Eichstätt
Als sich die Welt veränderte

Das Kino erlebte in den Nachkriegsjahren einen Ansturm und der Fernseher setzte sich durch - Ein Zeitzeuge erinnert sich

26.04.2021 | Stand 23.09.2023, 18:13 Uhr
Die Nordseite mit Pforte und Steinmauer der Frauenbergkapelle: Rechts ist der Baum zu sehen, dessen Geäst die Antenne stabilisierte - das war die "Wiege der Eichstätter Fernsehgeschichte". −Foto: Sammlung Werner Pfaller

Eichstätt - Bei den Kämpfen vom 24. und 25. April 1945 schlug eine der letzten Granaten, die von den Amerikanern bei der Wegscheid abgefeuert wurden, ein paar Meter vor der Pforte der Frauenbergkapelle in die Böschung.

Dieser Fehlschuss in der Nacht zum 25. April 1945 kann symbolisch als das "glückliche Kriegsende" für Eichstätt bezeichnet werden. Zur Erinnerung an die wundersame Rettung der Frauenbergkapelle ließ Joseph Kürzinger im Juni 1948 vom Maler Otto Neudert ein Votivbild für die Nachwelt anfertigen, das den Glücksfall des verfehlten Granateneinschlags veranschaulicht. Dass genau diese Stelle die Wiege der "Eichstätter Fernsehgeschichte" wurde, konnte ich als Jugendlicher hautnah miterleben.

Die furchtbaren Kriegsjahre lagen zurück und man wollte endlich mal wieder hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Die Kinos in Eichstätt, das Stadttheater und das Burgtheater, erlebten Hochkonjunktur. Heimatfilme mit Sonja Ziemann, Curd Jürgens, Heinz Rühmann und anderen flimmerten über die Leinwand, und in den Spätvorstellungen waren die Kriminalfilme und Western die Favoriten. Es gab natürlich auch Filme wie die "Sünderin", wo sich Hildegard Knef nackt in der Sonne räkelte und große Entrüstung in der Öffentlichkeit auslöste.

Humorvoller war es da schon in mancher Nachmittagsvorstellung, wo gelegentlich ein Bubenstreich große Belustigung auslöste. Ein paar Buben kamen auf die Idee, Maikäfer in der Vorstellung fliegen zu lassen, wobei diese sofort dem Licht entgegen auf die Leinwand zuflogen und sich dort niederließen. Als August Ungerer, der Pächter des Stadttheaters, es bemerkte, war es zu spät und die Leinwand war "gespickt" mit schwarzen Punkten. Er rief sofort seine Frau in seinem kaum wiederholbaren Dialekt um Hilfe: "Rusl, hul da Mukapanscher, Maikäfer schei?. die ganze Leinwand vull! "

Man schrieb das Jahr 1953. Heute kann man sich kaum noch vorstellen, dass der Alltag ohne Fernsehen ablief. Das Radio sorgte damals für die neuesten Nachrichten und Unterhaltung. 1953 war das Jahr, in dem eine neue Ära in Eichstätt begann. Zu den aktuellen Medien Zeitung und Rundfunk kam "das Fernsehen".

Im August dieses Jahres begann der Elektroingenieur und Fernsehtechniker Otto Pischinger mit seinen ersten Versuchen auf dem Frauenberg. Er baute mit seinen Helfern eine etwa elf Meter hohe Antenne bei der Frauenbergkapelle auf, die an einem Eisenrohr von Helfern nach seinen Zurufen gedreht wurde. Ich war mit einem Freund auf dem Weg von der Burg zur Frauenbergkapelle, als wir in der Dämmerung vor der Kapellenpforte Taschenlampenlicht umherwandern sahen. Neugierig stiegen wir die Treppen zur Kapelle hoch und ich sah Pischinger, der in unserer Nachbarschaft in der Sebastiangasse eine kleine Werkstatt hatte. Auf der Bruchsteinmauer vor der Kapellenpforte, unweit der Stelle, wo acht Jahre zuvor die Artilleriegranate explodiert war, stand ein viereckiger Kasten, der an ein Radio erinnerte. Statt Gitter oder Stoff hatte er an der Vorderfront eine Mattscheibe.

Ich fragte Pischinger damals, was das für ein Gerät sei, und er antwortete: "Das ist ein Fernsehgerät und der kleine Kasten ist ein Verstärker. Das ist die Zukunft. " Wir starrten auf die Glasscheibe, die auf einmal ein Rauschen von sich gab, und ein Strichmuster erschien. Es sah aus wie Schneegestöber und irgendwie meinten wir, Klaviermusik zu hören, und schemenhaft sahen wir eine Dame an einem Flügel sitzen.

