Eichstätt
"Bleibt zu Hause"

Coronavirus: Was Claudia Renz, deren Familie aus dem Altmühltal stammt, in Italien erlebt, könnte im Landkreis auch drohen

16.03.2020 | Stand 02.12.2020, 11:43 Uhr
Mehr Tauben als Menschen: Der sonst überfüllte Platz vor dem Mailänder Dom ist menschenleer. Nur zum Einkaufen oder für den Weg zur Arbeit sollen die Bürger ihre Wohnungen verlassen. −Foto: Luca Bruno/AP/dpa

Eichstätt/Monza - Arbeiten vom heimischen Laptop aus, mit Freunden einen Aperitif per Videochat trinken und Polizeiautos, die per Lautsprecher verkünden, dass man zu Hause bleiben soll - was Claudia Renz, deren Familie aus dem Altmühltal stammt, gerade in Monza nahe Mailand erlebt, steht den Bürgern im Landkreis Eichstätt möglicherweise noch bevor.

 

Denn das Coronavirus hat den Alltag in Italien gravierend verändert. Die wichtigste Regel lautet: zu Hause bleiben.

Das tut die 39-Jährige, die als Assistentin bei einer Rechtsanwaltskanzlei angestellt ist, seit Mittwoch. Schon seit Ende Februar haben sie und ihre Kollegen versucht, auf den öffentlichen Nahverkehr zu verzichten, haben Fahrgemeinschaften gegründet, Renz stieg auf ihren Roller um. "Einmal am Tag sprechen wir per Videokonferenz miteinander, um den neusten Stand zu haben", erzählt sie. Was bei ihnen gut funktioniere, sei für größere Unternehmen schwierig, sagt Renz, die Produktion gehe zwar weiter, Beschaffung und Lieferung seien aber verlangsamt. Die Regierung habe durchgegriffen, alle Geschäfte außer Lebensmittelläden und Apotheken Tabak- und Zeitungsladen sind zu, Restaurants geschlossen und in den Geschäften muss ein Mindestabstand von einem Meter zwischen den Kunden gehalten werden.

Deutlich gemäßigter als sonst geht es auch vor der Tür zu. "Morgens und abends fahren Leute nach Mailand zur Arbeit, also jene, die nicht im Home Office arbeiten können, auch der Lieferservice von kleineren Restaurants oder Geschäften ist unterwegs", dennoch: Stille, Vogelzwitschern, Sirenen, mehr ist am Mittag nicht zu hören. Über einen Fahrradweg haben Behörden ein Plastikband gespannt, das aber gleich wieder abgehängt worden war, viele benutzen jetzt das Rad für den Weg zur Arbeit. "Es ist aber ein Zeichen", sagt Renz, "bleibt zu Hause. "

Das muss auch ihre 10-jährige Tochter, die seit dem 22. Februar nicht mehr in die Schule gehen kann. Renz und ihr Mann bezweifeln, dass die Tochter noch einmal vor den Sommerferien zurückkann, denn in Italien beginnen diese schon am 8. Juni. "Jede Woche gibt die Schule Hausaufgaben, sobald es technisch möglich ist, soll es auch ein Onlineangebot geben. " Langweile hat die Kleine nicht: Für ihr Alter ist sie sehr selbstständig und spielt alleine, wenn Renz arbeiten muss. "Sie würde natürlich gerne ihre Freunde sehen, aber sie sieht die Situation, in der wir sind. Ich hätte ihr das gerne erspart. " Die Tochter spielt mit Barbies und mit ihren Freunden Stadt-Land-Fluss per Videochat. Auch Renz telefoniert mit ihren Freunden öfter, bedauert es, Verwandte im Altmühltal erst einmal nicht besuchen zu können. Aber: "Man kann es zu Hause verkraften", betont die 39-Jährige, viel dramatischer sei die Situation der Ärzte und Pflegekräfte. Zwar sei die Lage in der Lombardei, deren Provinzhauptstadt Mailand ist, auch schlimm, aber doch noch nicht so wie in Bergamo. "Ich habe gehört, dass es Probleme gibt, Leichen zu lagern und dass selbst Tierärzte den Ärzten in den Krankenhäusern beistehen müssen. " Dazu gesellten sich Urologen und Kinderärzte, denn schon vor der Krise habe es zu wenig medizinisches Personal gegeben, "und die Ärzte werden ja auch selbst krank". Große Anstrengungen werden in der Lombardei unternommen, um dem Problem Herr zu werden: "Neben dem Krankenhaus San Raffaele wird ein Sportplatz vorübergehend zum Krankenhaus umgebaut, ebenso wie eine Messehalle. " Außerdem haben die privaten Kliniken ihre Türen für Coronapatienten geöffnet, teilweise werden Fälle in die Toskana oder nach Sizilien geflogen, um dort behandelt zu werden. Im Süden gibt es bisher weniger Fälle, doch auch dort wird die Zahl der Infizierten ansteigen. Eine Firma, die Atemgeräte herstellt, schiebt Überstunden. "Sehr berührt" haben Renz auch die Videos von Leuten, die auf ihren Balkonen eine Kerze anzünden, Musik machen oder klatschen, auch, um den Pflegekräften Mut zu machen. Dazu gesellen sich noch weitere Lichtblicke: So habe es bisher viele Geldspenden gegeben, Bürger bieten auf Facebook an, für besonders Gefährdete einkaufen zu gehen. "Das ist sehr schön, dass so eine Situation auch die besten Seiten des Menschen zum Vorschein bringt. "

Renz hofft nun, dass sich ihre Heimat, die ihr sehr am Herzen liegt, aus Italien lernt. "Bleibt zu Hause, schützt euch, schränkt eure Kontakte ein. " So lasse sich die Krise wohl am schnellsten überwinden, die Zahl der Infektionen senken. In Italien soll nur noch aus dem Haus, wer zur Arbeit muss, zum Arzt oder zum Einkaufen. Letzteres darf man nur in unmittelbarer Nähe zur Wohnung, eine Eigenerklärung muss man seit vergangener Woche bei sich haben, berichtet Renz. "Im Internet lässt sich einsehen, wie viele Leute kontrolliert und wie viele bestraft wurden", sagt sie. So wollte die Polizei etwa vom 11. bis 14. März den Passierschein von 550.590 Bürgern sehen, 20.500 wurden angezeigt. Dasselbe gilt für Geschäfte und Restaurants, die etwa zu spät schließen oder zu viele Leute auf einmal in den Laden lassen.

Anstehen heißt es - mit gebürendem Abstand - auch vor den Supermärkten, erzählt Renz. "Manche stehen Stunden an", denn in kleinere werden nur fünf Leute reingelassen und diese müssen wieder raus, bevor die anderen zum Zug kommen. Was aber verbreiteter ist als in Deutschland, ist der Lieferservice: Die Waren werden vorbeigebracht, "oder man kann sie vorher bestellen und dann zu einer bestimmten Zeit abholen".

Im Juni möchte Renz ihren 40. Geburtstag mit Freundinnen in Valencia feiern. So richtig glaubt sie noch nicht dran. Bleibt zu hoffen, dass sie das Haus bald wieder verlassen kann.

EK