"Belemmert" bis "Belämmert"

04.08.2006 | Stand 03.12.2020, 7:39 Uhr

Eichstätt/Erlangen (EK) Zum 1. August ist die Rechtschreibreform verbindlich eingeführt worden – auch in Bayern. Für die Schulen ist die neue Rechtschreibung damit verbindlich. Die Medien schließen sich der Reform an – bis auf die FAZ. Auch die "Deutsche Sprachwelt – Die Plattform für alle, die Sprache lieben" und die seit Jahren gegen eine Verwässerung der Sprachkultur kämpft und sich auch vehement gegen die Reform gewehrt hat, wird bei der alten Rechtschreibung bleiben.

Wie kommt ein Historiker dazu, eine Zeitung wie die Deutsche Sprachwelt herauszugeben?

Paulwitz: Die Germanisten behandeln die Sprachpflege zumeist etwas stiefmütterlich, weil sie befürchten, daß sie nicht genügend Abstand zu ihrem Forschungsgegenstand halten. Eine gute, verständliche Sprache liegt im Interesse aller, auch und gerade der Historiker. Meine Liebe zur deutschen Sprache habe ich während meiner Schulzeit entdeckt. Die Beschäftigung mit Latein war daran nicht ganz unschuldig, ich grüße an dieser Stelle aber auch Herrn Weiß, meinen Lehrer im Leistungskurs Deutsch am Willibald-Gymnasium (1990-92). Da ich Journalist bin, wozu übrigens auch ein sehr lehrreiches Praktikum beim EICHSTÄTTER KURIER beigetragen hat, ist die Sprache mein Handwerkszeug geworden, das ich selbstverständlich pfleglich zu behandeln versuche. Als Historiker ist mir natürlich bewußt, daß sich eine Sprache verändert und nicht konserviert werden kann. Ich weiß aber auch, wie wichtig es ist, daß das Wissen über Jahrhunderte überliefert werden kann. Deswegen ist es notwendig, sprachliche Moden nicht ausufern zu lassen und Beschädigungen an der Ausdruckskraft der Sprache zu verhindern. Wir müssen jederzeit darum ringen, die Verständlichkeit der Sprache zu wahren.

 

Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrer Zeitung?

Paulwitz: Wir treten für eine lebendige deutsche Sprache ein und wollen den Wert verdeutlichen, den unsere Muttersprache hat. Die Zeitung ist ein Sprachrohr für viele sprachbewußte Menschen. Mit der Unterstützung unserer Leser reden wir Sprachsündern ins Gewissen und bestärken diejenigen, die sich für die Sprache einsetzen. Deswegen gibt es bei uns nicht nur eine "Sprachsünderecke", die gezielten Protest ermöglicht; unsere Leser zeichnen auch jedes Jahr "Sprachwahrer" aus. Außerdem treten wir immer wieder mit Aktionen an die Öffentlichkeit: In diesem Jahr haben wir zum Beispiel eine "Deutschpflicht für Politiker" gefordert, die bereits mehrere Bundestags- und Landtagsabgeordnete unterzeichnet haben; wir haben mit einem Nachwuchswettbewerb für Fußballkommentierung Kerner und Beckmann Konkurrenz gemacht und im Internet ein Denkmal für die Urheber der Rechtschreibreform errichtet. Mit dem Gang in die Medien versuchen wir, das allgemeine Sprachbewußtsein zu stärken. Die Zeitung bietet dafür einen hervorragenden Ausgangspunkt.

 

Was sagen Sie zur Rechtschreibreform, die jetzt seit 1. August verbindlich gilt? Die FAZ bleibt als einzige überregionale Zeitung bei der alten Rechtschreibung. Wie wird sich die "Sprachwelt" verhalten?