Pischinger erzählte uns, dass sich nun nach tagelangen Versuchen endlich ein Erfolg anbahne. Er sagte uns, dass es leider erst den Sender Feldberg in erreichbarer Nähe gebe, der sei aber für uns viel zu schwach. In den kommenden Jahren würden mehrere Sendemasten nach Süden ausgebaut werden und man könne dann das Bild überall empfangen. Die feinfühligen Einstellungen des Fernsehspezialisten am Verstärker und die genauen Korrekturen seiner Helfer an der Antenne, die im Baumgeäst hochgeschoben war, brachten nach Pischingers Kommandos ein immer besseres Ergebnis. Plötzlich erschien auf der Mattscheibe ein ausgestrahltes Testbild.

Auf dem Heimweg hatten wir unsere Zweifel, ob sich diese Technik für den Normalbürger durchsetzt. Der Apparat sei sicher sehr teuer und habe gegen die große Leinwand der Kinos keine Chance. Es kam allerdings ganz anders, als wir dachten. Das zweistündige Programm des Nordwestdeutschen Rundfunks konnte bald in besserer Qualität empfangen werden. 350 Kilometer Luftlinie weiter wurde das Programm vom Feldberg im Taunus ausgestrahlt. Die Fernsehsendungen wurden jetzt öfter empfangen und es sprach sich herum. Viele Eichstätter pilgerten zur Frauenbergkapelle und bewunderten "des neimodische Zeig". Doch die Erwartungen waren anfangs gedämpft. "Des is für uns nix", meinten die meisten. Die Qualität war mäßig und der Preis mit 1600 D-Mark oder mehr zu hoch für den Normalverbraucher. Mein Freund und ich hielten nicht viel von dem Flimmerkasten und sahen uns lieber Heimatfilme, Western- und Kriminalfilme im Kino an.

Organisierte Fernsehabende von Großveranstaltungen wurden immer öfter in Eichstätter Gaststätten gezeigt und gaben nur langsam die ersten Kaufimpulse. Auch bei manchen Elektrogeschäften flimmerte im Schaufenster abends ein Fernsehgerät, um beim Abendspaziergang der Kundschaft die Flimmerkiste schmackhaft zu machen. Die damaligen "Steinbarone" auf dem Berg, die noch dazu die besseren Standorte für den Empfang hatten, Ärzte und andere finanziell gut gepolsterte Geschäftsleute und Bürger zogen allmählich nach und schafften sich einen "Fernseher" an. Damit begann für den "Eichstätter Fernsehpionier" Otto Pischinger ein abenteuerlicher Abschnitt seines Berufslebens.

Als ich ihn nach Jahren in seinem neuen Laden Am Graben, dem eine Werkstatt angeschlossen war, traf, unterhielten wir uns über die "Pionierzeit seiner Fernsehgeschichte". Meist waren Feste der Anlass für den Kauf eines Fernsehgerätes. Zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten musste er mit dem Strahlenfeld-Meßgerät losziehen. Ein Problem waren auch oft die mit Juradächern gedeckten Häuser, denn man musste mit einem Eisenrohr für die Antenne durchs Dach. Es kam vor, dass Pischinger auf dem verschneiten Dachfirst eines Hauses saß, während er durchs Fenster im Nachbarhaus die Weihnachtsbescherung der Kinder beobachten konnte.

Ob die Installation mühsam oder etwas leichter war, entschied das Strahlenfeld-Meßgerät, denn man musste den besten Standort für die Antenne ermitteln. Bei ganz besonders schlechten Verhältnissen, wie etwa im Buchtal, musste man oft die Antenne oben auf den Berghang stellen, um aus dem Bergschatten zu kommen, und man musste lange Kabel mit Verstärker verlegen, um den Empfang zu ermöglichen.

Bedeutend besser wurde es, als der Staat sich der Sache annahm und damit begann, flächendeckend Umsetzer zu bauen, wie bei uns am "Schönblick". Heute sind die Empfangsprobleme Nostalgie und Vergangenheit. Viele Haushalte der Gegenwart haben mindestens ein Fernsehgerät. Satellitenschüssel oder Erdkabel liefern ein brillantes Bild ins Haus.

Das erste Fernsehgerät, das in Eichstätt Bilder ausstrahlte - ein Saba "Schauinsland" - steht vielleicht heute noch beim Sohn von unserem "Eichstätter Fernsehpionier" Otto Pischinger (kleines Foto). Ich durfte, als ich damals Otto Pischinger nach Jahren in seinem Laden traf, ein Foto im Lager vom "ersten Fernsehgerät Eichstätts" machen.

EK


Werner Pfaller