Eichstätt
Endlose Odyssee

Eine vierköpfige Familie aus dem Eichstätter Landkreis wartet seit Wochen auf ein Corona-Testergebnis

13.04.2020 | Stand 23.09.2023, 11:35 Uhr
So ähnlich wie auf diesem Foto sieht die aktuelle Lage einer jungen Mutter im Landkreis Eichstätt aus. Seit Wochen versucht sie ein Corona-Testergebnis für sich und ihre Familie zu bekommen. Zuhause befindet sie sich in Quarantäne. −Foto: obs/DEVK Versicherungen/AdobeStock/Yuganov Konstantin

Eichstätt - Die Coronakrise ruft bei tausenden Menschen Verunsicherung hervor. Um die Bürger zu beruhigen, bemühen sich Politiker um Aussagen, die das Gefühl vermitteln, alles sei unter Kontrolle. Dass dies jedoch nicht immer der Fall ist, zeigt der Fall einer vierköpfigen Familie aus dem Landkreis Eichstätt. Sie fühlen sich vom System im Stich gelassen.

Es sind Faschingsferien in Bayern. Noch ist die Coronakrise im Freistaat nicht angekommen, die Grenzen sind offen, von Ausgangsbeschränkungen ahnt noch niemand etwas. Familie Müller (alle folgenden Namen von der Redaktion geändert) aus dem Landkreis Eichstätt macht sich auf den Weg nach Südtirol, es geht zum Skifahren. In der Seilbahn kommt es zum Kontakt mit "hustenden Italienerinnen". Länger als 15 Minuten versteht sich, die Gondelfahrt dauert schließlich eine Weile, man sitzt auf engstem Raum.

Ende der ersten Märzwoche verändert sich plötzlich der Gesundheitszustand von Mutter Simone. Die Familie ist mittlerweile wieder zu Hause, Simone und ihr Mann Martin arbeiten, die Kinder Tobias und Annika besuchen gemeinsam den Kindergarten. Mutter Simone bekommt nur noch schwer Luft, fühlt sich schlapp, leidet unter Kopf- und Ohrenschmerzen. Als sie am 9. März zum Telefon greift, um ihre Hausärztin zu erreichen, ahnt Simone noch nicht, dass ihr eine wochenlange Odyssee bevorsteht.

Zunächst scheint alles klar zu sein. Die Hausärztin verweist sie an den ärztlichen Bereitschaftsdienst, Simone und ihre Familie sollen untersucht werden, auf Corona getestet werden. "So nahm unser Schicksal seinen Lauf. . . ", wird die junge Mutter später im Rückblick schreiben.

Schon die drei Stunden in der Warteschleife, nachdem sie die 116 117 gewählt hat, belasten Simone sehr. Sie bekommt kaum Luft, hat im ganzen Körper Schmerzen, außerdem quält sie ein trockener Husten. Erschwerend kommt hinzu, dass sie sich nun um beide Kinder kümmern muss - die Kita nimmt die beiden kleinen Verdachtspatienten aus Sicherheitsgründen nicht mehr an.

Doch die schnelle Hilfe, auf die Simone hofft, wird ihr nicht angeboten. Stattdessen schätzt eine Ärztin, die sich telefonisch bei ihr rückmeldet, die Lage eher entspannt ein. "Wenn Sie kein Fieber haben, wird es schon nicht das Coronavirus sein", lautet die Ferndiagnose der Medizinerin. Die Empfehlung: Ibuprofen nehmen und abwarten. Sollte sich der Zustand von Simone nicht ändern, möge sie sich eben noch mal melden.

Für Simone beginnen lange Tage der Eigentherapie. "Meist lag ich nur rum, versuchte Luft zu bekommen und probierte alle Hausmittel aus, die ich im Haus hatte", erinnert sich die Familienmutter. Schließlich verschlechtert sich die Lage bei den Müllers. Tobias und Annika bekommen Fieber, sie husten, haben Schnupfen. Simone greift erneut zum Hörer, wieder die 116 117, und bittet um die Hilfe eines Arztes. Die verzweifelte Mutter wird jedoch vertröstet. Es ist ein Mittwoch, ein Arzt werde bis spätestens Sonntag die Familie aufsuchen. Bis dahin sollen die Müllers zu Hause bleiben und nur zum Einkaufen rausgehen.

Simone geht es nicht besser, "ich konnte mich kaum am Stück bewegen", sagt sie. Doch es kommt kein Arzt, auch am Sonntag nicht. Am darauffolgenden Dienstag ruft die Mutter erneut beim Bereitschaftsdienst an, schildert erneut ihre Beschwerden. Die Frau am Telefon zeigt sich überrascht, der Fall laufe im System als abgeschlossen. Simone ist fassungslos. Bittet darum, wieder aufgenommen zu werden.

An einem Donnerstag, zehn Tage nach dem ersten Anruf bei der 116 117, meldet sich telefonisch ein Arzt bei den Müllers. Von ihm erhalten die Eichstätter nun die Anweisung, nicht mehr zum Einkaufen zu gehen, solange sie nicht wissen, ob sie das Virus wirklich in sich tragen. Und tatsächlich tut sich der erste Lichtblick für die Familie auf. Ein Arzt kommt, diesmal nur einen Tag nach dem Telefonat. Der Mediziner vom KVB nimmt einen Rachenabstich bei allen Familienmitgliedern.

Simone ist erleichtert. Endlich scheint alles ins Laufen zu kommen, sie hofft auf ein baldiges Ergebnis, will endlich Sicherheit haben. Doch die Ernüchterung wächst von Tag zu Tag. Auch zehn Tage, nachdem der Abstrich genommen wurde, liegt kein Ergebnis vor. Simone hat immer noch Atemwegsprobleme, es schmerzt, wenn sie Luft holt. Den Kindern geht es wieder besser, doch mittlerweile leidet auch Martin unter Husten, er bekommt schwer Luft.

Die Nerven der Familie liegen mittlerweile blank. Ihr einziger Lichtblick ist die gut funktionierende Nachbarschaftshilfe "wir werden mit Lebensmitteln versorgt", zeigt sich die junge Mutter dankbar. Trotzdem ist die wochenlange Quarantäne zermürbend. Wieder und wieder ruft Simone beim KVB an, wieder und wieder wird sie vertröstet.

Schließlich hält es Simone nicht mehr aus. Sie geht zu einem Lungenarzt in Eichstätt. Dieser meldet sie Anfang April zu einem erneuten Test an, misst bei der verzweifelten Frau die Sauerstoffsättigung. Seine Diagnose: Ein erneuter Test muss dringend gemacht werden. Das Ergebnis? Bis heute nicht eingetroffen.

In ihrer Verzweiflung wendet sich Simone schließlich an die Zeitung. "Wir fühlen uns im Stich gelassen", steht in Großbuchstaben im Betreff der E-Mail. Auf die Anfrage des EICHSTÄTTER KURIER an die Pressestelle des KVB kommt eine kurze schriftliche Rückmeldung: "Wir können derzeit Einzelfällen, die via Medien an uns herangetragen werden, kaum noch nachgehen. Für Sie zur Info: Wir haben inzwischen über 37000 Tests seit dem 3. März 2020 gemacht. Weil Ihr Fall definitiv ärgerlich für die Patienten ist, habe ich diese Info intern weitergeben. Das kann allerdings etwas dauern. "

Mittlerweile sind die beiden Kinder wieder fit, dem Ehepaar Müller geht es von Tag zu Tag besser, Simone bekommt wieder leichter Luft. Auf ein Testergebnis wartet die Familie bis heute.

EK

Anna Hecker