Bolca
Bolca in der Zeit des Coronavirus

In einer Chronik erzählt Stadträtin Raffaella Benetti von den schrittweise erfolgenden Einschränkungen

21.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:30 Uhr
  −Foto: Lorenz, Malvezzi

Bolca - Raffaella Benetti, Stadträtin in Vestenanova/Bolca, berichtet über das Leben der Eichstätter Partnerstadt:Die Dinge haben sich nach und nach im vergangenen Monat entwickelt.

Zahlreiche Auflagen schränken die Bewegungsfreiheit sehr ein. Anfangs sah es noch nicht so dramatisch aus. Am Anfang stand die Schließung der Schulen, die - natürlich vor allem von den Schülern - als so etwas wie plötzliche Ferien gefeiert wurde. Der Bolzplatz war voller Kinder, die glücklich über die unerwartete Freiheit miteinander spielten. Dann schlossen Büchereien, Theater, Konzertsäle und so weiter, was mich und andere Musiker und Kulturschaffende sehr trifft. So fielen mehrere kulturelle Veranstaltungen und Konzerte unserer Chöre in Vestenanova aus. Auch das berühmte Fossilienmuseum, das anfangs noch offenhalten konnte, musste schließen.

Außerdem sind seit Aschermittwoch, 26. Februar, alle religiösen Feiern, Messen und Beisetzungen untersagt. Dennoch waren die Auswirkungen auch dann noch nicht so stark zu spüren: Auf Anordnung der Regierung mussten sämtliche öffentlichen Veranstaltungen bis zum 8. März eingestellt werden. In Bolca schlossen die beiden Hotels, die Restaurants, Pizzerien und die Bar. Noch hofften alle, dass bald alles vorbei sein würde und sich ein kleines Opfer lohnte. Doch es kam anders, und die Verhältnisse wurden immer schlimmer, vor allem in der Lombardei.

Wie erleben wir die Krise hier in Bolca? Wir sind eine der wenigen Gemeinden in der Gegend um Verona ohne einen Coronafall - zumindest bis zum 24. März. Aber die Beschränkungen gelten natürlich für alle.

Spielplätze und Fußballfelder sind gesperrt. Und von allen wird erwartet, dass sie die Regeln streng einhalten, Abstand wahren, nicht gemeinsam unterwegs sind und nur wenige Male in der Woche einkaufen - immer allein.

Seit Sonntag 23. März, ist es untersagt, sich ohne zwingenden Grund außerhalb der eigenen Stadt aufzuhalten. Es gilt ein allgemeines Mobilitätsverbot, außer für die wenigen, die noch arbeiten gehen dürfen oder für Arztbesuche. Einkäufe außerhalb des eigenen Wohnortes sind verboten.

Manola, die Pianistin unseres Chores und Verkehrspolizistin, berichtet, was sie im Tal Richtung Verona erlebt: "Wir erhalten Anrufe von besorgten Bürgern, weil noch immer Leute unterwegs sind oder Kinder auf den Spielplätzen spielen? Wir haben die strikte Anweisung, einzugreifen und alle anzuzeigen. Kein Scherz: Sie kommen vor Gericht! Bei Dienstschluss müssen wir die Liste der Angezeigten vorlegen, oft sind es einfache Leute. " Das geschieht vor allem in den Städten Norditaliens, es gibt unzählige Fälle.

Bei uns hier oben ist die Situation anders: Bolca ist ein kleiner Ort, liegt auf 850 Meter Höhe, hat wenige Einwohner und ist von Natur umgeben. Hier ist es einfacher, sich etwa im eigenen Garten aufzuhalten oder Spaziergänge zu machen, ohne andere Leute zu treffen. Viele Häuser grenzen direkt an Wiesen oder Wälder und man kann sich ohne Risiko spazierengehen.

