliches Personal notwendig machte.

Harrer: Mein Vor-Vorgänger Johannes Schmidt hat es schon angesprochen: Eine große Veränderung brachte, bedingt durch den Wegfall der Ordensmitarbeiterinnen, die gestiegenen Anforderungen und den zunehmenden bürokratischen Aufwand, die Professionalisierung der Dienste mit sich. Dies betrifft sowohl Leitungsaufgaben als auch Mitarbeiter.

Inwieweit kann sich die Caritas als sozialer Anbieter noch von anderen professionellen Diensten abgrenzen?

Harrer: Wir dürfen nicht zum Sozialkonzern werden. Unsere Richtschnur ist und bleibt die Menschlichkeit. Wo Caritas draufsteht, muss auch Caritas drin sein. Dies setzen wir bei aller Professionalisierung um. Die Menschlichkeit und die Zuwendung zu den Menschen darf nicht auf der Strecke bleiben.

Mattes: Bereits bei der Einstellung legen wir neben der fachlichen Qualifikation auch Wert auf die Haltung der Bewerber. Wir bieten unseren Mitarbeitern Besinnungs- und Einkehrtage an. Viele interne Veranstaltungen sind religiös geprägt. Die seelsorgliche Begleitung alter, pflegebedürftiger und sterbender Menschen liegt uns sehr am Herzen, in den Seniorenheimen stehen dafür eigene Seelsorgebeauftragte zur Verfügung.
Harrer: Wir erwarten von unseren Mitarbeitern, dass sie das Mehr an christlicher Caritas trotz eines sehr engen Zeitkonzepts und trotz aller bürokratischer Hemmnisse aufbringen. Und dazu versuchen wir unseren Beitrag zu leisten.

Mattes: Wir sehen uns nicht als Konkurrenten zu anderen Anbietern wie dem Roten Kreuz, der Arbeiterwohlfahrt oder der Diakonie. Jeder ist in seinem Bereich tätig. Wir als Caritas wollen mit unserer Arbeit einen Beitrag leisten, dass die Gesellschaft menschlicher wird. Das ist unser Anspruch. Allerdings muss uns auch klar sein, dass wir als Caritas, als Kirche nicht alle Defizite der Gesellschaft bereinigen können.

Wo sehen Sie Ihre Hauptaufgaben in der Zukunft?

Mattes: Zunächst müssen wir sehen, dass wir unsere derzeitigen Aufgaben im Sinne der Caritas bewerkstelligen können. Natürlich würden noch viel mehr Alten- oder Pflegeheime benötigt. Aber hier stößt unser Verband finanziell an seine Grenzen. Allerdings böte sich ein Modell an, das beispielsweise in Gaimersheim und Freystadt bereits gut funktioniert: Die Gemeinde baut das Haus, wir übernehmen die Trägerschaft und damit auch die Dienste.

Finden Sie denn genug geeignete Kräfte?

Mattes: Nein. Der Arbeitsmarkt ist leergefegt. In einigen unserer Häuser dürfen Plätze nicht belegt werden, weil wir nicht genügend Fachpersonal zur Verfügung haben.

Die Arbeit Ihres Verbandes wird zu großen Teilen durch den Freistaat oder durch Sozialversicherungsträger refinanziert?

Harrer: Das trifft nur zum Teil zu. Die allgemeine soziale Beratung unserer sieben Kreisstellen beispielsweise wird komplett und nur von der Diözese Eichstätt finanziert. Zudem tragen wir durch die Caritasstiftung dazu bei, dass wir über das allgemeine Maß hinaus sozial tätig werden können. Derzeit verfügt die Stiftung über ein Stammkapital von drei Millionen Euro; davon werden pro Jahr etwa 30.000 Euro ausgeschüttet.

Mattes: Auch durch die Mittel aus unseren zwei Mal im Jahr stattfindenden Sammlungen können wir die eine oder andere Not lindern. Von der Gesamtsumme der aus den Sammlungen hervorgehenden Mittel bleiben den Pfarreien 40 Prozent, der Rest wird für allgemeine Aufgaben der Caritas im Bistum verwendet.

Noch eine Frage zum Abschluss: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat einmal gesagt, Hartz IV bedeute nicht Armut. Was sagen Sie zu dieser Aussage?

Mattes: Dem kann ich nicht zustimmen.

Das Gespräch führte Hermann Redl.