Eichstätt
KU-Präsidentin Gabriele Gien zum Start des Wintersemesters mitten in der Corona-Pandemie

"Wir sind alle extrem gefordert"

27.10.2020 | Stand 23.09.2023, 15:02 Uhr
Präsidentin Gabriele Gien, hier bei der Begrüßung der Erstsemester in der Uni-Aula: "Zuversicht bewahren." −Foto: Chloupek

Eichstätt - Auf dem Campus der Katholischen Universität herrscht wieder Leben: Trotz der Corona-Pandemie soll, wenn sich die Lage nicht verschlechtert, die Hälfte der insgesamt rund 2000 Lehrveranstaltungen des Wintersemesters in Präsenzveranstaltungen stattfinden - die andere Hälfte läuft digital. Das "Hybridsemester" startet in Etappen: Die ersten der rund 700 Studienanfänger wurden am 21. Oktober in Eichstätt begrüßt, für das Gros der insgesamt etwa 4800 Studierenden in Eichstätt und in Ingolstadt beginnt das Wintersemester am 2. November. Interview zum Semesterstart mit Uni-Präsidentin Gabriele Gien.

Frau Gien, die KU startet nach einem rein digitalen Sommersemester jetzt in ein "Hybridsemester" - die Hälfte der Lehrveranstaltungen soll als Präsenzveranstaltungen stattfinden. Für wen sind Ihnen diese Präsenzangebote besonders wichtig?
Gabriele Gien: Vor allem die Erstsemester sollen die Gelegenheit haben, das Campusleben zu erspüren und physisch zu erfahren, daher hat diese Gruppe oberste Priorität. Dann wollen wir natürlich - soweit wie möglich - Prüfungen und Labor- beziehungsweise Praxisveranstaltungen in kleinen Gruppen ermöglichen, alles mit höchsten Sicherheits- und Hygienemaßnahmen. Da können wir nun mit unserem ohnehin guten Betreuungsverhältnis und den kleinen Kursgrößen punkten. Die großen Universitäten haben da noch ganz andere Herausforderungen zu bewältigen. Die großen Vorlesungen hingegen müssen auch bei uns online stattfinden, das geht aufgrund der Raumkapazitäten nicht anders. Unsere Planungen gehen allerdings nur auf, sofern sich die Pandemielage nicht noch deutlich verschlechtert und es wieder zu stärkeren Einschränkungen kommt. Auch wir hoffen daher, dass es keinen neuen Lockdown gibt.

Was fällt Ihnen als Erstes ein, wenn Sie gefragt werden, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie für die Katholische Universität hat?
Gien: Für die Geisteswissenschaften oder stark vom Diskurs geprägte Fächer sind die digitalen Formate besonders herausfordernd. Insgesamt ist sicher die spürbarste Auswirkung eine veränderte Lernkultur und die damit einhergehenden notwendigen neuen didaktischen Konzepte. Wir sind also alle extrem gefordert, wobei durch Corona einige der ohnehin geplanten Prozesse stark beschleunigt worden sind. Positiv war, dass in kurzer Zeit unglaublich viele Beiträge, Forschungsprojekte und Expertengespräche aus allen Fachperspektiven zu Corona publiziert worden sind und wir richtig sichtbar wurden.

Welches sind in Ihren Augen die gravierendsten Folgen?
Gien: In positivem Sinne eine neue Art der Gemeinschaft und des solidarischen Miteinanders. Über alle Statusgruppen hinweg hat man sich bei der Erstellung von Lehrangeboten und Kompetenzen komplementär ergänzt, sich gegenseitig Mut gemacht und viele Aktionen zur Stärkung des Gemeinsinns auf die Beine gestellt, zum Beispiel gemeinsame Musikaktivitäten über Online-Plattformen, spirituelle Angebote und Online-Gottesdienste, Kuchenrezepte unserer Cafeteria zum Nachbacken. Es ist gelungen, Nähe auch über die Distanz zu wahren. Eine gravierende, negative Folge ist das weitgehende Wegbleiben der ausländischen Studierenden und damit der so wichtige interkulturelle Austausch. Im Wintersemester werden nur gut 30 Studierende aus dem Ausland an die KU kommen. Hinzu kommt die große zeitliche und psychische Belastung vieler - besonders betroffen ist der wissenschaftliche Nachwuchs.

Geraten durch die Pandemie nun langfristig Projekte in Gefahr?
Gien: In Gefahr nicht, aber Projekte, die den Diskurs und die Partizipation benötigen, verzögern sich oder sind mühsamer zu organisieren, so etwa die Diskussion über den neuen Entwicklungsplan. Wir sollten uns aber immer unsere privilegierte Situation als Universität vor Augen halten und deshalb eher von Herausforderung als von Gefahr sprechen.

Wie sieht es zum Beispiel mit dem Erasmus-Programm und geplanten Auslandssemestern aus?
Gien: Als international ausgerichtete Universität, die allen Studierenden einen Auslandsstudienplatz garantiert, trifft uns die Pandemie besonders hart. Wir bitten derzeit unsere Studierenden, sich vor dem Antritt eines Auslandsaufenthalts dringend über die aktuelle Situation im Gastland zu informieren. Wir weisen sie darauf hin, dass bei Erasmus+ und anderen Austauschprogrammen die Gesundheit oberste Priorität hat. Von einer Reise in ein Risikogebiet raten wir daher ab. Wir tun alles, um unsere Studierenden in dieser Situation zu unterstützen. So empfehlen wir zum Beispiel, einen Erasmus-Studienplatz eventuell zunächst virtuell zu beginnen und später zu reisen, wenn dies wieder möglich ist. Wir haben besonders betroffenen Studierenden auch angeboten, die Abschlussarbeit schon ein Semester früher zu schreiben, damit der Auslandsaufenthalt hoffentlich im nächsten Sommer nachgeholt werden kann.