 

Die landwirtschaftlichen Betriebe bei uns produzieren Milch, Käse, Fleisch und Wurstwaren, sie dürfen ihre Arbeit nicht einstellen. Sie versuchen zwar, sich so wenig wie möglich zu bewegen, aber der Milchwagen muss täglich fahren, und auch für die Versorgung des Viehs müssen Dinge herbeigeschafft werden. Auch das Holzmachen im Wald kann nicht aufgeschoben werden.

Aber alles läuft verlangsamt, beinahe in einem Schwebezustand. Eine Bekannte hat mich neulich darauf hingewiesen, dass es in diesem Jahr viel mehr Primeln gibt als in den Jahren zuvor. Wer weiß, vielleicht ist es tatsächlich so - oder aber wir haben alle mehr Zeit zum Spazierengehen und um den Frühling zu bewundern, der in seiner ganzen Pracht beginnt. Bis vor Kurzem konnte ich noch viele Mitbürger auf der Straße nach Bolca bei ihren Spaziergängen sehen, jeder für sich und mit dem gebotenen Sicherheitsabstand. Aber seit Sonntag, 22. März, ist es verboten, sich überhaupt vom Haus zu entfernen. Jetzt erledigen wir lange aufgeschobene Arbeiten im Haus oder im Garten. Manche stellen Schutzmasken in Heimarbeit her oder Nudeln mit Eiern von Hühnern aus dem eigenen Hof. Und wir bringen uns gegenseitig das Haareschneiden bei, weil auch die Friseure schon seit einem Monat geschlossen sind.

Seit einiger Zeit haben die Bewohner des Ortszentrums die Gewohnheit angenommen, sich abends zu einem gemeinsamen Gebet zu treffen, ohne sich dabei zu nahe zu kommen. Manche nehmen vom Fenster aus teil, andere machen einige Schritte vors Haus. Wer zu weit vom Zentrum entfernt wohnt, nimmt in Gedanken teil - das Wissen, dass zu einer bestimmten Uhrzeit viele Menschen sich im Gebet versammeln, spendet Trost.

Für die Kinder wird es jetzt schwierig: Aus den anfänglichen "Ferien" ist eine Zwangsmaßnahme geworden. Jeden Tag nehmen sie online am Schulunterricht teil und machen Hausaufgaben. Ihre Freunde können sie praktisch nicht sehen. Gewiss, auch die Schüler haben es hier in Bolca besser als ihre Altersgenossen in den Städten, sie können viel Zeit an der frischen Luft verbringen, in den Garten, in die Höfe oder auf die Hauswiese gehen. Aber ihnen fehlt natürlich die Gemeinschaft mit den anderen.

Wir wissen noch nicht, wie lange sich diese Situation noch hinziehen wird. Anfangs sah es noch so aus, dass bald alles vorbei sein würde. Jetzt aber wächst allmählich Ernüchterung und die Gewissheit, dass die Maßnahmen über den 3. April, das vorläufige Enddatum, hinaus verlängert werden - bis wann, weiß niemand.

Bisher standen die Sorgen um die wirtschaftliche Entwicklung nicht im Vordergrund, doch wenn die Ausgangssperre sich bis zum Sommer hinziehen sollte, werden viele ernsthafte Probleme bekommen: Restaurants, Bars, Pizzerien und Hotels halten eine kurze Zeit der Schließung aus, besonders im März. Aber Ostern ist die Zeit der ersten Reisen und des Tourismus. Monate ohne Gäste und ohne Arbeit nach der Winterpause bringen uns in große Schwierigkeiten.

Auch das Fossilienmuseum wird möglicherweise nicht mehr geöffnet. Wie gesagt: Wir leben derzeit in einem Schwebezustand und haben Mühe, die Lage zu begreifen. Ehrlich gesagt mache ich mir Sorgen und weiß nicht, wie das alles ausgehen soll.

Vielleicht soll uns diese Erfahrung bewusst machen, wie wichtig es ist, in Gemeinschaft zu leben und sich gegenseitig zu helfen, sowohl unter Nachbarn als auch mit den anderen Ländern Europas. Ich hoffe es wenigstens sehr.

EK