Paulwitz: Zunächst: Verbindlich ist die Rechtschreibreform nur an den Schulen. Die Zeitungen sind nicht dazu gezwungen, sich nach ihr zu richten. Die reine Schulreformschreibung hat bisher keine Zeitung mitgemacht. Die "reformierten" Zeitungen haben aus Gründen der Lesbarkeit zum Beispiel nicht die geänderten Kommaregeln übernommen, sondern sich entweder nach der Schreibweise der Nachrichtenagenturen gerichtet oder eine eigene Hausorthographie entwickelt. Axel Springer hat sich vor einigen Wochen voreilig darauf festgelegt, ab dem 1. August der neuesten Auflage des Dudens zu folgen, ohne jedoch dessen Inhalt geprüft zu haben. Springer hat sogar eine "Technologiepartnerschaft" mit dem Duden geschlossen. Jetzt gibt es ein böses Erwachen, denn der Duden unterläuft in seinen 3000 gelb unterlegten Empfehlungen die Vorgaben des Rechtschreibrates, wie selbst Hans Zehetmair, der Vorsitzende des Rates, beklagt. Bei Varianten empfiehlt der Duden in der Regel, hart an der ursprünglichen Reform zu bleiben (also zum Beispiel Empfehlung für "verloren gehen", obwohl auch "verlorengehen" wieder möglich wäre). Zehetmair hatte Springer bedrängt, die Reform wieder einzuführen. Jetzt steht Zehetmair ziemlich belemmert da, um nicht zu sagen "belämmert". Mit dem neuen "Wahrig" und dem neuen "Duden" haben wir zudem nun zwei sich widersprechende Wörterbücher. Es ist also für die nächsten Monate genug Zündstoff vorhanden. Die Deutsche Sprachwelt macht dieses Theater nicht mit. Sie hat als einzige Zeitung ihre Leser befragt: Soll sie sich nach der Zehetmair-Schreibung richten oder an der bisherigen Rechtschreibung festhalten? Unsere Leser haben sich zu 89 Prozent für die bewährten Schreibweisen entschieden. Wir werden also nicht umstellen. Mich interessiert, wie sich die Leser des EICHSTÄTTER KURIER wohl entscheiden würden.

 

Sehen Sie Erfolge Ihrer Arbeit?

Paulwitz: Über die öffentliche Wahrnehmung, die wir bisher erzielt haben, freue ich mich sehr. Wir geben dem Protest gegen Sprachverhunzungen eine Stimme, die gehört wird. Wichtig für unsere Überzeugungsarbeit ist, daß wir nicht nur als Ermahner auftreten, sondern auch mit positiven Aktionen zu glänzen versuchen. So haben wir erreicht, daß sich die ersten Politiker verpflichtet haben, eine verständliche Sprache zu verwenden. Wir wollen klarmachen, daß gutes Deutsch von Vorteil ist. Daß mich kürzlich die Bild-Zeitung eingeladen hat, auf der Redaktionskonferenz die Sprache dieser Zeitung zu bewerten, ist ein Zeichen, daß unser Anliegen ernstgenommen wird. Wir ermutigen mit unseren Aktionen immer mehr Bürger, sich für die deutsche Sprache einzusetzen. Das ist eine wichtige Voraussetzung für den Bewußtseinswandel, der natürlich seine Zeit braucht. Aber wir sind geduldig. Eine Untersuchung hat übrigens soeben gezeigt, daß die englischen Werbesprüche schon weniger werden. Mit unserem Fastenaufruf "40 Tage quasselfrei" haben wir letztes Jahr sogar den Schloßleutnant Lorenz Krach als Sprachkritiker gewonnen: "Da rennt die ‚Sprachwelt’ bei uns in Eichstätt neuerdings offene Türen ein", wetterte Krach gegen die Investitionsruine "Fun-Arena" in der Schottenau.

 

Wer steckt alles hinter der Deutschen Sprachwelt?

Paulwitz: Offizieller Herausgeber ist der Verein für Sprachpflege. An der Zeitung wirken aber auch Mitglieder anderer Sprachvereine und Vereinslose mit, da es sich um eine Plattform für alle handelt, die etwas für unsere Muttersprache tun wollen. Es gibt viele ehrenamtliche Mitarbeiter, zum Beispiel unsere Korrektorin; andere kümmern sich unentgeltlich um den Versand von Probeexemplaren oder werben neue Leser. Es beteiligen sich auch viele Leser, indem sie selbst Beiträge schreiben oder auf Themen aufmerksam machen. Das Ganze hat den Charakter einer Bürgerinitiative für die deutsche Sprache, die im ganzen Land ihre Mitstreiter hat. Die meisten, die mitmachen, sind fest im Bildungsbürgertum verwurzelt. Es gibt Junge und Alte, Frauen und Männer. Josef Kraus, der Präsident des Lehrerverbandes, der ebenfalls auf das Willibald-Gymnasium gegangen ist, hat übrigens auch schon einige Beiträge geschrieben. Seinen Bruder hatte ich einmal als Deutschlehrer.

Anmerkung der Redaktion: Auf Wunsch von Thomas Paulwitz erscheint das Interview in alter Rechtschreibung.