Gibt es finanzielle Konsequenzen oder Sparzwänge und Änderungen bei Ihrer Einnahmenstruktur?
Gien: Der Doppelhaushalt für 2021 und 2022 wird gerade erst erstellt, daher kann man noch keine zuverlässigen Aussagen treffen. Wir hoffen aber, dass die positive Entwicklung der KU auch weiterhin so unterstützt wird. Forschung und Bildung sind Bereiche, die gerade wichtig sind, um gestärkt aus der Krise hervorzugehen.

Gibt es auch positive Folgen oder Lerneffekte durch Corona - etwa, dass die Digitalisierung zügig vorangetrieben worden ist?
Gien: Das lässt sich wirklich gut erst in einiger Zeit beantworten, Digitalisierung alleine ist noch kein Lernfortschritt. Erst wenn ein Umdenken in der Didaktik, selbstgesteuerte Lernprozesse und die Unterstützung durch digitale Angebote zusammenwirken, wird es positive Lerneffekte geben. Wir arbeiten bereits an einem Konzept "gute digitale Lehre" mit wunderbaren Best-Practice-Projekten aus dem letzten Semester und versuchen, langfristig Präsenzlehre auch mit solchen Angeboten zu unterstützen.

Die Anzahl der Studierenden - und auch der Erstsemester - scheint sich in diesem Wintersemester auf Vorjahresniveau einzupendeln. Sind Sie damit zufrieden?
Gien: Wir sind sehr zufrieden, wir hatten eigentlich mit einem leichten Rückgang gerechnet, weil sich viele ausländische Studierende nicht einschreiben konnten. Besonders neue Studiengänge wie etwa Wirtschaft und Psychologie, die beide Standorte verknüpfen, sind super angenommen worden. Zusätzlich schreiben wir bis Ende Januar noch etwa 300 Studierende aus Flucht- und Krisenländern ein, für die wir ein außerordentliches digitales Angebot auf die Beine gestellt haben, um auch in diesen Ländern den Zugang zur Bildung zu ermöglichen.

Die KU steht ihrem Profil zufolge "für exzellente Lehre, starke Forschung und verantwortungsvolles Handeln in der Gesellschaft". Wie zeigt sich das konkret?
Gien: Unsere Drittmittel haben sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt, bei allen staatlichen Ausschreibungen, an denen wir uns beteiligt haben, haben wir einen Zuschlag bekommen. Der Fokus dabei lag fast immer auf den gesellschaftlichen Herausforderungen, zum Beispiel haben wir sieben Tenure-Track-Professuren für eine "am Menschen orientierte digitale Gesellschaft" eingeworben. Vor zwei Monaten ist noch ein DFG-Graduiertenkolleg aus den Geisteswissenschaften dazugekommen, ein wichtiger Baustein für die angestrebte DFG-Mitgliedschaft. Besonders entwickelt haben sich auch die internationalen Forschungsprojekte, die unter anderem von der EU und dem Entwicklungsministerium mit hohen Summen gefördert werden. Verantwortungsvolles Handeln ist auch ein Stichpunkt für die Lehre: Unser sogenanntes "Studium Pro" wird schrittweise in alle Studiengänge integriert und umfasst interdisziplinäre Angebote, aber auch Servicelearning, das den Dienst an der Gesellschaft mit wissenschaftlicher Reflexion verbindet. Erst dieses Jahr haben wir wieder bei dem studentischen Ranking "Studycheck" Platz 1 in Bayern belegt. Nachschärfen wollen wir noch bei der Profilierung der Studiengänge und in den Governance-Strukturen, aber beides sind längere Prozesse.


Ein kurzer Exkurs in die bayerische Bildungspolitik. Die aktuelle Hochschulreform soll den Hochschulleitungen ja mehr Gestaltungsfreiheit einräumen. Sehen Sie das auch so?
Gien: Die Hochschulreform hat ganz generell eine größere Autonomie der Hochschulen und Universitäten zum Ziel und die Möglichkeit agiler und gezielter auf die Herausforderungen im Wissenschaftssystem zu reagieren. Für mich ist wichtig, dass die Gremienkultur und Partizipation als oberste Maxime nicht angetastet werden, wir aber insgesamt - vor allem bei Berufungen - schneller handeln können. Das ist für den internationalen Wettbewerb wichtig. Deshalb werden wir mit den Akteuren aus der Universität, dem Hochschul- und Stiftungsrat Konzepte entwickeln, die uns diese Gestaltungsräume ermöglichen.

Zurück zum Start in dieses nun wirklich sehr außergewöhnliche Wintersemester: Welchen konkreten Rat haben Sie für die Studierenden? Was wünschen Sie sich zum Semesterstart selbst?
Gien: Ich wünsche allen Studierenden und mir selbst, dass wir Zuversicht bewahren können und es uns gelingt, auch in und an der Krise zu wachsen.

EK


Eva Chloupek